30 Menschen sind aktuell in Deutschland am Coronavirus erkrankt – und aller Wahrscheinlichkeit werden es sehr bald sehr viel mehr sein. "Wir stehen am Anfang einer Epidemie", prognostiziert Moderatorin Maybrit Illner zu Beginn ihrer Sendung. "Auf was sie hinausläuft, kann niemand so genau sagen." Und doch will sie in der Sendung zumindest etwas Klarheit in die Diskussion bringen.
Erster Gesprächspartner ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er ist nur zugeschaltet – aus Düsseldorf. Hat ja auch viel zu tun derzeit. Er habe noch vor vier Wochen in ihrer Sendung zur Gelassenheit gemahnt, erinnert Illner und fragt ihn, ob er das immer noch so sehe. Spahn korrigiert die Moderatorin. Er habe zu "gelassener Aufmerksamkeit und Achtsamkeit" geraten – "die Wörter gehören zusammen". Und dazu stehe er noch.
Aber er habe heute unter anderem dafür gesorgt, dass die Kriterien zur Anwendung des 300 Euro teuren Corona-Tests so gefasst wurden, so dass er nun bei Verdachtsfällen schneller, leichter und öfter angewendet werden kann und von den Kassen bezahlt wird. "Im Zweifel lieber einen Test mehr machen als zu wenig", findet der Minister. Und er findet auch, sie seien "gut vorbereitet in der Planung", aber: "Wir müssen uns noch mehr vorbereiten auf eine neue Lage".
Das wird deutlich, als Illner das Beispiel eines Berliner Arztes anführt, der in Berlin nicht einmal mehr Schutzausrüstung für sich und seine Mitarbeiter kaufen könne, weil alles ausverkauft ist. "Das sind Berichte, die uns vielfach erreichen", gibt Spahn zu. Er könne sich vorstellen durch "Beschlagnahmung oder Exportverbote" dafür zu sorgen, dass "nichts mehr das Land verlässt".
Der Humanmediziner, Fernseharzt und YouTuber Dr. Johannes Wimmer war auch vor vier Wochen schon zum Corona-Thema bei Illner. Er findet: "eine Beschlagnahmung klingt komisch" und "nicht nach gut vorbereitet". Er beklagt, dass man das Problem bis vor kurzem nicht wirklich erfasst und die Realität ignoriert habe: "Das Virus ist jetzt in der Fläche da. Wir werden leider irgendwann bundesweit auf den ersten Todesfall blicken müssen, das ist statistisch einfach so." Es seien viele Chancen verschenkt worden.
Der Virologe Christian Drosten hingegen verweist auf eine "sehr steile Lernkurve" bei sich und seinen Kollegen in den vergangenen vier Wochen fest. "Das Virus springt von Rachen zu Rachen" – das wüssten sie nun, nicht von Lunge zu Lunge, was ein viel weiterer Übertragungsweg wäre. Also: Das Virus überträgt sich leichter, als noch vor vier Wochen gedacht. Mit einem Abstrich aus dem Rachen kann man per Laboruntersuchung über Nacht Klarheit über eine Infizierung bekommen. Es gebe genug Tests, keine Sorge, betont der Virologe. Aber was passiert, wenn man infiziert ist? Gibt es auch genug Betten für Patienten?
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, verweist auf 28.000 verfügbare Intensivbetten: "Das ist schon eine ganze Menge – weltweit zur Bevölkerungsmenge eine der höchsten Zahlen an Betten." Es könne schon sein, dass man trotzdem an die Grenzen komme und natürlich könne man diskutieren dass es generell zu wenig Pflegekräfte gebe, das sei aber "kein Grund, den Menschen Panik zu machen", findet er.
TV-Mediziner Wimmer springt ihm bei: Wenn schon Corona, dann wolle er in Deutschland daran erkranken. Hier herrsche medizinisch ein "hohes Niveau", aber natürlich sei es ausbaufähig.
Aber was hilft das, wenn die Medikamente fehlen? Apothekerin Anke Rüdinger stellt gewisse Hamsterkäufe bei ihren Kunden fest: Morgens hatte sie heute noch Desinfektionsmittel, im Laufe des Tages war alles ausverkauft. Atemschutzmasken hat sie schon eine ganze Zeit nicht mehr geliefert bekommen. Weil China ein großer Medikamenten-Produzent ist, gibt es bei vielen Mitteln Lieferengpässe.
Einen Impfstoff gegen Corona kann derzeit niemand liefern. Denn es gibt ihn noch gar nicht. "Man muss befürchten, dass der Impfstoff zu spät kommt für eine Pandemie", sagt Virologe Drosten. Er rechnet mit dem Impfstoff realistisch erst im Sommer 2021. Nicht die Forschung sei so langsam, sondern der Zulassungs- und Testprozess. Darum sei die wirksamste Chance jetzt, die Ausbreitung zu verhindern.
Der Virologe vergleicht die Situation mit Funken, die auf ein Spielfeld fliegen. Im Moment seien es einzelne und die könne man noch austreten. Er empfiehlt: "Unbedingt diese Phase zum Verzögern nutzen, die Behördenstrategien sind genau richtig" und von Fall zu Fall unterschiedlich.
Was in der Kleinstadt richtig sei, sei in einer Großstadt nicht praktikabel. "Einreisekontrollen brauchen wir sicher nicht", glaubt er. Und zwar aus einem eher niederschmetternden Grund: "Die Übertragungen im eigenen Land werden die Einschleppungen aus dem Ausland übertreffen. Wir werden sicherlich eines der Länder in Europa mit den höchsten Fallzahlen sein."
Der Grund: Die Deutschen seien sehr reisefreudig. Neue Fälle und Fallgruppen werden in den kommenden Tagen "wie die Pilze aus dem Boden schießen", erklärte er.
Auch wenn Deutschland ihm zufolge eines der besten Gesundheitssysteme habe: "Eine Pandemie ist eine zeitweise auftretende Ausnahmesituation, in der alle zusammenarbeiten und improvisieren müssen. Wir werden alle improvisieren müssen", so Drosten weiter. Dazu gehöre auch eine "gewisse Bewusstheit, die sich in Deutschland noch nicht eingestellt hat", wie er kritisiert. "Es wird schlimm werden", lautet seine düstere Prognose.
In den USA hingegen sei die Bevölkerung bereits von der obersten Seuchenkontrolle um Mithilfe gebeten worden – mit wörtlichem Verweis darauf, "dass es schlimm werden wird". Das sei etwas, das wir hier in Deutschland genauso sagen können. Die Strukturen seien dieselben.