Der sogenannte Werther-Effekt ist in der Medienwirkungsforschung und Sozialpsychologie schon länger bekannt. Er beschreibt das Phänomen, bei dem die öffentliche Berichterstattung über einen Selbstmord zu Nachahmungstaten führen kann, insbesondere bei medienwirksamen oder stark emotional aufgeladenen Fällen.
Benannt ist der Effekt nach der literarischen Figur Werther aus Johann Wolfgang von Goethes "Die Leiden des jungen Werther". Darin nimmt sich der Protagonist aufgrund unerwiderter Liebe das Leben. Nach der Veröffentlichung des Werks im Jahr 1774 soll die Zahl der Suizide deutlich zugenommen haben.
Expert:innen warnen immer wieder, dass solch ein Effekt auch durch Social Media eintreten kann. Ohnehin sind Tiktok, Instagram und ähnliche Apps nicht für eine Vielzahl positiver Effekte auf die psychische Gesundheit bekannt – im Gegenteil. Viele beklagen eine Suchtgefahr, Cybermobbing und ein abnehmendes Selbstwertgefühl der User:innen.
Ein Forschungsteam aus Wien hat nun zur Abwechslung aber eine positive Wirkung der sogenannten sozialen Netzwerke bestätigt. Demnach können Social-Media-Posts, in denen Menschen davon berichten, wie sie suizidale Gedanken bewältigt haben, eine präventive Wirkung auf Betroffene mit ähnlichen Gedanken haben. Darüber berichtet unter anderem die österreichische Zeitung "Der Standard".
In einem Beitrag in der Fachzeitschrift "Social Science & Medicine" berichten die vier Forscher, dass sie den Instagram-Account von Kevin Hines als Datengrundlage herangezogen haben, der selbst einen Suizidversuch überlebt hat und nun das Bewältigen psychischer Krisen auf Social Media thematisiert.
Einem Teil der rund 350 Proband:innen seien die Beiträge von Hines gezeigt wurden, die Kontrollgruppe bekam hingegen ähnliche Posts, ohne Bezug zum Thema Suizid beziehungsweise Bewältigung psychischer Krisen zu sehen. Vor und nach dem Zeigen der Postings wurden die Studienteilnehmer:innen mittels Fragebögen zu ihrer Suizidalität und der Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen, befragt.
Das Ergebnis macht Hoffnung: Nicht nur verringerten sich nach der Auswertung bei Betroffenen die Ausprägung suizidaler Gedanken. Die Social Media-Beiträge verstärkten auch die Bereitschaft, sich bei Selbstmordgedanken Unterstützung zu suchen.
Die Forscher:innen betonen deshalb, dass im digitalen Zeitalter auch Influencer:innen eine bedeutende Rolle bei der Suizidprävention einnehmen können. Zumal durch die Social-Media-Postings auch Nicht-Influencer:innen dazu bewegt werden können, ihre persönliche Geschichte mit Suizid öffentlich zu teilen, was wiederum anderen Menschen helfen kann.
Dieser Effekt wird als "Papageno-Effekt" bezeichnet und lässt sich quasi als Gegenstück zum "Werther-Effekt" verstehen. Und das ist aus Sicht des Forschungsteams besonders relevant, weil Influencer:innen vor allem junge Menschen erreichen, unter denen die Selbstmordrate im Vergleich zu anderen Altersgruppen höher sei.