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Dating: Mit Liebeskummer in die Notaufnahme? Warum das möglich ist

portrait of tired young woman student standing alone in city center and looking at camera with straight face while crowds of men and women are whizzing around.
Alle reden, keiner hört zu. So ähnlich fühlt es sich zuweilen an.Bild: iStockphoto / silverkblack
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Diagnose Herzschmerz: Notärztin über die brutalen Auswirkungen von Liebeskummer

02.11.2023, 08:0602.11.2023, 08:10
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Zuckende Augen und Atemnot. Herzrasen, Schwindel und ein Piepen im Ohr. Es wirkt, als spiele der Körper verrückt. Doch in Wirklichkeit ist es die Seele. Dieses Phänomen beobachten Hausärzt:innen in Deutschland immer öfter.

Doch wie soll unsere Gesellschaft damit umgehen, wenn Menschen an Liebeskummer, Einsamkeit und Stress "erkranken"? Wir sprachen mit Dr. Lisa Federle darüber.

Sie ist Hausärztin, Notfallmedizinerin und hat für ihr Buch "Vom Glück des Zuhörens" (Knaur Verlag), Anekdoten aus ihrem Arbeitsalltag gesammelt, die zeigen: Menschen brauchen Menschen, um gesund zu sein.

"Das Wartezimmer ist ein Gradmesser der Stimmung in der Bevölkerung."

watson: Wann haben Sie erkannt, dass Menschen durch Kummer krank werden?

Dr. Lisa Federle: Das ist mir im Laufe der Jahre klar geworden. Im Buch erzähle ich beispielsweise von Judith, die 30 Jahre lang die heimliche Geliebte von einem Patienten war. Ich hatte sie im Notdienst kennengelernt, weil es ihr schlecht ging, ihr war extrem schwindelig. Beim Betreten der Wohnung hatte ich sofort das Gefühl: da lebt jemand nicht wirklich. Es war zwar alles teuer eingerichtet, aber es fehlte etwas, es war kalt. Nach einem Jahr erfuhr ich, dass sie total einsam ist, weil sie dauernd auf diesen Mann wartete. Das Ergebnis waren körperliche Erkrankungen wie Schwindel, Hörsturz, Beklemmungen, Angstzustände und Magenschmerzen.

Eine typische "Liebeskummer"-Symptomatik?

Das sind Stress-Symptome. Diese tauchen aber nicht nur bei Liebeskummer auf, sondern auch bei familiären Problemen, Sorgen um die Kinder zum Beispiel. Zudem neigen viele Menschen dazu, sich in die Arbeit zu schmeißen, wenn es privat schlecht läuft – dann wird alles zu viel.

Ist das eine neue Erkenntnis?

Nein. Ärzte sehen psychosomatische Leiden jeden Tag. Und in der Summe sind das nicht mehr nur ein paar Einzelfälle, sondern ein Problem, das in unserer Gesellschaft immer größer wird. Hausärzten wird der Zusammenhang oft schneller klar, als vielleicht einem Radiologen, weil wir die Patienten über einen längeren Zeitraum erleben.

Welche Rolle spielen Hausbesuche?

Bei Hausbesuchen bekomme ich als Arzt ganz viel Kontext: Wie ist die Stimmung der Familie untereinander? Wie ernährt sich der Patient? Stapelt sich Müll? Das erfährt man in der Praxis nicht.

Weil Patienten nicht alles preisgeben?

Ich habe ein Ehepaar betreut, das mir immer fröhlich gegenüber saß und erzählte, wie toll ihre Ehe läuft, wie happy sie miteinander seien. Doch als ich das erste Mal bei ihnen zu Hause war, stellte ich fest, dass die Matratze neben seiner Hälfte des Doppelbetts nicht einmal bezogen war. Weil die Frau nämlich seit vielen Jahren nicht mehr bei ihm schläft.

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Bundesverdienstkreuzträgerin Lisa Federle.Bild: dpa / Bernd Weißbrod

Was passiert, wenn diese Information fehlt?

Dann macht das Symptom, zum Beispiel Herzrasen, erstmal keinen Sinn. Also geht man auf die Suche, macht Blutbilder und EKG's, überweist von einem Spezialisten zum nächsten – und findet nichts.

"Ich habe Patienten, die mir sagen: 'Frau Doktor, Sie sind der einzige Mensch, den ich die Woche gesehen habe.'"

Lange Gespräche und Hausbesuche kosten aber viel Zeit und lassen sich schlecht abrechnen.

In Deutschland zählt in erster Linie die Gerätemedizin. Herr Lauterbach ist dafür ein Paradebeispiel, er beruft sich auf Statistiken, die zwischenmenschliche Faktoren nicht berücksichtigen. Das führt leider zu praxisfernen Lösungen. Auch ich bin dafür, alle Symptome konventionell abzuklären. Aber Gespräche sind unheimlich wichtig in der Medizin – und die werden immer weniger. Auch weil Ärzten die Zeit fehlt, wenn das Wartezimmer voll ist.

Dabei müssen Ärzt:innen mehr Gespräch auffangen, oder? Großfamilien und Nachbarschaften gibt es so nicht mehr.

Die Gesprächsstrukturen haben sich völlig verändert. Ich habe Patienten, die mir sagen: "Frau Doktor, Sie sind der einzige Mensch, den ich die Woche gesehen habe – außer der Putzfrau und dem Briefträger." Viele Menschen, gerade wenn sie nicht im Berufsleben stehen, sind vollkommen einsam und keiner bekommt mit, dass sie überhaupt leben. Was das angeht, muss unsere ganze Gesellschaft aufgerüttelt werden und wieder in Beziehung miteinander treten.

Also sollten nicht nur Ärzt:innen besser zuhören, sondern wir alle?

Es ist mir wichtig, ein Zeichen zu setzen, dass wir uns einander wieder zuwenden müssen. Wir haben verlernt, unseren Mitmenschen wirklich zuzuhören. Dabei wäre es ein Riesengewinn, sich dafür Zeit zu nehmen – für beide Seiten. Was ich durch meine Patienten schon für mein Leben gelernt habe! Vor allem, dass keine Haltung im Leben in Stein gemeißelt ist und keine Geschichte schwarz oder weiß.

"Die Vielschichtigkeit des Lebens kann man nur verstehen, wenn man nicht sofort meint, eine Meinung dazu haben zu müssen."

Haben Sie ein Beispiel parat?

Ich kenne einen Mann, der seine demente Frau betrügt. "Wie fies!", heißt es da sofort. Aber mit welcher Zuneigung er sich Tag für Tag um sie kümmert, das müssten Sie sehen. Ohne die Außenbeziehung hätte er gar nicht diese Kraft. Ich erlebe im Gegensatz andere Menschen, die ihren pflegebedürftigen Partnern treu sind, sie aber grob behandeln, weil sie erschöpft sind, ausgebrannt.

Welches Szenario ist besser für die Beteiligten, frage ich mich da. Das soll jetzt keine Aufforderung zum Fremdgehen sein, aber jeder sollte für sich etwas finden, aus dem er Kraft schöpfen kann. Die Vielschichtigkeit des Lebens kann man nur verstehen, wenn man nicht sofort meint, eine Meinung dazu haben zu müssen.

"Vom Glück des Zuhörens – Wie uns gute Beziehungen stark machen", 22 Euro.
"Vom Glück des Zuhörens – Wie uns gute Beziehungen stark machen", 22 Euro.Bild: Knaur Verlag

Inflation, Krieg, Klimakrise – lassen sich Krisenzeiten in Krankenakten ablesen?

Ja, man merkt sofort, dass die Leute schneller depressiv sind und anfälliger für Krankheiten, das schlägt sich in der Praxis nieder. Das Wartezimmer ist ein Gradmesser der Stimmung in der Bevölkerung.

"Viele telefonieren zum Beispiel ungern, weil es sie schon befremdet, die Stimme eines Anderen zu hören."

Wie könnte man das "psychische Immunsystem" stärken?

In dem man sich anderen Menschen zuwendet und ihnen Liebe gibt. Es klingt einfach, aber die Wirkung des Miteinanders wird unterschätzt. Zum Beispiel, wenn man der älteren Nachbarin einen Kuchen vorbeibringt und eine Viertelstunde quatscht. Viele haben keine Ahnung, was solche Kontakte Leuten bedeuten und auch nicht, wie gut es ihnen selbst tun würde. Wenn ich das Strahlen der Damen sehe, wenn ich im Altersheim zur Tür hereinkomme, ist das für mich ein wunderschöner Moment.

Das klingt so simpel. Brauchen wir gar nicht mehr Selbstzuwendung wie Affirmationen und Journaling – sondern mehr Miteinander?

Ich finde gut, dass die Jüngeren sich mehr um sich kümmern, mehr Sport machen und sich vegan ernähren. Aber emotional sind die Zeiten distanzierter geworden und die Menschen haben verlernt, miteinander in Beziehung zu treten.

Viele telefonieren zum Beispiel ungern, weil es sie schon befremdet, die Stimme eines Anderen zu hören. Echtes Zuhören geht aber nur über direkten Kontakt. Wie soll man sonst verstehen, wie es dem anderen geht? Wurde im Satz geseufzt, gestockt? Viele scheuen diese menschliche Nähe zunehmend, aber das tut der Psyche nicht gut. Sie wieder zuzulassen, das kann man Schritt für Schritt lernen.

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Es ist bekannt, dass Alleinsein krank macht. Warum wird Einsamkeit trotzdem kaum thematisiert?

Weil wir es alle toll finden, dass wir unabhängig voneinander sind und uns frei entfalten können. Das ist auch gut so, aber es hat einen Preis, darunter eben auch Einsamkeit. Diese Seite dürfen wir nicht ignorieren.

Wie geht es Ihrer Patientin Judith eigentlich heute?

Der Mann starb an Krebs. Und sie musste, versteckt hinter einem Baum, der Beerdigung zuschauen. Es ging ihr sehr schlecht damit. Doch dann lernte sie endlich jemanden Neues kennen, einen ungebundenen Mann. Und kein Witz: Die Symptome waren schlagartig weg. Judith schaut heute nur noch zur Grippeimpfung vorbei.

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