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Zentrum für Politische Schönheit im Interview über Afghanistan und Zivileinsatz

210817 -- KABUL, Aug. 17, 2021 -- Taliban fighters are seen on a military vehicle in Kabul, capital of Afghanistan, Aug. 17, 2021. Normality has returned to Kabul, capital of Afghanistan as the Taliba ...
Bewaffnete Taliban sind überall in Kabul. Afghanische Helfer ausländischer Regierungen können sich nicht mehr sicher fühlen.Bild: www.imago-images.de / Stringer
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"Zentrum für Politische Schönheit" über ihr Safe House in Afghanistan: "Wir reden nicht davon, ob irgendwer es rauschafft. Wir reden davon, wann sie sterben"

19.08.2021, 13:43
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Die Situation in Afghanistan ist nach dem Sieg der radikalislamischen Taliban erschütternd: Safe Houses – versteckte Unterkünfte, in denen sich ehemalige afghanische Helfer der Nato-Staaten versteckt hielten – wurden aus Furcht vor den Taliban aufgelöst. Das die eine "Generalamnestie" versprechen, also Straffreiheit auch für die, die für andere Länder oder die Regierung in Kabul gearbeitet haben, beruhigt noch niemanden. Es gibt Berichte, wonach Mitglieder der Taliban von Haus zu Haus gehen und Bewohner kontrollieren.

Das "Zentrum für politische Schönheit" – ein Zusammenschluss von Aktionskünstlern – hatte vor vier Wochen in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein Safe House eingerichtet, das nun aufgelöst werden musste.

Viele Afghanen und Afghaninnen mussten ihr Zuhause verlassen.
Viele Afghanen und Afghaninnen mussten ihr Zuhause verlassen.Bild: Getty Images Europe / Paula Bronstein

Watson hat mit Philipp Ruch, dem künstlerischen Leiter des Aktionsbündnisses, über dieses Projekt und die Situation der Menschen in Kabul gesprochen.

watson: Wie ist die Lage vor Ort?

Philipp Ruch: Vor vier Wochen haben wir ein Safe House in Kabul errichtet, da war klar, dass die Sicherheitslage in Afghanistan eskaliert. Kurz danach wurde auch die Stadt Kundus im Nordosten Afghanistans eingenommen. Für die Einrichtung einer solchen Anlaufstelle war es also genau der richtige Moment. Da galt Alarmstufe rot und es war einfach klar: Wenn man hier Menschenleben retten will, dann jetzt. Ich halte das wirklich für einen der wichtigsten Momente, vielleicht auch später in der westlichen Geschichte, weil wir ja wissen, was Terrorstaaten gerne tun. Und wenn wir in 50 Jahren irgendwelche atomaren Bomben gezündet kriegen in Europa, dann sollten wir an den Moment vor vier Wochen zurückdenken.

Wer war in diesen Safe Houses?

Das Safe House war für die Hilfskräfte, also sozusagen unsere Alliierten in der afghanischen Zivilbevölkerung. Das waren zum Beispiel Übersetzer oder Menschen, die der Bundeswehrwehr geholfen haben, mitsamt ihren Familien. Das waren so etwa an die 90 Leute mit Familienangehörigen. Leute, die berechtigt sind, Hilfe vom Deutschen Staat zu bekommen – nachdem sie uns geholfen haben, für Demokratie und Menschenrechte in ihrem Land zu kämpfen. Wir, das Zentrum für Politische Schönheit, haben dieses Safe House finanziert, also die Miete gezahlt – ein hoher fünfstelliger Betrag. Die ganze Anlage, in dem das Safe House ist, kam von den Amerikanern, das hatten die vorher wahrscheinlich fast 20 Jahre lang gemietet.

Wie konnten Sie das viele Geld für die Miete aufbringen?

Das kommt alles aus Privatspenden. Die deutsche Zivilbevölkerung hat enorme Summen gespendet, um zu helfen, das ist großartig.

Was sind das für Gebäude?

Das Safe House hat etwas von einem Resort, es ist fast Hotelartig. Aber Hotels wären natürlich niemals so teuer. Hier geht es vor allem darum, dass es beispielsweise Eingangstore aus Beton gibt oder sogenannte Nadelöhre, die man gut verteidigen kann. Deswegen hatten die Amerikaner das auch als ihre Basis genutzt. Die Vermieter haben uns dieses Haus freundlicherweise zur Verfügung gestellt, um das Safe House einzurichten. Da waren auch Soldaten mit an Bord, die uns beraten haben und die meinten, dass das Haus gut zu verteidigen ist und man hier Menschen schützen kann. Das gilt aber natürlich nicht für den Fall, dass die ganze Stadt Kabul fällt.

Wo sind die Menschen, die im Safe House waren, jetzt?

Das Safe House ist leer, es ist verlassen. Der Kontakt zu den Bewohnern ist abgebrochen, komplett weg. Die Menschen sind in alle Richtungen geflohen. Es ist dramatisch, wenn man die Gruppen der Helfer auf den Social-Media-Plattformen beobachtet: Man sieht, wie die Teilnehmer von etwa 1800 auf eine Handvoll Leute schrumpfen. Das ist aber auch logisch: Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor dem Taliban und der kontrolliert Ihr Handy.

Warum sind die Menschen aus dem Safe House erst jetzt geflohen? War die schlimme Situation, wie Sie bereits erwähnten, nicht bereits absehbar?

Das ist ja das Schlimme: Diese Helfer haben gedacht, sie kriegen ein Visum von Deutschland und werden dann gerettet und ausgeflogen. Sonst wären sie ja selber aus dem Land geflohen. Sie hätten vorher über Pakistan oder Tadschikistan fliehen können. Das haben diese Menschen bewusst nicht gemacht, weil sie auf die deutsche Botschaft vertraut haben und dachten, sie werden evakuiert.

Was können diese Menschen jetzt tun? Aus dem Land fliehen, sich woanders verstecken?

Viele der Helfer sind nicht aus Kabul selbst, sondern aus dem ganzen Land, zum Beispiel aus Kundus. Jetzt versuchen Sie mal in einer Hauptstadt, in der Sie keinen kennen, mit einer sechsköpfigen Familie unterzukommen. Wir reden nicht davon, ob irgendwer es rausschafft. Wir reden davon, wann sie sterben. Wann sie von den Taliban aufgegriffen und als Feinde hingerichtet werden.

Gibt es für sie überhaupt keine Chance, zum Flughafen durchzukommen?

Das ist ja das völlig Absurde: Diese Helfer sollen es irgendwie zum Flughafen schaffen und dort sollen sie dann nachweisen, für die deutsche Regierung gearbeitet zu haben. Also sollen sie ihre Verträge mitnehmen. Wenn sie am Taliban Checkpoint sind und dort die Verträge entdeckt werden, sind sie sowieso tot. Das Ganze läuft völlig planlos ab. Wobei ich sagen würde, es handelt sich nicht um Planlosigkeit, sondern um eine absolute Boshaftigkeit seitens der hier Verantwortlichen.

Was haben Ihnen die Leute im Safe House gesagt, bevor der Kontakt abbrach?

Es gibt keine Hoffnungen mehr. Es gibt nichts mehr zu sagen, wenn Sie wissen, dass Sie sterben werden.

Was werfen Sie der deutschen Regierung konkret vor?

Die deutsche Regierung hat beschlossen, sich die Menschen mit Bürokratie vom Leib zu halten. Die haben gesagt, ihr braucht hier ein Visum und dann braucht ihr wahrscheinlich noch einen Pass, weil den viele Afghanen gar nicht haben. Und dann müssen sie das in die Hauptstadt bringen. Die deutsche Botschaft und die deutschen Konsulate wurden ja relativ schnell geschlossen, schon vor Wochen. Die deutsche Regierung hat gesagt, sie hätten 2400 Visa ausgestellt, die aber nie vergeben worden sind. Diese wurden anscheinend an die Organisation IOM (Internationale Organisation für Migration Deutschland) übergeben, die in Kabul vermeintlich ein Büro betreiben, aber das haben sie nie getan. Meiner Information zufolge wurde das zumindest nie eröffnet, auf alle Fälle war es vor vier Wochen nicht offen.

Die Taliban haben die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und kontrollieren die Landesgrenzen.
Die Taliban haben die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und kontrollieren die Landesgrenzen.Bild: www.imago-images.de / STR

Sie meinen damit, Deutschland hat die Menschen hier absichtlich im Stich gelassen?

Wenn man ernsthaft etwas hätte tun wollen für diese Menschen, dann hätte man das vor vier Wochen tun müssen. Wir werfen unserer Regierung vor, dass sie dachten, das mit den Afghanen und Afghaninnen als Menschen dritter Klasse machen zu können. Sie dachten, dass es niemanden hier in Deutschland interessieren würde. Und diese Art des Mitgefühls und dieser kollektive Aufschrei, das ist ja fast ein Bevölkerungsaufschrei – damit hat, glaube ich, niemand gerechnet. Es gab schon viele schlimme Situation in den vergangenen Jahren wie auch in Syrien. Aber noch nie kann ich mich an eine vergleichbare Welle der Empathie erinnern.

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