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Queer und Dorfkind: Ein schwuler Jugendlicher erzählt

Als schwuler Jugendlicher auf dem Land ist man immer noch eher die Ausnahme. (Symbolbild).
Als schwuler Jugendlicher auf dem Land ist man immer noch eher die Ausnahme. (Symbolbild). bild: pexels/ keira burton
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Wie "Pride" ist man auf dem Land? Ein queeres Dorfkind berichtet

11.06.2023, 09:22
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Paul ist 20 Jahre alt und wohnt im Speckgürtel von Berlin in einem Dorf. Geoutet ist er bereits seit sechs Jahren. Paul hat watson erzählt, wie sich das Leben als queerer Mensch auf dem Land, zu dem in der Stadt unterscheidet, wie akzeptiert schwule Liebe tatsächlich ist und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt.

Paul lebt gerne auf dem Land – selbst wenn es dort weniger queeres Leben gibt.
Paul lebt gerne auf dem Land – selbst wenn es dort weniger queeres Leben gibt. bild: privat

Im Dorf ist man inzwischen schon ein bisschen offener geworden für die Thematik Homosexualität. Die Leute sind schon deutlich entspannter als noch vor vier oder fünf Jahren. Ich selbst bin überall geoutet, es weiß jeder, dass ich schwul bin. Das finde ich ganz gut. Aber in Berlin ist es natürlich immer eine ganz andere Erfahrung. In Berlin hat man auch ja ganz andere Zugangspunkte, wie zum Beispiel diverse Schwulen-Clubs und -Bars.

Das Outing selber hat mich keine Überwindung gekostet. Mein Mindset war: Wer mich nicht akzeptiert, der braucht auch nicht in meinem Freundeskreis zu sein. Ich akzeptiere die Leute ja auch so wie sie sind, ich sage auch nicht, dass ich heterosexuelle Menschen eklig finde oder so. Aber ich kenne viele, die das Outing sehr viel Überwindung gekostet hat, im Freundeskreis oder in der Familie.

"Ich habe diese Angst vor dem Outing auch schon bei einem Jugendlichen in unserem Jugendclub erlebt."

Das ist genau das, wo ich mit meiner Jugendarbeit ein bisschen entgegenwirken und die Leute motivieren will. Ich sage ihnen: "Ihr seid so wie ihr seid und wer euch nicht akzeptiert, der braucht auch nicht in eurem Leben stattzufinden." Da helfe ich den Leuten auch gerne.

Ich habe diese Angst vor dem Outing auch schon bei einem Jugendlichen in unserem Jugendclub erlebt. Ich habe seine Sichtweise verstanden. Der Vater war nicht ganz so tolerant, aber wir konnten es dann mit den Eltern ganz gut klären. Wir haben gesagt: "Hören Sie zu, Ihr Sohn glaubt, dass er schwul ist, dass er auf Männer steht." Dem Vater hat es am Anfang nicht ganz so gefallen, mittlerweile akzeptiert er das. Aber wie gesagt, ich sehe mittlerweile eigentlich ganz gute Fortschritte auf dem Land, dass Homosexualität generell mehr akzeptiert wird.

Bei mir im Dorf gibt es aber nicht sehr viele andere schwule Männer, zumindest nicht, dass ich wüsste. Ein, zwei Leute kenne ich noch. Aber die sind nicht schon von vornherein in meinem Freundeskreis gewesen, sondern nach und nach dazugekommen.

Viele schwule Freunde hat Benny auf dem Land nicht (Symbolbild).
Viele schwule Freunde hat Benny auf dem Land nicht (Symbolbild). bild. pexels/arminrimoldi

Kaum Angebote für queere Menschen im ländlichen Raum

Ich bin viel im Jugendzentrum in Zossen unterwegs. Da sind wir gerade dabei, für den Juni oder Juli einen Workshop anzubieten zum Thema Aufklärung: "Wie lebt es sich als schwuler Mann in Deutschland?" Ich versuche auch immer, offen zu sein für die Neugier der Jugendlichen, wenn die zum Beispiel bei uns nachfragen: "Wie ist es eigentlich, schwul zu sein? Wie fühlt man sich als einziger Schwuler im Jugendclub?"

Solche Fragen beantworte ich den Jugendlichen auch. Ich gehe damit recht offen um. Wie gesagt, bei mir im Umfeld kennt jeder meine Sexualität.

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Blöde Sprüche bekommt man bis heute, das stimmt schon. Aber mittlerweile sieht man es nicht mehr ganz so schlimm. Wenn einmal ein nicht ganz so schöner Spruch von jemandem kommt, dann hört man darüber hinweg. Aber die Sprüche sind auch weniger geworden und viele – ich drücke es mal so sinnbildlich aus – gucken nicht mehr so obligatorisch drauf, wenn sich zum Beispiel zwei Männer oder zwei Frauen küssen.

"Viele Angebote für schwule Menschen auf dem Land gibt es aber nicht, egal welcher Art."

Das war am Anfang, ich bin jetzt seit circa sechs Jahren geoutet, noch ein bisschen anders. Da war es noch eine Besonderheit in der Gesellschaft und gerade auch im Dorf. Und mittlerweile wird es von der breiteren Masse schon akzeptiert.

Viele Angebote für schwule Menschen auf dem Land gibt es aber nicht, egal welcher Art. Auf kommunalen Ebene gibt es hier gar keine (Freizeit)angebote für queere Menschen.

Mein Bekanntenkreis ist ziemlich weit verstreut in ganz Deutschland und von einigen kriegt man mit, dass zum Pride Month nicht viel auf dem Land ankommt. Die kriegen gar nicht mit, dass Christopher Street Day ist. Das ist natürlich im Speckgürtel von Berlin deutlich anders. Ich versuche außerdem, so viele CSDs wie möglich mitzunehmen. Letztes Jahr war ich in Magdeburg, in Neustrelitz, in Leipzig, Halle und Berlin.

Der CDS ist für viele queere Menschen das kulturelle Highlight des Jahres.
Der CDS ist für viele queere Menschen das kulturelle Highlight des Jahres.bild: pexels/gotta be worth it

Schwule Bekanntschaften findet man nur über Apps

Trotzdem zieht mich eigentlich nicht wirklich viel in die Stadt. Ich bin eigentlich immer schon ein Dorfmensch gewesen. Zum Feiern gehe ich aber schon hauptsächlich nach Berlin. Ich bin nicht unbedingt der Partymensch, aber wenn, dann gehe ich in Schwulenbars wie die "3 DJs" in Wühnsdorf zum Beispiel. Ansonsten gehe ich hauptsächlich nach Berlin, die Anbindung von Wühnsdorf aus ist ja auch ganz gut.

"Das 'Problem' auf schwulen Dating-Apps ist, dass die meisten dort nicht nach einem Partner suchen, sondern eigentlich nur nach dem Einen."

Wenn es um das Dating geht, lernt man die Leute auf unterschiedliche Weise kennen. Aktuell bin ich seit zweieinhalb Monaten in einer Beziehung. Aber hauptsächlich lernt man sich durch Apps wie Grindr und Romeo kennen. Das "Problem" auf schwulen Dating-Apps ist, dass die meisten dort nicht nach einem Partner suchen, sondern eigentlich nur nach "dem Einen", sage ich mal.

Mit meinem jetzigen Freund bin ich tatsächlich durch einen Stammtisch zusammengekommen. Das ist ein sogenannter Pupplay Stammtisch. Was das ist? Ich drücke es immer gerne so aus: Menschen mit Hundemasken. Ich persönlich bin kein Puppy, sondern ein Herrchen. Manche üben es nur rein sexuell aus, andere als Hobbys. In der BDSM-Szene allgemein wird man, egal wie man ist, herzlich aufgenommen und empfangen.

Mich persönlich reizt das Spiel eher, wenn meine "Puppys" ihre Hoods (Fachbegriff für Hundemasken) aufsetzen, es ist zwischen uns meist ein Spiel. Hier geht es für mich um Vertrauen und Zuneigung. Hier kann man sein, wer man will und sich einfach mal vom Alltag fallen lassen und entspannen. Leider stellen sich viele etwas Falsches unter dem Begriff BDSM vor.

Kaum blöde Spruche, aber Klischees im Kopf

Ja, und dort haben mein Freund und ich uns kennengelernt. Ich laufe aber bei mir zu Hause auf dem Dorf kleidungstechnisch nicht wirklich andersherum als in der Stadt. Ich muss mich nicht verstellen. Klar, wenn ich privat unterwegs bin, kleide ich mich gemütlicher und ein bisschen entspannter. Und wenn ich auf eine Party gehe, ziehe ich mich natürlich etwas anders an. Aber es ist nicht so, dass ich mich da so stark aufbrezel, dass man mich nicht wiedererkennt.

"Trotzdem würde ich mir wünschen, dass auf dem Land auch so eine 'Akzeptanz' wie in Großstädten gäbe wie in Berlin und Köln."

Trotzdem würde ich mir wünschen, so doof es klingen mag, dass auf dem Land auch so eine "Akzeptanz" wie in Großstädten gäbe wie in Berlin und Köln. Da ist es nichts Besonderes, dass ein Schwuler genauso ein Mensch ist wie ein Heterosexueller. Leider werden da stellenweise immer noch ziemlich viele Unterschiede gemacht. Es wäre schön, wenn das nicht mehr so eine Besonderheit wäre und nicht mehr so ein Hingucker. Und dass vielleicht die Klischees verschwinden könnten.

Schwule Liebe ist auf dem Land immer noch keine Selbstverständlichkeit (Symbolbild).
Schwule Liebe ist auf dem Land immer noch keine Selbstverständlichkeit (Symbolbild).bild:pexels/ jeanbaptiste burbaud

Damals, als ich mich geoutet habe, kam zum Beispiel von einigen Leuten der Satz: "Du bist schwul, du stehst ja jetzt auf mich." Wo ich dann sage: "Nein, es heißt nicht, wenn ich schwul bin, dass ich sofort auf jeden Mann stehe, der mir irgendwo entgegenläuft". Oder das typische Klischee des Schwulen mit der Handtasche.

Ja, natürlich gibt es auch solche Personen, das ist ja alles richtig, aber es ist nicht die breite Masse. Das ist immer schade, wenn man von den Klischees vereinnahmt wird. Also alles in allem würde ich mich freuen, wenn sich mehr Schwule und Lesben outen könnten, ohne Gefahr laufen zu müssen, Gewalt oder Mobbing zu erfahren.

Supermarkt: Krebserregender Stoff enthalten – Süßigkeit wird zurückgerufen

Süßigkeiten und Snacks aus den USA sind in Deutschland aufgrund ihres kreativen Designs und cleverer Vermarktung immer wieder im Trend. Regelmäßig setzen sich manche Marken auch langfristig durch. Bekannte Beispiele sind Oreo-Kekse, M&M's oder Jelly Beans.

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