Corona, Krieg und Klimakrise: Die Belastung und der Stress der vergangenen Jahre hat auch bei der Gen Z Spuren hinterlassen. Befragte man junge Menschen quer durch Deutschland und Europa in den vergangenen Monaten zu ihrer Verfassung, fielen immer wieder ähnliche Begriffe wie Unsicherheit, Angst, Sorgen und Pessimismus.
So auch der Tenor bei den kürzlich erschienenen Studien "Jugend in Deutschland 2023" von Simon Schnetzer, Kilian Hampel und Klaus Hurrelmann und "Junges Europa" der TUI-Stiftung.
Was also läuft schief bei der jungen Generation Europas? Watson hat dazu mit dem Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt gesprochen. Er hat das Buch "German Mut statt German Angst" geschrieben, in dem er konstatiert, dass sich hierzulande "letzte Generationen" möglicherweise wohler fühlen als anderswo.
Und doch scheint die Angst keine rein deutsche Eigenschaft zu sein. Schließlich glaubten laut TUI-Studie 52 Prozent der befragten 16- bis 26-Jährigen in Europa, dass es ihnen schlechter gehen werde als ihren Eltern.
Herr Reinhardt, was ist mit den jungen Menschen in Europa passiert?
Ulrich Reinhardt: Das eine sind eher die äußeren Rahmenbedingungen. Viele junge Menschen schauen mit Sorge auf die Zukunft, haben Angst vor dem Klimawandel, dem Krieg in der Ukraine oder der zunehmenden sozialen Spaltung – natürlich zu Recht. Vergessen wir zudem nicht: Angst ist nicht nur negativ, sie kann auch ein Treiber für Veränderung sein. Nehmen wir das Thema Klimawandel. Da ist es die Angst, die dazu führt, sich zu äußern und zu engagieren – was wieder zu Veränderungen oder zumindest zu Diskussionen führen kann.
Die Ängste haben also auch positive Seiten?
Ich würde den beschriebenen Pessimismus nicht immer nur negativ deuten. Eine weitere Erklärung für die Ergebnisse der Studie ist die Prägung durch das eigene Umfeld. Es sind gerade die älteren Generationen, die viele Sorgen mit sich herumtragen. Das färbt auf die Kinder oder Enkel ab. Dazu kommen noch die Medien, die oftmals nach dem Prinzip "bad news are good news" arbeiten, sodass eher die Herausforderungen im Vordergrund stehen und kaum positive Aspekte.
Wir als Gesellschaft tragen also eine Mitverantwortung – sind wir schlechte Vorbilder?
Wir müssen auf jeden Fall wieder öfter gute Vorbilder sein. Kaum jemand traut sich heute, offen zu seiner Vorbildfunktion zu stehen. Stattdessen wird die Verantwortung abgegeben, nach dem Motto: "Ich nicht. Das sollen doch bitte die anderen machen." Besonders zu hinterfragen sind hier die Eltern: Diese wollen kein Vorbild für ihre eigenen Kinder sein? Ich bitte Sie, das kann es doch nicht sein! Jeder Einzelne muss sich seiner Verantwortung stellen – ansonsten dürfen wir uns nicht wundern, wenn die junge Generation sich an irgendwelchen Influencern und Youtube-Stars orientiert.
Vorbilder sind ja oft Menschen, die trotz aller Widerstände Erfolg hatten. Das kann vielleicht nicht jeder ...
Einspruch: Jeder Einzelne kann ein Vorbild sein. Im Privaten oder Beruflichen, im Großen oder im Kleinen. Und für die jüngere Generation geht es ja nicht darum, eins zu eins so zu sein wie das Vorbild. Es geht um Teilaspekte, die man übernimmt und bei anderen Bereichen grenzt man sich ganz bewusst ab – denn auch eine bewusste Abgrenzung ist von zentraler Bedeutung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung.
Braucht es also mehr Freiheit für die Jungen?
Ja, wir sollten der nächsten Generation mehr Freiheit zugestehen, eigene Erfahrungen und auch Fehler zu machen. Unsere Fehlerkultur hemmt uns bei Weiterentwicklungen und notwendigen Veränderungen. Aus Fehlern wird man sprichwörtlich klug und das gilt es zu beherzigen.
Ist es aber nicht auch so, dass sich die Gen Z durch ihre Regeltreue klassifiziert?
Das stimmt und ist auch eine Antwort auf die schnelllebige Zeit. Als umso wichtiger erachte ich es, dass die Generation Z und alle, die danach kommen, gelernt haben zu differenzieren, auszuwählen, eigene Entscheidungen zu treffen, das eigene Denken zu schulen und Althergebrachtes infrage zu stellen. Sie sollten nicht nur Dinge übernehmen, die irgendwer vorgibt oder die aus den sozialen Medien kommen, sondern eine eigene Meinung haben und die Zukunft innovativ und mutig gestalten. Dies zu fördern, sollte ein Schwerpunkt im Bildungsbereich, aber auch in der Erziehung oder in den Unternehmen sein.
Die jungen Menschen in der TUI-Studie antworten aus einem sehr guten Status Quo heraus und blicken dennoch düster auf die Zukunft. Ist das nicht widersprüchlich?
Durchaus, was an den beschriebenen Einflüssen der Medien und den älteren Generationen liegt. Etwas plakativ heißt es ja oft, als junger Mensch wirst du nie so ein tolles Leben führen wie deine Eltern: "Die Immobilienpreise explodieren, du wirst dir nie ein Haus leisten können, einen sicheren Job kriegst du auch nicht, weil es nur Zeitverträge gibt, deine Ehe wird mit 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit scheitern, Kinder solltest du eh nicht bekommen und statt um die Welt zu fliegen, musst du diese retten." Das führt selbstverständlich zu Verunsicherung bei der jungen Generation.
Und ist es etwa nicht so?
Nicht ganz. Schon heute kann sich ein junger Mensch den Job aussuchen und er wird eher kündigen, als dass ihm gekündigt wird. Und ja, die junge Generation muss und wird mehr für die Welt tun als die Generation vor ihr. Helfen wir ihr daher so gut es geht, geben ihr Möglichkeiten und schenken ihr mehr Vertrauen.
In der Präsentation der Studie wurde gesagt, diese sei ein Appell, jungen Menschen zuzuhören. Hören wir den Jungen einfach nicht gut genug zu?
Zuhören tun wir ihnen vielleicht schon, aber wir vertrauen ihnen nicht. Vertrauen ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Wir trauen der jungen Generation einfach nicht zu, dass sie anders tickt, andere Vorstellungen hat und neue Wege gehen will. Viele Ältere übertragen ihr Ideal auf die Jüngeren – mein Haus, mein Job, meine Ehe, mein Leben. Aber vielleicht wollen die Jungen das alles gar nicht. Vielleicht wollen sie viel mehr Freiheit und so leben, wie es die Älteren sich zwar immer erträumt, aber nie getraut haben, umzusetzen.
Das ist ja ein Kritikpunkt, den man oft hört, dass die Jugend viel fordert, aber selbst nichts Konkretes tut. Ist das wieder dieses Vertrauensproblem?
Schwer zu sagen. Auf der einen Seite stimmt der Vorwurf. Wenn ich beispielsweise meine Studierenden frage, was für sie die größte Herausforderung ist, nennen sehr viele den Klimawandel. Wenn ich dann frage, was macht ihr denn in den Semesterferien, sagen fast genauso viele: "Für 99 Euro nach Rom, London oder Lissabon fliegen, Freunde besuchen. Oder möglichst weit weg und dort die Welt kennenlernen." Passt das zusammen? Für mich schon irgendwie. Die junge Generation muss die Möglichkeit haben, Erfahrungen zu machen, fremde Kulturen kennenzulernen und ohne schlechtes Gewissen zu genießen. Es ist doch unrealistisch, jetzt zu fordern: Lebt bitte ab sofort in Askese.
Was wäre denn die richtige Herangehensweise?
Lebt in eurem Leben verhältnismäßig nachhaltiger als meine Generation es tat! Und das machen die Jungen ja schon in vielen Bereichen, sie essen weniger Fleisch, legen mehr Wert auf Nachhaltigkeit, für sie ist Nutzen wichtiger als Besitz, sie leben die Sharing Economy, melden sich öfter zu Wort und Lebensqualität ist oftmals wichtiger als Lebensstandard. Sie sind also auf dem richtigen Weg.