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Toni Willkommen zum Tag der Deutschen Einheit: "Einheit gut, alles gut?"

Toni Willkommen Podcast Deutsche Einheit
Toni ist ein Jahr vor der Wende in Sachsen geboren.Bild: privat
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Toni Willkommen ist fast so alt wie die Deutsche Einheit: Wie sich ein Sachse in Hamburg fühlt

04.10.2023, 11:2904.10.2023, 11:30
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Es ist inzwischen 34 Jahre her, dass die Berliner Mauer fiel und aus zwei Ländern eine Republik wurde. Doch selbst eine Generation später fühlen sich viele Menschen in Deutschland nicht so ganz vereint. Woran liegt das und wie können wir uns annähern?

Watson sprach darüber zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Podcaster Toni Willkommen ("Einheit gut, alles gut"). Ein Gespräch über Begrüßungsgeld, Demokratieskepsis und die Unterrepräsentanz der Ostdeutschen.

Toni Willkommen Podcast Deutsche Einheit
Toni Willkommen wünscht sich Einheit.Bild: privat

Watson: Du wurdest 1988 in Sachsen geboren und bist damit etwa so alt wie die Einheit.

Toni Willkommen: Ich war ein Jahr alt, als die Mauer fiel. Für mich gab's also auch schon die 100 Mark Begrüßungsgeld. Davon kauften meine Eltern ein Plüschtier für mich. Vom Rest des Geldes gab es ein Küchenradio.

Dann bist du also nur ein Jahr ostdeutsch gewesen. Oder bleibt man das ein Leben lang?

Ich identifiziere mich schon als Ostdeutscher, auch wenn ich es auf dem Papier nur ein Lebensjahr war. Aber die Prägungen und Werte, die ich durch meine Eltern mitbekommen habe, basieren natürlich auf unserer Geschichte in Dresden, auf der Erziehung, Ansichten und der Sozialisierung aus der DDR. An vielen Stellen meines Verhaltens bin ich nach wie vor ostdeutsch.

Du bist dann nach Hamburg gezogen.

Ja, das ist mir echt schwergefallen, weil ich gern geblieben wäre. Aber die Karrieremöglichkeiten waren für mich in den westlichen Ländern einfach besser. Und in Hamburg gibt's auch Elbe.

"Dass die Vorteile unserer Freiheit gar nicht gesehen werden, macht mich traurig."

Wer "auswandert", erlebt oft einen Kulturschock. Erinnerst du dich an einen?

Ein großes Thema für mich waren Netzwerke. Wie pflegt man die? Die westdeutschen Kollegen und Kolleginnen haben ganz natürlich den Kontakt zu Menschen gesucht, die für sie nützlich waren, haben sich positioniert. Ich hatte keine Ahnung, wie das geht. Überhaupt: Wie greife ich nach Macht? Wie bewege ich mich in die erste Reihe? Viele Ostdeutsche halten sich lieber erstmal zurück; so müssen wir manchmal schauen, dass wir nicht untergehen, nur weil andere schneller reagieren.

Über den Podcast
"Einheit gut, alles gut" ist ein Podcast von Toni Willkommen, in dem Menschen mit ostdeutscher Herkunft über ihren Lebensweg berichten und über Chancen und Hindernisse der Deutschen Einheit sprechen. Alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge.

Und andersrum? Nimmst du beim Heimatbesuch Dinge wahr, die dir vorher nicht aufgefallen sind?

Total. Mir fällt auf, mit welchem Pragmatismus und welcher Demut viele Menschen aus dem Osten an Herausforderungen gehen und Dinge anpacken. Das imponiert mir sehr und ich empfinde das auch als eine absolute Stärke des Ostens. Auf der anderen Seite nehme ich aber auch wahr, dass viele Menschen schwermütig sind, so als müsse man sie zum Glück tragen. Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren. Weil ich immer denke: Leute, ihr habt jetzt viele Möglichkeiten. Aber in vielen Köpfen ist das anders. Da ist viel Enttäuschung und Missmut – und das lähmt.

Kannst du den Frust nachvollziehen?

Die innerdeutschen Lohnunterschiede sind nach wie vor real und auch, wie ungerecht das Kapital verteilt ist. Managementstellen in ostdeutschen Firmen wurden nach der Wende in großen Teilen mit westdeutschen Kräften besetzt, Abschlüsse nicht anerkannt, Existenzen endeten – daher kann ich die Wut in Teilen verstehen. Ich wundere mich trotzdem, dass sich einige Menschen in Ostdeutschland über das aktuelle politische System aufregen, dessen Freizügigkeit sie sehr gerne nutzen. Viele lieben den Urlaub im Ausland und wählen ihren Beruf frei. Dinge, die ihnen früher nur eingeschränkt möglich waren, weil sie in einer Diktatur lebten – schimpfen aber über die Demokratie. Dass die Vorteile unserer Freiheit von einigen gar nicht gesehen werden, macht mich traurig.

Alltags-Bilder aus der DDR

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Alltags-Bilder aus der DDR
Ein Pärchen mit Kleinkind beim Camping 1972 in Ostddeutschland.
quelle: imago stock&people / imago stock&people
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Wie gefährlich ist das politisch?

Wenn ich auf Heimatbesuch bin, wollen manche Leute mit mir nicht mehr über Politik sprechen. Alle spüren, dass der Spagat zwischen den Ansichten weiter wird. Nach der Wende wurden Versprechen an die Ostdeutschen gemacht, die gebrochen wurden. Das wirkt nach, das Vertrauen in Politik und die Medien ist bis heute niedriger als im Westen. Das ist ein sehr guter Brandherd und das nutzen politische Kräfte aus.

"Wir sprechen von Einheit, aber wie sind ostdeutsche Menschen und ostdeutsche Gedanken denn in unserer Gesellschaft integriert?"

Du meinst...

... momentan die AfD. Ich denke, die Zustimmung für diese Partei ist so stark, weil sich der Osten abgehängt fühlt – was er bei vielen Kriterien auch de facto ist. Im Osten herrscht eine gewisse Orientierungslosigkeit und eine größere Angst vor dem Fremden als im Westen. Bei dieser Angst setzt die AfD an. Außerdem hat man sich im Osten lange nicht mit Rechtsextremismus auseinandergesetzt, da wirken mehrere Faktoren zusammen.

Als Hamburgerin habe ich mich nie mit meiner innerdeutschen Identität befasst. Ist das mein Privileg, dass ich mich damit nicht auseinandersetzen muss? Sind "Wessis" quasi der alte, weiße Mann der Einheit?

Total spannende Frage. Ich glaube tatsächlich, dass der Westen unbewusst als "normal" bezeichnet wird, er setzt den Standard. Das spiegeln sogar die Medien wider. Bei Wahlen heißt es: Die Bundesrepublik wählte so und so, in Ostdeutschland wurde so und so gewählt. Westdeutschland ist sozusagen der Nullpunkt und dann wird geschaut, wie sich die Ost-Bundesländer im Vergleich dazu verhalten und diese Andersartigkeit hervorgehoben, meist leider auch negativ. Für einen Westdeutschen gibt es keine Notwendigkeit, seine Sicht zu hinterfragen, weil diese als neutral betrachtet wird.

Wir haben also keine deutsche Perspektive, sondern eine westdeutsche?

Das ist eines der großen Probleme. Wir sprechen von Einheit, aber wie sind ostdeutsche Menschen und ostdeutsche Gedanken denn in unserer Gesellschaft integriert? Etwa 20 Prozent der Bevölkerung hat ostdeutschen Hintergrund, aber das spiegelt sich nicht in den Chefetagen wider. (Anm.d.Red.: aktuelle Erhebungen des Elitemonitors nennen als Zahlen in der Wirtschaft 4,3 Prozent, in den Medien 8,1 Prozent oder der Justiz 2,1 Prozent). Es herrscht eine absolute Unterrepräsentanz. Die Gedanken einer großen Gruppe der Gesellschaft werden nicht abgebildet, es fehlt vielen Ostdeutschen an Vorbildern und dem Gefühl von politischer Selbstwirksamkeit. Manche fühlen sich im Ergebnis fremd geführt.

Dein Anliegen ist, dass Deutschland sich tatsächlich "eint". Was würde helfen?

Zum einen ist Ursachenforschung wichtig. Die Historie zu kennen, zu wissen, was viele Ostdeutsche erlebten, seitdem die DDR zusammenbrach. Ihnen zuhören, wie sie sich fühlen, ohne sofort zu werten. Woher kommt die Nähe zur AfD? Die Hintergründe zu verstehen, hilft. Deshalb ist es mir so wichtig, unterschiedlichen ostdeutschen Menschen eine Plattform zu geben.

"Ihre Ausbildungen, ihr Geld, ihr Ideologie waren auf einen Schlag nichts mehr wert."

Ostdeutsche mitdenken, ihnen Plattformen geben, sie auch als Führungspersonal in Betracht ziehen – das ähnelt den Forderungen vieler Frauen und LGBTQ+-Personen.

Ähnlich müssten wir diese Debatte auch führen. Ich bin gegen eine Quote, aber Unternehmen sollten sensibler sein in der Personalbesetzung. Die ostdeutsche Mentalität kann ein Gewinn sein. Diese Menschen haben den völligen Zusammenbruch ihres Systems erlebt. Ihre Ausbildungen, ihr Geld, ihre IIdeologie waren auf einen Schlag nichts mehr wert. Die meisten von ihnen haben sich aufgerappelt und diese Resilienz, diese Hemdsärmeligkeit können wir ruhig anerkennen. Das ist eine ziemlich tolle Eigenschaft.

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Was wäre politisch wichtig?

Dass Ostdeutschland als Standort attraktiver wird, um die Wirtschaftskraft der Region zu stärken. Es müssen Anreize geschaffen werden, damit mehr Unternehmen, vor allem große, in die neuen Bundesländer ziehen. Es wäre eine Chance, den Leuten dort das Gefühl zu geben: "Man braucht mich hier. Ich gehöre dazu."

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