Lieschen und Matze sind nicht nur leidenschaftliche Weltenbummler, sie nutzen ihre Reisen auch, um auf ein Thema aufmerksam zu machen, das im Alltag oft übersehen wird: Barrierefreiheit. Gemeinsam teilen sie auf Instagram und Tiktok unter dem Namen Wheelyventure ihre Reiseerlebnisse – auch die weniger schönen.
Einer dieser Momente sorgte zuletzt für viel Aufmerksamkeit: Am Flughafen in Bangkok sollte Matze, trotz gültigem Ticket, zunächst nicht an Bord gelassen werden. Die Begründung der Airline: Für vollständig immobile Rollstuhlfahrer, also sogenannte WCHC-Passagiere, könne man keine Unterstützung anbieten. Matze hätte die Flugzeugtreppe selbstständig bewältigen müssen, da laut Auskunft der Airline am Flughafen kein spezieller Service zur Verfügung stand.
Dabei hatten Lieschen und Matze bereits sieben Wochen lang in Indien und weitere Stationen in Taiwan und Thailand die Reise problemlos gemeistert, teils mit Einsatz lokaler Crews, die Rampen organisierten oder beim Boarding halfen. Der Vorfall in Bangkok kam für die beiden daher völlig unerwartet.
Watson konfrontierte die Fluggesellschaft, Thai Vietjet Air. In einer schriftlichen Stellungnahme betonte die Airline, dass Passagier:innen mit eingeschränkter Mobilität ihren Unterstützungsbedarf mindestens 48 Stunden vor Abflug anmelden müssten. Dies sei in diesem Fall nicht erfolgt. Zudem erklärte das Unternehmen, dass der Service für vollständig immobile Fluggäste auf Flügen von Thai Vietjet Air grundsätzlich nicht angeboten werde. Die Regelung entspreche den Vorgaben der thailändischen Luftfahrtbehörde (CAAT). Ohne vorherige Anmeldung könne das nötige Equipment, wie etwa ein Lifttruck, nicht rechtzeitig organisiert werden.
"Es ging nicht um Möglichkeiten oder Sicherheit, sondern um eine pauschale Ablehnung", sagt Matze. Die Diskussion am Check-in dauerte fast zwei Stunden. Letztlich blieb nur eine Option: Matze musste mit reiner Armkraft die Flugzeugtreppe erklimmen, für ihn eine körperlich extrem fordernde und auch erniedrigende Erfahrung. "Ich hatte zum Glück trainiert und ein spezielles Kissen dabei", erklärt er. Doch: "Für 99 Prozent der Rollstuhlfahrer:innen wäre das nicht machbar gewesen."
Das Kontaktieren der Airline hätte sich für Matze und Lieschen zudem schwierig gestaltet, da dies nur via Anruf möglich gewesen wäre. "Es ist diskriminierend für alle Menschen mit Behinderung. Wieso soll ein Rollstuhlfahrer nicht spontan reisen dürfen?", so Freundin Lieschen. Die Möglichkeit, den Rollstuhl-Service online zu buchen, gibt es nicht. Warteschlangen, Verständigungsschwierigkeiten und Stress im Urlaub beinhaltet das Organisieren der Flüge.
Doch seit dem 30. Mai 2025 gilt in Thailand eine neue Regelung der Civil Aviation Authority (CAAT): Laut Regulation No. 90 sind Fluggesellschaften und Flughäfen dazu verpflichtet, Menschen mit eingeschränkter Mobilität Zugang zum Flugzeug zu ermöglichen, etwa durch Rollstuhlservice, mobile Lifte oder Tragehilfen. Eine Ablehnung darf nur erfolgen, wenn nachweislich objektive Sicherheitsgründe bestehen, etwa bei sehr kleinen Flugzeugen.
Auch die internationalen Standards der ICAO und IATA schreiben ausdrücklich vor, dass Airlines Boarding-Hilfen wie Rampen oder Lifte bereitstellen müssen. Eine Voraussetzung wie "Gehfähigkeit" ist unzulässig. Kurz gesagt: Solche Vorfälle dürften laut geltender Rechtslage eigentlich nicht passieren. Ein schwacher Trost für die Zukunft für Lieschen und Matze, den ihr Flug ging am 18. Mai.
Dabei gibt es weltweit einen standardisierten Prozess, wie Rollstuhlfahrer:innen sicher ins Flugzeug gelangen: In der Regel fährt man bis zum Gate im eigenen Rollstuhl und wird dort in einen schmaleren sogenannten "Boarding Chair" umgesetzt. Dieser passt durch die engen Gänge des Flugzeugs und ist an einen Lifttruck angeschlossen, der die Passagier:innen von außen auf Höhe der Flugzeugtür hebt, ganz ohne Treppensteigen. Auch am Flughafen Bangkok ist diese Technik auch schon vor dem 30. Mai vorhanden und wird bei anderen Flügen auch eingesetzt.
Besonders bitter: Unter dem Tiktok-Video des Vorfalls kommentierte ein Account mit mehreren Lach-Emojis. Thai VietJet Air distanzierte sich später davon und erklärte, es handle sich nicht um ein offizielles Konto der Airline. Der Vorfall werde intern geprüft, man bedauere den Ablauf.
Auch wenn der Fall in Bangkok besonders drastisch war: Er ist kein Einzelfall, wenn es um fehlende Barrierefreiheit geht. Gerade in Deutschland stoßen Rollstuhlfahrer:innen immer wieder auf unnötige Grenzen. "Ich habe mal ein barrierefreies Hotelzimmer via Booking gebucht", erzählt Matze. "Vor Ort hieß es dann, ich hätte das telefonisch klären müssen. Und das Zimmer war am Ende ein Einzelzimmer, als ob man als Rollstuhlfahrer immer allein reist."
Ob Bahnfahrten, Konzerte oder Restaurantbesuche: Vieles muss umständlich im Voraus organisiert oder telefonisch abgeklärt werden. Von echter Barrierefreiheit kann oft keine Rede sein. Lieschen ergänzt: "In Taiwan ging das alles ganz unkompliziert, man klickt einfach "Rollstuhlfahrer" an, fertig. Keine Telefonate, keine Extraformulare."
Besonders schmerzhaft war für die beiden die Reaktion mancher Zuschauer:innen auf ihr Video. "Uns hat ein Rollstuhlfahrer geschrieben, dass er nach unserem Tiktok seine Reise storniert hat", erzählt Matze. "Das tut weh, denn das war nie unsere Absicht." Lieschen betont: "Was in Bangkok passiert ist, war die Ausnahme, nicht die Regel."
Für Lieschen und Matze bleibt die Erfahrung ein Rückschlag, auch wenn sie sie mit Würde gemeistert haben. "Wir wollen niemandem Angst machen. Im Gegenteil: Reisen mit Behinderung ist möglich – es ist manchmal anstrengend, aber es lohnt sich. Es braucht nur mehr Wille, mehr Respekt und weniger Bürokratie."