Diese Geschichte beginnt vor mehreren Jahren. Ich, damals Mitte 20, arbeite in einem großen Unternehmen. Als ich mich über meinen Schreibtisch krümme wie ein Klappmesser, fragt mich meine Vorgesetzte: "Bist du krank?"
"Nein, aber ich habe meine Tage."
Ihr Gesicht versteinert. "Oh."
Es bleibt bei diesem buchstäblich einsilbigen Kommentar. Nervöser Blick, Themawechsel. Wir sprechen nie wieder darüber.
Nicht, dass es vorher leicht gewesen wäre, über die Menstruation zu reden. Doch in dem Moment im Büro wird mir auf einen Schlag klar: Menstruation und Arbeitswelt, das geht nicht richtig zusammen. Man ignoriert das Geschehen im Uterus solange irgend möglich. Schmeißt ein paar Schmerztabletten und macht weiter. Egal ob die Vorgesetzten männlich oder weiblich sind: Das Thema wird totgeschwiegen.
Verwundern tut es mich nicht mehr: Vermutlich hat in ihrem Berufsleben auch niemand mit ihnen darüber gesprochen.
Dass man mit der Menstruation im Arbeitsalltag auch anders umgehen kann, beweist ein englisches Unternehmen. Ich bin Masterstudentin in Bristol, England, als ich eine Nachricht lese, die mich begeistert. Die Bristoler Firma Coexist, zuständig für das Kulturzentrum Hamilton House, in dem ich einen Großteil meiner Freizeit verbringe, hat eine "period policy" eingeführt:
Das sind Richtlinien für Menschen, die unter Menstruationsbeschwerden leiden. Sie können während der Periode wahlweise einen Tag frei nehmen, Home Office machen, die Stunden während ihrer Beschwerden reduzieren – und, wenn sie möchten, an anderen Tagen wieder aufarbeiten.
Der weibliche Zyklus besteht nämlich aus mehr als nur der "schwierigen" Menstruation, er hat vier Phasen mit unterschiedlichen Energieleveln. In den Tagen vor dem Eisprung empfinden viele Frauen ein regelrechtes Energiehoch.
Die Devise bei Coexist lautet daher: Menschen mit Menstruationsproblemen müssen nicht zwingend weniger arbeiten, aber flexibler. Einzige Bedingung, um von den Perioden-Richtlinien Gebrauch zu machen: Der Grund wird offen mitgeteilt, um das Thema zu normalisieren. Hintergrundwissen und Input zu offener Kommunikation bekommt das komplette Team bei einem Zyklus-Workshop.
So weit, so vernünftig. Doch bei dem Thema platzt vielen Menschen schneller der Kragen, als ich "Menstruation" sagen kann. Unter jedem Bericht dazu – in einigen Ländern und Firmen gibt es ähnliche Initiativen wie in Bristol – hacken aufgebrachte Männer in die Kommentarspalten: "Dann will ich auch Kater-frei!!!"
Dass mit solchen Sprüchen ein freiwilliges Genussmittel mit einem biologischen Vorgang, der unser aller Existenz ermöglicht, verglichen wird – geschenkt. Allerdings sind sich auch Frauen uneinig. Neben Menstruationsfrei-Befürwortung hört man häufig auch: "Ich lasse mich doch nicht auf meinen Zyklus reduzieren."
Doch wäre es wirklich eine Reduzierung? Die Grundidee der Freistellung bei Periodenschmerzen ist nicht neu. In Teilen Asiens ist das Recht auf Fehltage bei starken Regelschmerzen seit Jahrzehnten gesetzlich verankert. Aus Sorge vor Stigmatisierung wird dies jedoch kaum in Anspruch genommen.
In Italien wurde ein Gesetzesentwurf zu drei freien Tagen bei Vorlage eines Attests über Dysmenorrhoe (schmerzhafte Menstruation) kontrovers diskutiert. In Australien und Schweden haben einzelne Firmen Perioden-Richtlinien und flexible Zeiten eingeführt. Und in Deutschland? Bislang nichts.
Doch ich bin überzeugt: Richtig angegangen würde es unser aller Arbeitsleben verbessern.
Die Perioden-Richtlinien aus England sind aus zwei Gründen vielversprechend. Zum einen sind sie detailreich und bieten differenziertere Lösungen als "Daheimbleiben oder Durcharbeiten". Zum anderen ist da der Bildungsaspekt.
Dadurch, dass männliche und weibliche Mitarbeiter gemeinsam geschult werden, wird das Thema hoffentlich endlich enttabuisiert. Das wiederum ist meiner Ansicht nach Voraussetzung dafür, dass Richtlinien auch umgesetzt werden.
Wir alle haben schon in der Pubertät entweder gelernt, die Periode zu verstecken (Mädchen), oder wir haben infolgedessen gar nichts von ihr mitbekommen (Jungs). "In unserer modernen Gesellschaft wird der menstruelle Zyklus als passives Geschehen begriffen, der in seiner Existenz zwar anerkannt, in der Realität aber ignoriert und geheim gehalten wird", schreibt Menstruationspädagogin Miranda Gray in ihrem Buch "Roter Mond".
Wenn wir beginnen, über den Zyklus, aber auch über andere Tabuthemen, wie zum Beispiel psychische Gesundheit, offen zu sprechen, kurz: über alles, was unsere Leistung abseits einer klassischen Grippe noch beeinflussen kann – ja, was dann? Dann schaffen wir mehrere Dinge auf einmal:
Wir werden aufgeklärter, schaffen Verständnis und Empathie füreinander, steigern unser Wohlbefinden und unsere Produktivität. Also, worauf warten wir noch?