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Katholisch war gestern: Evangelikale Influencer sind bei Gen Z im Trend

Bible, microphone and radio with people in recording studio for religious study or streaming. Book, podcast and reading with Christian influencer team on talk show for belief, faith or religion
Es ist ja nur die Bibel – und doch können Christfluencer unter Umständen gefährlich werden.Bild: iStockphoto / Jacob Wackerhausen
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Frauenfeindlichkeit auf modern: Die Gefahr von Christfluencern auf Instagram

Inspirierende Botschaften, Gebetsvideos und altertümliche Bibel-Auslegungen in modernem Gewand: So erreichen Christfluencer:innen derzeit ein breites Publikum. Doch wie gefährlich ist der Trend? Das hat watson eine Expertin gefragt.
27.11.2025, 19:2427.11.2025, 19:24

Im Jahr 2025 sind Christfluencer:innen ein fester Bestandteil der Social-Media-Landschaft und bringen Glaubensthemen auf kreative Weise in den digitalen Raum. Ihre Viewer:innen sind häufig vor allem junge Menschen.

Unter den Influencer:innen wiederum sind auch Evangelikale mit oft ultrakonservativen Botschaften: Das Wort der Bibel ist die Wahrheit, Frauen sollten sich Männern unterordnen, Queerness muss geheilt werden und "Jesus is King", so die Message.

Katharina Portmann, Referentin bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, hat ihre Masterarbeit zu christlichem Antifeminismus geschrieben. Ein Phänomen, bei dem Evangelikale "eine große Rolle" spielen, wie sie im watson-Interview erklärt.

Doch Evangelikalismus bei Christfluencer:innen ist demnach nicht per se gefährlich. Die Sache ist komplizierter.

Katharina Portmann ist Referentin bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.null / Copyright Martin Bahr martin.bah

watson: Mir erzählen in letzter Zeit ständig Couples auf Instagram, warum sich meine Partnerin mir unterordnen sollte. Meinen die das ernst?

Katharina Portmann: Ich glaube, das entspricht wirklich deren Ansichten. Sie glauben, dass eine Familie nach traditionellen Maßstäben das von Gott vorgesehene Familienbild sei und darauf ein besonderer Segen liegt.

Verrückt.

Das ist im ersten Moment natürlich schwer nachvollziehbar für Menschen, die das anders leben. Die Feministin in mir findet es ebenfalls schwierig, wenn eine Frau aus freien Stücken sagt, ich ordne mich meinem Mann unter. Gleichzeitig sind das erwachsene Frauen, die diese Entscheidung treffen dürfen.

Denken so denn alle Evangelikalen?

Derlei sexuell-moralische Fragen sind im Evangelikalismus weit verbreitet, trotzdem entspricht das nicht den Ansichten aller Evangelikaler. Die Bandbreite ist sehr groß. Erst mal sind das aber konservative Einstellungen, die zu einer Demokratie gehören. Daher halte ich den Evangelikalismus nicht pauschal für gefährlicher als viele andere Religionen oder Weltanschauungen.

Aber gefährlich ist es im Zeitalter von Social Media doch trotzdem, wenn die Unterordnung der Frau als richtig dargestellt wird.

Es gibt evangelikale Strömungen, die diese Anschauungen mit einem absoluten Anspruch vertreten und ein Heilsversprechen an bestimmte Lebensstile knüpfen. Das ist aus zwei Gründen besorgniserregend: Zum einen entsteht für die Anhänger:innen in den Gruppen ein enormer Druck, diesen Vorstellungen zu entsprechen und zum anderen werden andere Religionen, Weltansichten und Lebensstile abgewertet.

Aber warum wollen Evangelikale auf Social Media ständig andere Leute bekehren?

Viele Evangelikale glauben, dass man ohne den vermeintlich richtigen Glauben nicht errettet wird, also in die Hölle kommt. Ich glaube, dass viele Vertreter:innen ein ehrliches Interesse haben, dass das ihrer Schulkameradin oder ihrem Nachbar nicht passiert. Wenn man so will, machen sie das aus ihrem Verständnis der Nächstenliebe heraus.

Warum sollte ich denn beispielsweise in die Hölle kommen?

Viele Evangelikale knüpfen eine Errettung im Jenseits an eine Bekehrung im Diesseits. Das heißt, um in den Himmel zu kommen, muss ich in meinem irdischen Leben zum Glauben finden. Das kann natürlich Angst machen, denn logischerweise möchte man seine Liebsten im Himmel wissen und nicht in der Hölle. Der Druck zur Missionierung ist dementsprechend hoch. Ich glaube nicht, dass das eine gesunde religiöse Einstellung ist, aber sie ist in verschiedenen christlichen Strömungen verbreitet.

"Der Evangelikalismus bedient letztlich das Bedürfnis einiger junger Männer nach patriarchalen Strukturen."

Wie schaffen es die Christfluencer:innen, mit solchen Botschaften anzukommen?

Sie sind eben Medienprofis, wie andere Influencer:innen auch. Sie schaffen es oft sehr gut, eine parasoziale Beziehung zu ihren Follower:innen aufzubauen: Man sitzt zu Hause und hat das Gefühl, sie sprechen zu einem persönlich, wenn sie ganz locker und direkt aus ihrem Alltag erzählen. Außerdem liegt das vermutlich auch an den Social-Media-Algorithmen – ultrakonservative Meinungen verfangen besser als liberale Einstellungen.

Zu den erfolgreichsten Evangelikalen hierzulande gehören die O'Bros, die mit dem Album "To Be Honest" im April Platz eins der deutschen Charts erreichten. Früher war christlicher Rap noch cringe, was hat sich heute geändert?

Heutzutage ist christlicher Rap einfach technisch auf einem höheren, konkurrenzfähigeren Niveau als damals.

Finden Sie die Musik problematisch?

Ich bezweifle, dass die Musik der O'Bros inhaltlich problematischer ist als das, was früher Bushido oder andere Leute gerappt haben. Für problematischer halte ich da, dass sie einerseits für eine plurale Gesellschaft stehen wollen, andererseits aber öffentlich mit einem Leonard Jäger abhängen und sich nicht von ihm abgrenzen.

Jäger, seinen 330.000 Instagram-Follower:innen auch als "Ketzer der Neuzeit" bekannt, ist rechtspopulistischer Influencer mit AfD-Sympathien und bekanntlich evangelikal.

Genau. Den rechtspopulistischen Content hat er aber auch schon geteilt, bevor er vor einigen Jahren nach eigenen Angaben ein Bekehrungserlebnis hatte und evangelikal wurde. Er ist also kein Prototyp eines Christfluencers. Allerdings nimmt sein dezidiert christlicher Content zu. Meiner Wahrnehmung nach ist aber seine Person auch innerhalb des Evangelikalismus hochumstritten.

Wie werden Jugendliche auf Social Media von evangelikalen Bubbles angezogen?

Viele Christfluencer:innen schaffen eine Form der digitalen Gemeinschaft. Das ist für viele attraktiv.

Warum ist der Wunsch nach Gemeinschaft heute besonders ausgeprägt?

Der Wunsch nach Gemeinschaft ist ein menschliches Grundbedürfnis und daher nichts Neues. Was einigermaßen neu ist, dass Gemeinschaft auch digital gelebt wird. Das hat sicherlich auch mit den Coronajahren zu tun. Das monatelange Sitzen zu Hause, keine Freund:innen treffen dürfen und die fehlende Gemeinschaft in der Schule hat die Jugendkultur geprägt.

Was hat der Evangelikalismus an männlicher Identität anzubieten?

Junge Männer sind tendenziell konservativer als junge Frauen, daher entsprechen traditionelle Rollenbilder auch eher ihrem Selbstverständnis. Das ist kein dezidiert evangelikales Phänomen, sondern gesamtgesellschaftlich zu beobachten. Der Evangelikalismus bedient letztlich das Bedürfnis einiger junger Männer nach patriarchalen Strukturen. Es gibt aber auch durchaus Tendenzen, die ein sehr fortschrittliches Familienbild befürworten oder es ihren Anhänger:innen freistellen, wie sie diesen Aspekt ihres Lebens gestalten wollen.

Was würden Sie denjenigen raten, die auf Christfluencer:innen stoßen und sich fragen: "Ist das noch gesunder Glaube oder schon Brainwashing?"

Genau hinschauen! Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Rollenverständnis sollte nach Abwägung verschiedener Aspekte individuell getroffen werden. Dort, wo einem diese Entscheidung eigentlich abgenommen wird, weil letztlich nur ein einziges Familienbild gültig ist, sollte man hellhörig werden. Das geht in der Regel mit der Abwertung gegenüber Minderheiten, Frauen, Queers, Migrant:innen einher und das ist aus meiner Sicht nicht mit dem christlichen Menschenbild vereinbar.

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