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Plattenbau und Ostalgie: Der Podcast "Ostkinder" räumt mit DDR-Mythen auf

Danny Frede und Alexander Derno vom Podcast "Ostkinder"
Danny Frede (links) und Alexander Derno (rechts) vom Podcast "Ostkinder".null / Danny Frede / Alexander Derno
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Ketwurst, Datscha, Plattenbau: Der Podcast "Ostkinder" räumt mit DDR-Mythen auf

23.07.2023, 12:5823.07.2023, 13:03
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Westdeutschland in den Neunzigern, das waren die ersten Raves, viel Flokati und Buffalo-Schuhe. Für die in den Achtzigerjahren in Ostdeutschland Geborenen, die noch in der DDR ihre Kindheit verbrachten, sind die 90er vor allem geprägt durch den Zusammenbruch eines kompletten Systems. Aber es ist auch eine Ära des Aufbruchs, der Neugier und der Hoffnung.

Die Macher des Podcasts "Ostkinder 80/82", Alexander Derno und Danny Frede, sind Vorwende-Kinder. Alexander kommt aus Rostock, Danny aus Thüringen. Kennengelernt haben sie sich in Köln, wohin sie beide nach dem Fall der Mauer zu Beginn der Nullerjahre gingen. Sie stellten fest: Es gibt zwar Podcasts für die "Nachwende-Generation", doch kaum Angebote für die, die durch die DDR sozialisiert wurden und mitten im Umbruch der 90er erwachsen wurden.

Danny Frede und Alexander Derno vom Podcast Ostkinder
Danny Frede und Alexander Derno: Durch die DDR sozialisiert und im Umbruch der 90er erwachsen geworden.bild: Danny Frede

Mit "Ostkinder" wollen der Webdesigner Alexander und Danny, Grafiker und Künstler, diese Lücke füllen und ihre Erfahrungen aus einer deutsch-deutschen Perspektive erzählen. Watson sprach mit ihnen über Ketwurst, den Transformationsgalopp nach der Wende und ihre Kindheit in der DDR.

Watson: Was hat euch dazu gebracht, ein Podcast über eure Kindheit und Jugend in der DDR zu machen?

Alexander: Wir haben ja von der DDR gar nicht so viel mitbekommen. Aber sie prägt uns natürlich. Deswegen muss man eher sagen: Ein Podcast über ein Leben mit der DDR. Wir haben ganz viele ostdeutsche Erfahrungen, die im Westen gar nicht so richtig eine Rolle spielen. Und wir beide haben dann gesagt: Mensch, da muss noch was erzählt werden.

"Da ist etwas ganz tief bei uns drin, dieses Ostdeutsche ist da, ob man will oder nicht."
Alexander Derno

Danny: Wir sind Vorwende-Kinder, unsere Jugend hat sich von 1990 bis ins Jahr 2000 abgespielt. Es sind also Geschichten, für die die DDR eine Rolle spielt. Wir müssen aber vieles selbst erst recherchieren, weil wir das nur als Kinder erlebt haben.

Ihr sagt selbst, "Ostkinder" sei kein DDR-Podcast. Wo liegt der Unterschied?

Danny: Ich würde sagen, ein DDR-Podcast wäre entweder ostalgisch, oder ein Polit-Podcast, der nach dem System fragt: Was war die DDR? War das ein diktatorisches System? Das sind wir aber nicht, weil wir auf der persönlichen Ebene bleiben. Wir haben uns geschworen, egal was wir tun, worüber wir sprechen, wir werden nicht ostalgieren. Wir werden niemals sagen, "früher war alles besser", sondern einfach nur fragen: "Warum sind wir so, wie wir sind?"

Alexander: Der Podcast schlägt immer diese Kurve, von der näheren Beleuchtung der Vergangenheit zu dem, was das mit uns heute gemacht hat. Wir gucken auch immer bei unseren Themen: Hat uns das eigentlich berührt? Was hat das mit uns gemacht? Da ist etwas ganz tief bei uns drin, dieses Ostdeutsche ist da, ob man will oder nicht.

Danny: Das Futter kommt oft aus der Familiengeschichte bei mir. Wenn ich Alex erzähle, ich musste früher einmal im Jahr aus meinem Kinderzimmer raus für ein paar Tage, weil mein Bruder nach Hause kam, dann stellt sich die Frage: Wo war der eigentlich? Bei der NVA? Wie war das dort? Dann rufe ich meinen Bruder an und mache ein Interview über seine Zeit bei der NVA. So entstehen die Themen immer aus uns selbst heraus.

"In der DDR hat niemand Plattenbau gesagt, sondern Neubauwohnung. Das ist ein West-Wort."
Danny Frede

Habt ihr das Gefühl, ihr müsst für die Nachwende-Geborenen etwas bewahren?

Danny: Bewahren wollen wir nichts, eher das Gegenteil ist der Fall. Zum Beispiel haben wir über Ketwurst gesprochen, weil man die aus jeder Doku über die zehn schönsten Rezepte aus dem Osten kennt. Da stellte sich heraus, dass man die Ketwurst eigentlich nur in Berlin kennt, den DDR-Hotdog, Wurst im Brötchen mit Ketchup. Meine Eltern kannten das gar nicht. Das ist kein typisches DDR-Essen, sondern eine Berliner Spezialität. Und heute wird so getan, als hätte es das einfach überall gegeben. Mein Vater regt sich auch immer darüber auf, dass alle von Plattenbau sprechen, wenn es um die DDR geht. In der DDR hat niemand Plattenbau gesagt, sondern Neubauwohnung. Das ist ein West-Wort. Heute wird so getan, als hätte jeder Ossi Plattenbau gesagt. Wir räumen also auch mit Mythen auf.

Wo verortet ihr euch heute?

Alexander: Wir haben viel von dem noch nicht verstanden, was die deutsch-deutsche Geschichte ist. Das ist mehr als nur eine Identität, das ist vor allen Dingen eine Erfahrung, die 40 Jahre lang verkapselt war und die sich mit der Wende wieder ins gesamte Land eingebracht hat. Denn so wie Danny und ich sind ja sehr viele Menschen in den Westen gegangen. Daher ist Ostdeutschland heute an ganz vielen Orten in Deutschland vorhanden.

"Heimat ist nicht für alle gleich."
Danny Frede

Danny: Wir politisieren im Podcast auch ein bisschen, weil es nötig ist. Ich habe kürzlich Markus Lanz gesehen. Er sprach mit Werner Henning von der CDU, dem Landrat von Eichsfeld in Thüringen, und er sagte, dass man auf kommunaler Ebene eine Schicksalsgemeinschaft ist, in der man zusammenleben muss. Und ich denke, was er vergisst ist, dass ganz viele Leute aus dieser Schicksalsgemeinschaft entfernt wurden, weil wir abgehauen sind. Wenn man schwul, schwarz oder vielleicht Vietnamese war, hatte man in Eichsfeld in den Neunzigern oder 2000ern einfach das Gefühl, raus zu müssen aus diesem Umfeld im kleinstädtischen, nicht erwünschten. Heimat ist nicht für alle gleich.

Ostkinder Podcast
bild: Danny Frede

Also ostdeutsch ist nicht westdeutsch, aber ostdeutsch ist auch nicht gleich ostdeutsch?

Alexander: Ich glaube, ein Punkt, der uns von Westdeutschen unterscheidet, ist die Transformationserfahrung. Diese Erfahrung haben wir als Ostdeutsche alle, dass der Staat zusammenbricht und man auf einmal in einem anderen Staat lebt. Und die Auswirkungen dessen sind ja ganz breit gefächert: Von Angst und Unsicherheit bis hin zu totaler Neugierde und Aufbruchstimmung war irgendwie alles dabei. Die Menschen haben sehr unterschiedliche Dinge aus dem Bruch in ihrem Lebenslauf gemacht.

Das sagt auch der Soziologe Steffen Mau, Autor von "Lütten Klein": Das war ein regelrechter Transformationsgalopp. Es gibt die, die sich zurückgezogen haben und die, die einfach müde geworden sind von der Veränderung. Ich persönlich habe daraus eine ganz andere Geschichte gezogen. Die Anpassungsfähigkeit ist mir bis heute geblieben. Alle reden über KI und ich bin in meinem Job derjenige, der sich diesem Thema widmet und seit sechs Monaten dieses Pferd durchs Dorf reitet. Ich glaube, diese Differenziertheit wird meistens nicht wahrgenommen.

Wie bietet ihr für eure ost- und westdeutschen Hörer:innen gleichermaßen Identifikationsmöglichkeiten?

Alexander: Danny und ich bieten einfach persönliche Geschichten und ich glaube, das ist etwas, wo Leute zumindest erst mal andocken können. Man versteht, eine ostdeutsche Identität ist mehr als nur das, was man bei Galileo aus den Top-Ten-Rezepten der DDR lernen kann.

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Danny: Etwas ist mir noch wichtig: Wir müssen unsere ostdeutsche Kindheit aus der Scham herausholen. Ich finde, Pittiplatsch statt Gummibären-Bande geguckt zu haben, ist gut. Wir müssen uns emanzipieren und unsere eigene Kindheit mit neuen Augen sehen. Eine Kindheit, die im Plattenbau stattgefunden hat. Meine Mutter hat vier Kinder und hat Vollzeit gearbeitet. Mein Vater auch. Das ist eine andere Kindheit als eine westdeutsche. Aber manchmal auch genau gleich, wie beispielsweise im Ruhrgebiet. Wir haben sehr viele große Unterschiede in der Jugend gehabt, aber auch viele Gemeinsamkeiten.

"Mein Appell an Westdeutsche wäre, zu gucken, wo sind eigentlich die sozialen Gemeinsamkeiten?"
Danny Frede

Mein Appell an Westdeutsche wäre, zu gucken, wo sind eigentlich die sozialen Gemeinsamkeiten? Ich sage immer, das Einzige, was ich von meiner Mutter erbe, ist der Nudelsalat. Das Rezept. Mehr haben wir nicht gehabt und das prägt ein Leben. Aber es ist keine schlechte Kindheit gewesen und ich lasse mir meine gute Kindheit nicht schlecht reden.

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