Frauen haben es innerhalb der meisten Weltreligionen traditionell schwer mit der Gleichberechtigung: Das kennt man aus dem Christentum, dem Hinduismus oder dem Islam.
Das Judentum ist einigen Religionen in feministischer Hinsicht jedoch schon weit voraus: Die weltweit erste Rabbinerin gab es in Deutschland schon 1935 – Regina Jonas, die später im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Die jüdische Feminismus-Bewegung entstand in den 1970er Jahren in Amerika und schwappte auch nach Deutschland. Zwar gibt es inzwischen wieder deutsche Rabbinerinnen, mit Helen Braun sogar eine queere, doch auch hier gibt es in Sachen Gleichberechtigung noch Luft nach oben.
Das Judentum ist nicht nur eine Religion, sondern auch eine Gemeinschaft. "Jüdische Gemeinden sind auch soziale Räume. Und in diesen sozialen Räumen geht genauso viel schief wie gesamtgesellschaftlich auch, was die feministische Ermächtigung betrifft", sagt Laura Cazés.
Cazés ist Jüdin und Feministin. Sie ist Mitinitiatorin des Jewish Women Empowerment Summit und arbeitet in der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Außerdem hat sie das Buch "Sicher sind wir nicht geblieben. Jüdischsein in Deutschland" herausgegeben.
"Interessant ist ja erst mal, dass jüdische Feministinnen auch den deutschen Feminismus total geprägt haben", sagt sie watson im Gespräch. Diese erste Welle des Feminismus und ihrer Pionierinnen sei durch den Völkermord an den Juden, die Shoah, in Deutschland vollkommen in Vergessenheit geraten.
Auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden wurde von jüdischen Feministinnen gegründet: Bertha Pappenheim, Sidonie Werner, Alice Salomon und Hannah Karminski. Diese waren nicht nur Sozialpionierinnen der ersten und zweiten Stunde, deren Errungenschaften vergessen wurden. Auch in der Arbeiter:innenbewegung waren sie aktiv.
"Sie hatten verstanden, dass Frauenthemen soziale Themen sind und umgekehrt". Damit hätten sie die deutsche Wohlfahrt, so wie wir sie heute kennen, maßgeblich mitgeprägt. "Man hat deutschen jüdischen Feministinnen ganz schön viel zu verdanken und erkennt das gar nicht an."
Zur Rolle der Frau im Judentum sagt Laura Cazés:
Meist liegt der Fokus auf dem reformierten Judentum. Aber auch in bestimmten Ausprägungen des orthodoxen Judentums gebe es viele Frauen, die feministische Perspektiven mit einbringen. "Diese Frauen bezeichnen sich auch als orthodoxe Feministinnen."
Der orthodoxe jüdische Feminismus versucht, anders als etwa das Reformjudentum oder die Rekonstruktionisten, die Rolle der Frau von der Halacha, dem jüdischen Gesetz, ausgehend zu verändern.
Zwar gebe es in Deutschland Zusammenschlüsse wie "Bet Debora", ein 1998 gegründetes, europäisches Netzwerk jüdischer Feministinnen. Jüdische, feministische Organisationen gebe es in Deutschland aber noch nicht. "Weil wir an einem Punkt sind, an dem wir erst mal überhaupt für uns auf Basis unserer Nachkriegsgeschichte der jüdischen Community verstehen müssen, was jüdischer Feminismus in Deutschland heute ist." Dies sei auch der Grund dafür, dass 2019 der Jewish Women Empowerment Summit ins Leben gerufen wurde.
Cazés hofft, dass mit dieser jährlich stattfindenden Veranstaltung weitere Strukturen entstehen. Zwar gebe es schon einige feministische Organisationen, wie den Jüdischen Frauenbund, doch dieser sei "eine eher mäßig aktive Organisation". All das seien Strukturen, die es erst langsam wieder aufzubauen gilt.
Dabei helfe es auch kaum, wenn jüdische Frauen in der zeitgenössischen Popkultur sehr stereotypisch dargestellt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die überfürsorgliche Mutter in der Kultserie "The Marvelous Mrs. Maisel", in der sich eine jüdische Frau im Amerika der 50er Jahre scheiden lässt und um ihre Emanzipation als weiblicher Comedian kämpft.
"Im Film sind jüdische Frauen entweder unterdrückt oder sie sind übertrieben bemutternd, muten neurotisch an und sind irgendwie grenzüberschreitend. Mehr haben wir als Angebote eigentlich kaum", kritisiert Cazés die kulturelle Perspektive auf jüdische Frauen in Deutschland. "Es gibt einerseits die Exotisierung von Randgruppen, die überhaupt nicht repräsentativ sind für das Gros der jüdischen Community. Und auf der anderen Seite die sehr selektive Wahrnehmung bestimmter Figuren, die wir als typisch jüdisch wahrnehmen."
Doch was fehlt, ist der Kontext: "Dieser Topos der überfürsorglichen Mutter ist vielleicht nicht nur dadurch geprägt, dass die Mutter jüdisch ist, sondern weil das etwas mit transgenerationalem Trauma zu tun hat", so die gelernte Psychologin Cazés.
Ein anderes Beispiel ist die hochgelobte Erfolgsserie "Unorthodox" von Deborah Feldman, bei der das orthodoxe Judentum "eine sektenartige Struktur" vorweise.
Das Problem sei aber, dass uninformierte Personen sich mit solchen Stereotypen ein verzerrtes Bild vom Judentum machen würden: "Menschen glauben, es zu verstehen und laden es mit einem Zerrbild der Unkenntnis über jüdisches Leben auf." Was dabei fehlt, sei die Auseinandersetzung der Nicht-Juden mit der Tatsache ihrer eigenen biografischen Verstrickung mit der Abwesenheit des Judentums in Deutschland.
Diese strukturelle Marginalisierung jüdischer Menschen, besonders von vulnerablen jüdischen Menschen, sind für Cazés ebenfalls feministisch-jüdische Themen in Deutschland.
Abgesehen von der Selbstpositionierung der feministischen Community, beschäftige die Jüdinnen eigentlich das gleiche wie alle anderen jungen Frauen: Die Fragen von Karriereperspektiven, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sexueller Selbstbestimmung und genereller Selbstbestimmung.
Trotzdem gebe es einige zentrale Punkte für die Aushandlung jüdischer-feministischer Positionen in Deutschland. Das eine sei die Kultivierung von jüdisch-feministischer Selbstbestimmung. "Das andere ist, dass jüdische Perspektiven in queer-feministischen Räumen nicht mit einbezogen werden", sagt Cazés. Oft fehle das Verständnis für die Realität jüdischen Lebens: "Jeder kennt das Wort Jude, weiß aber nicht so richtig, was es bedeutet, heute in Deutschland als jüdische Person zu leben." Mit dieser Diskrepanz müsse man sich auseinandersetzen, findet sie:
Bilder, die bestimmen, wie wir jüdische Menschen in Deutschland sehen und mit ihnen umgehen.