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Wunschfahrten für Sterbenskranke: "Er wollte noch ein letztes Mal seine Eltern sehen"

Der Wünschewagen ist ein speziell umgebauter Krankenwagen.
Der Wünschewagen ist ein speziell umgebauter Krankenwagen.Bild: ASB Bremen
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Wunschfahrten für Sterbenskranke: "Er wollte noch ein letztes Mal seine Eltern sehen"

Doris Wessels hilft sterbenskranken Menschen dabei, ihre letzten Wünsche zu verwirklichen. Dafür engagiert sie sich ehrenamtlich beim Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes in Bremen. Ihre erste Fahrt hatte die Krankenschwester am Nikolaustag. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen.
20.12.2019, 15:4107.01.2020, 11:05
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Das Thema Tod gehört in Deutschland zu den Tabus. Wir sprechen nicht gern darüber, es berührt uns oft nur im Stillen. Wir lassen nicht zu, dass es in der Gesellschaft zu Diskussionen kommt. Dabei kann es jeden treffen – egal ob jung oder alt. Es bedrückt mich, dass wir so verschwiegen mit dem Thema umgehen. Ich wollte das ändern.

Zum ersten Mal hörte ich vom Wünschewagen bei einer Messe zum Thema "Leben und Tod". Mich begeisterte die Idee, einem Menschen zu helfen, seinen letzten Wunsch zu verwirklichen. Bereits seit einigen Jahren arbeite ich ehrenamtlich in einem Hospiz. Viele der Patienten dort haben noch einen Wunschort, zu dem sie nicht fahren können, weil schlicht die Kapazitäten fehlen. Das brach mir das Herz.

Der Wünschewagen ändert das. Da der Arbeiter-Samariter-Bund noch Helfer suchte, meldete ich mich sofort. Mit den Verantwortlichen verstand ich mich wunderbar und nach ein paar Monaten ging es los.

"Die Begleiter brauchen einen medizinischen Hintergrund"

Am Nikolaustag machte ich meine erste Fahrt. Ein paar Tage vorher bekam ich eine E-Mail mit allen nötigen Informationen: Unter anderem welche Erkrankung der Fahrgast hat, wohin er fahren möchte oder ob es Notfälle geben könnte.

Wichtig ist, dass die Begleiter nicht nur gut vorbereitet sind, sondern auch einen medizinischen oder pflegerischen Hintergrund haben, um die Fahrgäste im Notfall versorgen zu können. Entsprechend bestand unser Team aus einer examinierten Altenpflegerin, einem Rettungssanitäter und mir, einer examinierten Krankenschwester.

Unser Fahrgast war seit mehreren Jahren krebskrank. Leider war seine Lebenserwartung nicht mehr hoch. Er wünschte sich, zu seinen Eltern nach Paderborn zu fahren, um noch ein letztes Mal mit ihnen zu sprechen – beide waren weit über 80 und körperlich nicht mehr in der Lage, ihn zu besuchen.

Was ist der Wünschewagen?
Beim Wünschewagen handelt es sich um einen speziell ausgestatten Krankenwagen, der sterbenskranken Erwachsenen und Kindern einen besonderen Wunsch erfüllt: Er bringt sie zu einem Wunschziel. Um das zu ermöglichen, wird jede Fahrt von einem Team ausgebildeter Fachkräfte wie etwa Krankenpflegern und -pflegerinnen sowie Rettungsassistenten ehrenamtlich begleitet. Ziel können Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor oder auch ein Fußballspiel im Signal Iduna Park in Dortmund sein. Die Idee dazu stammt ursprünglich aus den Niederlanden. 2014 führte der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) den Wagen auch in Deutschland ein. Zunächst in Nordrhein-Westfalen und mittlerweile bundesweit. Das Wünschewagen-Projekt lebt ausschließlich von Spenden und vielen ehrenamtlichen Helfern. Die Wünsche sind für die Fahrgäste und eine Begleitperson kostenfrei.

"Er sah sehr erschöpft aus"

Als ich unseren Fahrgast zum ersten Mal sah, konnte ich deutlich erkennen, wie krank und erschöpft er war. Sein Gesicht war eingefallen, seine Haut blass. In Hemd und Hose saß er auf seinem Pflegebett und schaute erwartungsvoll zu uns rüber.

Mein Kollege fragte, wie es ihm geht. Er sagte, dass er sehr aufgeregt sei und kaum geschlafen hätte. Wir halfen ihm vom Bett in den Rollstuhl und zogen ihm seine Jacke an. Seine Frau packte währenddessen einen Korb: Getränke, Knabbereien und viele Medikamente.

Die Fahrt ist für die Gäste nicht einfach. Ihr Zustand kann sich von einer Sekunde auf die andere dramatisch verschlechtern. Deshalb gurteten wir unseren Fahrgast sorgfältig auf der Liege fest und deckten ihn zu. Seine Frau setzte sich neben ihn und ich mich direkt gegenüber, um im Notfall eingreifen zu können.

Ich selbst arbeitete lange Zeit in der Notaufnahme und war entsprechend im Umgang mit Problemsituationen erfahren.

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Bild: Getty Images / watson Montage
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Er konnte es kaum erwarten

Während der Fahrt hörte unser Fahrgast seine Lieblingsmusik: Jazz. Um das Ganze noch etwas abzurunden, schalteten wir ein Leuchtspiel ein – ein kleiner Sternenhimmel an der Wagendecke. Durch die abgedunkelten Scheiben kam er gut zur Geltung. Drinnen lauschten wir Saxophonen und Trompeten, draußen prasselte Regen aufs Dach. Es war sehr gemütlich.

Wie aufgeregt unser Fahrgast war, wurde mir erst während der Wunschfahrt klar. Einmal verpassten wir eine Ausfahrt und er rief: „Wir hätten nach rechts gemusst, wir hätten nach rechts gemusst.“ Er konnte es kaum erwarten, in Paderborn anzukommen. Die Fahrt dauerte vier Stunden.

Vor der Haustür wartete seine Mutter. Sofort schloss sie ihn in die Arme und führte ihn ins Haus. Im Wohnzimmer saß sein Vater und lächelte. Wir halfen unserem Patienten aufs Sofa und zogen ihm die Jacke aus. Kurz darauf liefen die ersten Tränen. Bei allen.

Wir ließen der Familie Zeit für sich

Nach der Begrüßung zogen wir uns zurück. Die Familie sollte schließlich Zeit für sich bekommen. Für den Notfall ließen wir unsere Handynummern da und fuhren in die Innenstadt. In einem Restaurant besprachen wir, wie wir weiter vorgehen und wie es uns geht. Immerhin war die Situation sehr berührend. Ein paar Stunden später rief seine Frau an und sagte, dass wir uns langsam auf dem Weg machen könnten.

Als wir zurückkamen, wurden wir herzlich empfangen. Von der anfänglichen Trauer war nichts mehr zu spüren. Ich hatte das Gefühl, dass es allen guttat, zusammenzusitzen und zu sprechen. Abschließend machten alle Fotos – auch mit uns. Beim Abschied gab es dann doch nochmal Tränen.

Auf dem Weg zum Wagen wollte er sich nicht helfen lassen. Seine Mutter stand noch an der Tür. Erst als sie wieder in der Wohnung verschwand, zeigte er, wie erschöpft er eigentlich war. Kaum waren wir losgefahren, döste er auch schon weg. Ich unterhielt mich mit seiner Frau. Gelegentlich wachte er auf, ergänzte eine Kleinigkeit und schlief wieder ein.

Ich sagte zu ihm: "Das Bett ruft"

Die letzten Meter zu seiner Wohnung mussten wir ihn stützen. "Ihr Bett ruft schon nach Ihnen“, sagte ich, während ich seinen Arm hielt. "Das habe ich schon in Paderborn gehört“, entgegnete er, während er sich stöhnend auf sein Bett setzte. Doch hinlegen wollte er sich erstmal nicht. Stattdessen redeten wir noch ein wenig.

Er erzählte, dass er Hobbykoch sei. In diesem Jahr erschien sogar noch ein Kochbuch, zu dem er auch Rezepte beisteuerte. Wie wunderbar, dass er sich damit noch so beschäftigt hatte.

Ich habe noch oft an ihn gedacht. Die Freude in seinem Gesicht, als er seine Eltern sah und die Zufriedenheit, als wir wieder wegfuhren. Diesen Anblick werde ich nicht vergessen. Und hoffe, noch vielmehr solcher Wünsche erfüllen zu können.

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Protokoll von Tim Kröplin.

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