
Josi Wismar macht es sich auf der Bestseller-Liste bequem.Bild: HENDRIK HAMELAU
Interview
Vom Bildschirm auf die Bestsellerliste: Wer es schafft, von der Booktok-Community gefeiert zu werden, kann auch heute noch mit Büchern Geld verdienen. Josi Wismar ist selbst Creatorin und mittlerweile Autorin.
23.04.2025, 10:4623.04.2025, 10:46
Zum ersten Mal wurde auf der Leipziger Buchmesse der Ticketverkauf begrenzt, weil einfach zu viele Menschen Bücher kaufen und lesen wollten. Was wie eine Utopie klingt, ist 2025 Realität. Lesen liegt wieder im Trend. Der "Rory Gilmore"-Lifestyle, bei dem man immer ein Buch dabei hat, ist vor allem bei jungen Menschen beliebt.
Das liegt unter anderem auch am Phänomen Booktok: Unter diesem Hashtag wurden auf Tiktok schon über 50 Millionen Beiträge veröffentlicht, in denen Bücher besprochen und rezensiert werden. Einige dieser Beiträge hat Josi Wismar gepostet. Sie ist auf der App als Creatorin unterwegs, bewertet Bücher, die sie gelesen hat und schreibt mittlerweile selbst. Sie ist "Spiegel"-Bestseller Autorin und hat 2024 den Tiktok Award in der Kategorie "Booktok-Autorin" gewonnen.
Mit watson spricht sie darüber, wie dicke Wälzer und kurze Videos zusammenpassen und wie sie auf kritische Stimmen reagiert.
watson: Nehmen wir mal an, Social Media wird morgen abgestellt. Was tust du?
Josi Wismar: Erstmal weinen, weil ich gar nicht mehr weiß, wo ich meine Buchtipps herbekomme, um in den Buchladen zu gehen. Und dann vielleicht ein bisschen weniger Bildschirmzeit haben. Ich würde hoffen, dass es Alternativen gibt, um sich weiterhin mit der Buchcommunity zu vernetzen. Das würde ich richtig vermissen.
Literatur ist ja eher langsam und Tiktok ist extrem schnelllebig. Wie passt das überhaupt zusammen?
Eigentlich erst mal gar nicht und das ist das Spannende. Booktok hat die Buchwelt gezwungen, schneller zu werden und darauf zu reagieren. In Buchhandlungen wurden Tische aufgebaut, auf denen "Booktok-Empfehlungen" steht. Und dann gibt es eben diese Awards, diese Shows. Auf Buchmessen müssen Stände neu geplant werden, weil sie überrannt werden.
"Man dachte, dass alle nur noch digital oder sogar nur am Handy lesen. Aber der komplett gegenteilige Effekt ist eingetreten."
Wie würde die Buchbranche heute ohne Tiktok aussehen? Wäre sie pleite, wäre sie weg oder wäre sie einfach anders?
Sie wäre auf jeden Fall immer noch in der Krise. Sie würde immer noch auf diese ganze Literatur, die aktuell den Markt dominiert, mit einem Lachen herunterblicken. Diese Literatur sorgt jetzt dafür, dass schwarze Zahlen geschrieben werden. Sie hält Verlage am Laufen, die vorher in der Krise waren. Nur deshalb können andere Titel gedruckt werden. Auch Titel, die hohe Literatur sind – was auch immer das sein soll.
Was war der überraschendste Effekt?
Viel mehr junge Leute lesen wieder, viel mehr Leute kaufen Bücher. Am Anfang war da diese Angst vor den E-Books. Man dachte, dass alle nur noch digital oder sogar nur am Handy lesen. Aber der komplett gegenteilige Effekt ist eingetreten. Alle rennen in den Buchladen und wollen diese Bücher haben.
Wo wärst du heute, wenn du dich bei Tiktok niemals angemeldet hättest?
Wahrscheinlich nicht auf Buchmessen – oder zumindest nicht auf der Bühne. Ich wäre irgendwo in einem sehr unglücklichen Studium, was ich nach 17 Semestern immer noch nicht beendet hätte, weil es gar nicht das ist, was ich machen will.
Wie lief damals dieser Schritt von der Booktokerin zur Autorin?
Ich habe in der Buch-Community mitbekommen, dass es den NaNoWriMo gibt, also den National Novel Writing Month. Der fällt in den November und man versucht da, 50.000 Wörter zu schreiben. Und ich habe mir diesen Monat genommen, um zu sagen: Ich plotte mein Buch. Ich schreibe also grob die Handlungsstränge auf. Ich habe dann gemerkt, dass an dieser Idee wirklich etwas dran ist, ich habe tagelang an nichts anderes gedacht.
Wie geht es dann weiter, wenn aus der Idee ein Buch werden soll?
Ich habe gesehen, dass viele Leute online geteilt haben, dass sie jetzt eben auch diesen Schritt in die Literatur gehen. Sie haben geteilt, dass es Literaturagenturen gibt, dass man eben Agenten braucht, die das für einen an den Verlag bringen. Dass man selbst an große Publikumsverlage gar nicht mehr kommt.
"Früher wurden Jane Austens Werke als schundhafte Frauenliteratur bezeichnet. Heute wird jeder gelobt, der sie im Regal stehen hat."
Wurdest du auch unterstützt?
Ich habe mich mit anderen Autorinnen ausgetauscht und die haben mir gezeigt, wie das geht. Es war schön, von anderen Autorinnen unter die Fittiche genommen zu werden. Dann hatte ich meine Literaturagentur und dann ging das so seinen Weg.
In einem Interview hast du mal gesagt, dass du unbedingt auf die "Spiegel"-Bestseller-Liste willst. Das hast du jetzt geschafft. Was ist das nächste Ziel?
Einerseits wünsche ich mir natürlich, dass ich mal einen höheren Platz erreiche oder mich länger auf der Liste halte. Aber das sind sehr kapitalistische Ziele. Ansonsten führe ich seit ein paar Jahren eine sehr einseitige Fehde mit Dennis Scheck (dem Literaturkritiker, Anm. d. Red.), der ja sehr viel gegen Booktok sagt. Er bezeichnet diese Literatur als regalfüllenden Schund.
Wie willst du ihn konfrontieren?
Von meinem neuen Buch wird es eine Hardcover-Ausgabe gegeben. Er bespricht einmal im Monat Hardcover-Bestsellerlisten. Ich glaube zwar nicht, dass das mit diesem Buch klappt, aber stell' dir vor, Dennis Schek muss mein Buch lesen, das wäre für mich ein Full-Circle-Moment.
Du schreibst ja selbst auch New-Adult-Bücher, das Genre ist auf Tiktok wahnsinnig beliebt. Wie reagierst du auf Kritik an dieser Literaturgattung?
Das ist eine Diskussion, die wir seit Hunderten von Jahren führen. Früher wurden Jane Austens Werke als schundhafte Frauenliteratur bezeichnet. Heute wird jeder gelobt, der sie im Regal stehen hat. Keine Ahnung, ob wir in 100 Jahren auch dafür gelobt werden, New Adult-Bücher im Regal stehen zu haben, aber ich habe noch nie verstanden, warum man Bücher in gut und schlecht unterteilen muss. Das definiert prinzipiell nur eine Person. Meistens alte weiße Männer, die im Feuilleton arbeiten. Aber es ist ein individuelles Leseerlebnis.
Was würdest du anderen empfehlen, die als Booktoker:in oder sogar als Autor:in durchstarten möchten?
Man muss authentisch sein. Die Leute merken das, wenn Personen sich verstellen und man selbst wird auch nicht dranbleiben. Es macht keinen Spaß, wenn man jedes Mal versucht, anders zu sein.
Wie erreicht man möglichst viele Menschen?
Man muss sich Zeit geben. Consistency is key. Man wird nicht über Nacht berühmt. Man will das auch gar nicht. Einfach langsam eine Community aufbauen, Meilensteine wertschätzen. Und wenn nur 200 Leute das Video gucken, dann stell' dir mal die 200 Leute in einem Raum vor! Das ist schon richtig, richtig cool.
"In die Schulen zu gehen und zu sagen, legt euer Handy weg und hier ist ein Buch, wird nichts bringen."
Und was ist wichtig, um als Autor:in ein Publikum zu finden?
Als Autorin sollte man sich selbst als Teil der Community sehen. Man steht nicht über den Leser:innen, man ist ein Teil von ihnen.
Wie bringt man junge Menschen zum Lesen?
Man muss akzeptieren, dass sie viel am Handy hängen und damit etwas anfangen. In die Schulen zu gehen und zu sagen, legt euer Handy weg und hier ist ein Buch, wird nichts bringen. Die sind ganz anders aufgewachsen als wir. Wenn die sehen, dass es auch Streamer und Influencer gibt, die lesen, dann verbindet das. Bücher können digital und gleichzeitig offline und dabei cool sein.
Noch eine schwierige Frage zum Abschluss: Was ist dein Lieblingsbuch?
Das ist jetzt wirklich schwer! Das eine Lieblingsbuch hat doch niemand von uns.
Ich schon.
Okay, na gut. Aktuell sage ich immer "Rubinrot" von Kerstin Gier, weil es für mich einfach der Anfang war. Damit habe ich meine Leseliebe wieder neu entdeckt und das ist etwas, das ich diesem Buch nie vergessen werde.