Junge Europäer:innen glauben mehrheitlich nicht mehr daran, dass sie es so gut haben werden wie ihre Eltern. Auch andere Themen frustrieren sie offenbar: Wahlen würden unfair ablaufen, Bildungschancen seien ungleich und Politiker:innen nicht zu trauen – diese pessimistische Grundhaltung zeigt sich in der aktuellen TUI-Studie "Junges Europa".
Die Befragten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen sind sogar noch unzufriedener als in den Jahren, in denen vielerorts noch Coronapolitik vorherrschte.
"Wir hören ja sehr oft, dass die Zukunftsaussichten für Europas Jugend eigentlich rosiger denn je sind, dass der demografische Wandel und der Fachkräftemangel ihnen in die Hände spielt", sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas dazu. "Aber diese Studie fördert die subjektiven Perspektiven der jungen Menschen in Europa zutage. Und die sind alles andere als rosig, sondern vielmehr sehr, sehr pessimistisch."
Der Professor der FU Berlin hat die Studie wissenschaftlich begleitet, deren Ergebnisse wir hier grob zusammenfassen und die zeigt, wie die Stimmungslage der Gen Z in Europa ist.
Unter den befragten jungen Menschen sind 52 Prozent der Meinung, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern (in Deutschland 44 Prozent), nur 22 Prozent glauben an eine Verbesserung (in Deutschland 27 Prozent).
Auf die Frage: "Wenn Sie an die Zukunft denken, sind Sie dann generell eher optimistisch oder pessimistisch in Bezug auf Ihre persönliche Situation?", antworteten vor allem Jugendliche in Polen negativer als in den vergangenen Jahren. So sagten 2017 noch 78 Prozent, sie seien "eher oder sehr optimistisch". 2023 sind es nur noch 58 Prozent.
Auch die deutsche Jugend scheint mutloser: 2017 schauten 64 Prozent "eher oder sehr optimistisch" auf ihre persönliche Zukunft, 2023 dann nur etwas mehr als die Hälfte (56 Prozent).
"Die Befragten befinden sich in einem sehr persönlichkeitsbildenden Alter. Die Einstellungen und Wahrnehmungen, die sie jetzt formen, übertragen sich ins Erwachsenenalter", mahnt die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek zu den traurigen Ergebnissen. "Dementsprechend ist unsere Studie auch immer wieder ein Weckruf, junge Menschen zu hören."
Der Pessimismus scheint sich aber nicht aus der persönlichen finanziellen Situation zu speisen, die wird nämlich "nur" von 27 Prozent aller befragten Europäer:innen als eher oder sehr schlecht eingeschätzt.
68 Prozent sagen, das Einkommen in ihrem Land sei "sehr" oder "eher" ungleich verteilt, besonders beim Thema Wohnen und Immobilien. Ähnlich sieht es bei Karrieremöglichkeiten und Vermögen aus. 60 Prozent finden, dass die Chancen dort "sehr" oder "eher" ungleich verteilt sind.
Chancenungleichheit herrscht nach Ansicht der Befragten auch in Schule und Bildung. Das zeigt sich in der Frage nach den Faktoren künftigen Erfolges. Der Zugang zu Bildung ist laut 48 Prozent der Befragten dafür "sehr wichtig", darauf folgt Einkommen (44 Prozent). Insgesamt glaubten aber mehr als die Hälfte (55 Prozent) aller Befragten nicht, dass alle im Land die gleichen Bildungschancen hätten.
Mit nationalen Unterschieden: Dass es möglich ist, durch einen guten Schulabschluss im Leben voranzukommen, dem stimmen 74 Prozent der deutschen Befragten zu, aber nur 40 Prozent der Polen und nur 29 Prozent der jungen Griechen.
Das trägt auch zum schwindenden Vertrauen in die politischen Institutionen bei. Ein Viertel der jungen Europäer:innen (26 Prozent) fühlt sich "überhaupt nicht" von der Politik vertreten, ein Drittel "kaum" (33 Prozent).
Im Ländervergleich schneidet Deutschland noch am positivsten ab, nur 18 Prozent sagen, sie fühlen sich "überhaupt nicht" politisch vertreten, allerdings steigt die Unzufriedenheit. 2020 waren 21 Prozent "sehr oder eher unzufrieden", 2023 sind es bereits 30 Prozent. Ganz hinten liegen Polen und Griechenland: In Polen sind aktuell 57 Prozent "sehr oder eher unzufrieden"; in Griechenland 70 Prozent.
68 Prozent der Deutschen sagen "Wählen ist Bürgerpflicht", aber weniger als die Hälfte (48 Prozent) findet, in Schule und Ausbildung gut auf das Wählen vorbereitet zu werden. Etwas mehr als ein Drittel (34 Prozent) sagt, bei Wahlen komme es auf die Stimme des Einzelnen nicht an.
In anderen Ländern ist diese Haltung noch ausgeprägter. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der jungen Europäer:innen sind der Meinung, dass "Leute wie sie" keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung macht. 70 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Politiker:innen zu viel reden und zu wenig handeln.
Insgesamt nimmt die Politikverdrossenheit bei jungen Menschen zu – vor allem in Großbritannien, Griechenland und Polen. "Sie nehmen wahr, dass eher die Interessen anderer Menschen, anderer gesellschaftlicher Gruppen vertreten werden, aber nicht unbedingt ihre eigenen", sagt Thorsten Faas dazu. "Aber sie machen es der Politik auch schwer, weil ihre Erwartungen an den Staat und politische Akteur:innen sehr groß sind."
Überraschend scheint, dass die Institutionen der Europäischen Union (EU) vergleichsweise gut abschneiden: 32 Prozent aller Befragten vertrauen der EU, aber nur 16 Prozent der Regierung des jeweiligen Landes. Vier von zehn jungen Europäer:innen (43 Prozent) würden es sogar befürworten, wenn die Mitgliedsländer mehr Zuständigkeiten an die EU abgäben. In Deutschland sind es 39 Prozent der Befragten, in Italien sogar 51 Prozent.
Demonstrationen und Versammlungen halten 74 Prozent aller Befragten für gerechtfertigt, aber nur die Hälfte davon (37 Prozent) würde selbst daran teilnehmen.
Wahlen finden 75 Prozent gerechtfertigt, 54 Prozent würden auch selbst daran teilnehmen. Allerdings ist ein negativer Trend in Bezug auf Wahlen beobachtbar. In Deutschland sagten im Coronajahr 2021 noch 82 Prozent der Befragten, Wahlen würden korrekt und fair abgehalten, 2023 waren es nur noch 63 Prozent.
Für nicht gerechtfertigt halten die 16- bis 26 -Jährigen hingegen illegale Mittel wie Hackerangriffe (45 Prozent) und Sachbeschädigung (56 Prozent). Rund ein Drittel (35 Prozent) der Befragten sagt, dass Mittel des zivilen Ungehorsams einem Anliegen eher schaden.
Warum die Stimmungslage viel schlechter ist, als die tatsächliche finanzielle Situation der jungen Europäer:innen, damit hat sich Thorsten Faas beschäftigt. Geld und berufliches Fortkommen seien der Gen Z zwar immer noch wichtig, aber:
Die Ansprüche sind also gestiegen. Die Erwartungen der jungen Europäer:innen "an das Leben, die Gesellschaft, die Politik", seien sehr komplex. Faas: "Sie wollen einfach sehr, sehr viel." Und das würde ihnen "in dieser Vielschichtigkeit, zumindest aus ihrer Wahrnehmung heraus, nicht geboten."