Das Foto, das Ademir Karamehmedovic auf dem Berliner Christopher Street Day (CSD) zeigt, ist schon ein Jahr alt: "Queer Muslims exist" steht auf dem Plakat, das er hochhält. Nicht nur an diesem Tag setzt der heute 27-Jährige ein Zeichen für mehr Sichtbarkeit für queere Muslim:innen in Deutschland. Gemeinsam mit anderen Muslim:innen hat Ademir das Netzwerk q*wir gegründet, das unter dem Dach der Jungen Islamkonferenz queere Muslim:innen zusammenbringt.
Im Interview mit watson spricht Ademir über den Irrglauben, queer und muslimisch passe nicht zusammen, inwiefern Queerfeindlichkeit abgebaut werden kann und warum er enthusiastisch ist, wenn es um Gerechtigkeit geht.
Watson: Warum ist es dir wichtig, als queerer, muslimischer Mensch sichtbar zu sein?
Ademir Karamehmedovic: Viele haben ein Bild vom Islam, der unsere Grundwerte bedroht. Der Islam wird oft nur mit Terrorismus und Vollverschleierung verbunden und es wird behauptet, er wolle die westliche Welt einnehmen. Allerdings ist der Islam sehr vielfältig – und längst schon selbstverständlicher, friedlicher Teil Deutschlands. Mir ist es wichtig, die Vielfalt des muslimischen Lebens abzubilden. Dazu gehören queere Menschen, auch wenn das einerseits viele muslimische Communitys vor den Kopf stößt, und andererseits die deutsche Mehrheitsgesellschaft überrascht.
Wie zeigt sich, dass muslimische Communitys von queeren Muslim:innen vor den Kopf gestoßen werden?
Das zeigt sich in den Lebensrealitäten von queeren Muslim:innen. Es ist selten, dass Moscheegemeinden die Türen weit öffnen und sagen: Wir machen einen CSD-Brunch am Wochenende. In der muslimischen Community sind patriarchale Strukturen vorhanden, in denen neben strukturellem Antifeminismus und Antisemitismus auch Queerfeindlichkeit stattfindet. Zwar ist auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft patriarchal geprägt, aber viele muslimische Communitys in Deutschland sind das eben ein Stück mehr. Da kommt es vor, dass queere Menschen in ihren muslimischen Communitys diskriminiert werden.
Wird dir bei deiner Kritik an der muslimischen Community Rassismus vorgeworfen?
Wenn ich Kritik an der muslimischen Community übe, zu der ich selbst gehöre, mache ich das immer aus einem bestimmten Motiv heraus. Ich möchte an einer Gesellschaft arbeiten, in der alle ihren Platz haben und niemand ausgegrenzt wird. Ich kämpfe gegen antimuslimischen Rassismus und gegen Queerfeindlichkeit. So kann ich offen über bestimmte Problematiken sprechen. Wir dürfen das nicht den rechten Parteien überlassen.
Welche Erfahrung hast du als queerer Moslem in der muslimischen Community gemacht?
Meine Erfahrung ist sehr positiv, denn meine Eltern sind sehr liberale Muslime. Für meine Mama war es viel schlimmer, dass ich eine Zeit lang Schweinefleisch gegessen habe, als dass ich schwul bin. Es gibt immer mehr queere, muslimische Menschen, die in Deutschland ganz selbstverständlich leben. Das zeigt: Es ist nicht alles problematisch, was muslimisch ist. Nichtsdestotrotz fühlt man sich als queeres Kind oft falsch, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, die sehr patriarchal geprägt ist. Man spürt, dass man den starken Männlichkeitsidealen nicht entspricht. Und auch nicht entsprechen will.
Hadert man in solchen Situationen mit sich und seinem Glauben?
Ich höre häufig von Muslim:innen, dass sie gerade am Ende ihrer Pubertät mit ihrem Glauben und mit ihrer muslimischen Identität hadern. Das war bei mir genauso. Ich weiß noch, dass ich damals allen gesagt habe: "Ich bin deutsch, ich bin nicht muslimisch." Ich habe sogar meine Familie gebeten, mir nicht mehr zu den muslimischen Feiertagen zu gratulieren, weil mir das so fremd war.
Wie kam es zu einem Umdenken?
Irgendwann habe ich mit der queeren Community in Bosnien Kontakt aufgenommen und gemerkt: Queer und bosnisch-muslimisch, das geht zusammen. Man kann beide Identitäten miteinander vereinen. Aber das ist natürlich ein langer Prozess. Erst als erwachsener Mensch konnte ich sagen: Ich habe in der Moschee genauso meinen Platz, auch als queerer Mann. Das ist ein sehr empowerndes Gefühl.
Wie reagiert die queere Community darauf, dass du Moslem bist?
Vergangenes Jahr auf dem CSD haben mich viele mittelalte schwule, weiße Männer komisch angeschaut, als sie mich mit meinem Schild "Allah loves equality" gesehen haben. Ein paar haben mich angesprochen und wollten mir weismachen, dass das gar nicht ginge oder dass das nicht alle in der muslimischen Community so sehen. Grundsätzlich wird erwartet, dass man in queeren Spaces seine muslimische Identität ablegt, weil der Islam ja queere Menschen ablehne. Das ist aber falsch.
Wie kann dieser Irrglaube ausgeräumt werden?
Wir brauchen kultursensible LGBTQIA+ Politik. Das heißt, sie darf nicht nur für den weißen, schwulen Mann gemacht werden. Eine moderne Queerpolitik muss begreifen, dass die Community genauso vielfältig ist wie die Mehrheitsgesellschaft. Da geht es übrigens nicht nur um queere muslimische Menschen, sondern auch um queere jüdische und queere christliche Menschen. Auch von ihnen wird erwartet, dass sie ihre Religiosität an der Tür abgeben, sobald sie queere Räume betreten.
Wie kann Queerfeindlichkeit in der muslimischen Community abgebaut werden?
Indem wir klar und deutlich unsere Erwartungshaltung an muslimische Communitys formulieren und sagen: Der Islam in Deutschland ist so auszulegen, dass queere Menschen vollkommen daseinsberechtigt sind. Da bin ich nicht kompromissbereit, auch nicht zugunsten einer falsch verstandenen Toleranz.
Inwiefern bist du nicht kompromissbereit?
Ich rede nicht mit Vertreter:innen muslimischer Communitys darüber, ob Gott mich so in Ordnung findet, wie ich bin. Wir können gerne darüber reden, wie das Zusammenleben in Gemeinden ausgestaltet werden soll, wie viel Anteil wir dort bekommen. Darüber können wir uns auch streiten. Aber ich rede nicht darüber, ob ich falsch oder abnorm bin. Da muss es eine rote Linie geben, die nicht überschritten wird. Wer mir meine Daseinsberechtigung abspricht, ist menschenfeindlich, egal ob er das als Moslem, Christ, Jude oder Atheist tut.
Du bist Mitglied der SPD – und deswegen Gerechtigkeitsenthusiast?
Ich habe meine politische Heimat in der SPD gefunden. Sie ist die Partei, die Gerechtigkeit nach außen mit ihren Grundwerten vertritt. Aber es ist eigentlich ein Menschenbild, das dahintersteckt. Ich glaube, dass alle Menschen vor dem Gesetz und vor Gott gleich sind – egal, ob du arm bist, was du arbeitest, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung du hast. Alle müssen ihr volles Potenzial entfalten können. Und das ohne Hürden, die ihnen aufgrund bestimmter Merkmale in den Weg gelegt werden. Dieser Glaube macht mich enthusiastisch, wenn ich über Gerechtigkeit spreche.
Welche Zukunft wünschst du dir für Deutschland?
Queerness und der Islam sollen in Deutschland als etwas vollkommen Selbstverständliches wahrgenommen werden. In der LGBTQIA+ Community wird seit 20 Jahren darüber nachgedacht, wie wir alle Facetten queeren Lebens in Deutschland zusammen auf einen Nenner bringen können. Da gibt es auch Parallelen zur Integrationsdebatte. Am Ende muss es heißen: menschenwürdiges Leben für alle. Wenn Deutschland so weit ist und die Mehrheitsgesellschaft das akzeptiert, dann stellt sich eine Normalität ein. Dann müssen wir nicht mehr dafür kämpfen, als queere Muslim:innen sichtbar zu sein, weil wir ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind.