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Tripper, Syphilis und HPV: Welche Geschlechtskrankheit ein Risiko darstellt

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Durch die rosarote Brille sieht das Gegenüber zu gut für einen Krankheitsüberträger aus.Bild: iStockphoto / Igor-Kardasov
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Comeback der Geschlechtskrankheit – Warum wir das Risiko beim Sex unterschätzen

03.11.2022, 14:57
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"Da unten juckt es" – will niemand gern von dem Menschen hören, mit dem er gerade Sex hatte. Doch gerade weil wir glauben, es würde uns nicht treffen, verbreiten sich sexuell übertragbare Infektionen (STIs) derzeit wieder in Deutschland. Tripper-Erkrankungen sind zwischen 2001 bis 2019 um das Vierfache gestiegen, Syphilis-Fälle haben sich verdoppelt (2009 bis 2019) – und auch wenn die Corona-Pandemie die Verbreitung kurz ausgebremst hat – Geschlechtskrankheiten erleben ein echtes Comeback.

Dr. Mangler, Gynäkologie
Prof. Mangler ist Chefärztin für Gynäkologie und im medizinischen Beirat von WellsterBild: privat

Wir sprachen mit Prof. Mandy Mangler darüber. Sie ist Gynäkologin und berät ihre Patient:innen beim Telemedizin-Anbieter "Wellster" (Wellster Healthtech Group), zu dem auch die Plattform "gospring" für Intimgesundheit gehört.

"Im Vormarsch sind gerade wieder Tripper und Syphilis."
Gynäkologin Mandy Mangler

watson: Was sind denn typische Geschlechtskrankheiten unter jüngeren Leuten?

Prof. Mandy Mangler: Weit verbreitet unter jungen Menschen sind Chlamydien, HPV, Herpes und Tripper. Das sind häufige Erkrankungen, die in jeder Lebensphase und besonders zum Ende der Teenagerzeit auftreten. Gerade beim Thema HPV zeigen Studien, dass wir fast alle schon einmal damit in Berührung kamen, HPV also sehr häufig vorkommt. Wir können zwischen Geschlechtskrankheiten und sexuell übertragbaren Krankheiten unterscheiden.

Und was ist der Unterschied?

Es gibt Schmierinfektionen, die sich an Vulva, Vagina oder Penis manifestieren können, wie Herpes, Chlamydien und HPV. HPV kann ich zum Beispiel auch bekommen, wenn ich etwas berühre, an dem HPV klebt, zum Beispiel ein Handtuch oder eine Toilette. Es gibt die klassischen Geschlechtskrankheiten, das sind Syphilis, Tripper, Lymphogranuloma und Ulcus molle (Anm. d. Red. Geschwür durch Bakterien verursacht), die durch Sexual-Sekrete, Vulva-Sekret oder Sperma zum Beispiel, übertragen werden. Und dann gibt es noch Entzündungen der Vulva oder Vagina oder des Penis, die entstehen, weil sich das Mikrobiom der Vagina verschiebt und die guten Bakterien der Vagina nicht mehr so perfekt arbeiten gegen zum Beispiel E-Coli-Bakterien und ähnliches. Dann kommt es zu Blasenentzündungen oder Entzündungen der Vulva und des Penis.

Eine gesunde Vulva und Vagina schützen demnach auch vor einigen Geschlechtskrankheiten?

Es ist auf jeden Fall ein guter Basisschutz, wenn man dafür sorgt, dass das eigene vulväre und vaginale Mikrobiom gesund ist und die Bakterien, die in der Vagina und an der Vulva leben, gesund und stark sind, denn diese sind wie kleine Soldatinnen, die vor Infektionen schützen.

"In vielen Ländern ist Syphilis noch immer häufig und durch die Globalisierung und Reisen verbreiten sich solche Erkrankungen."

Und wie stärkt man die "Vulva- und Vagina-Abwehr"?

Indem man die Vagina nicht übermäßig mit Seife oder anderen Chemikalien malträtiert, denn das bringt das Mikrobiom durcheinander, sich aber ansonsten hygienisch verhält. Das heißt: Hände waschen, wenn man Kontakt zu fremden Mikroorganismen hatte und danach seine Vulva/Vagina/Penis anfässt. Auch die Partner:in bitten, das zu tun. Eine wechselnde Sex-Frequenz ist interessanterweise auch ein Problem. Wer immer viel Sex hatte, dann weniger oder umgekehrt – frisch verliebt und plötzlich sehr sexuell aktiv ist – das irritiert das Mikrobiom. Gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung und nicht zu wenig aber auch nicht zu viel Schlaf haben übrigens auch positive Auswirkungen auf die Vagina.

Aber auch eine starke Vagina kann sich infizieren. Wie beugt man vor?

Zum Beispiel mit Kondomen. Es gibt sowohl Männer-Kondome, die wohl jeder kennt, als auch Frauen-Kondome, die eher unbekannter sind, aber gut funktionieren. Lecktücher werden auch immer populärer und sind als Schutz absolut sinnvoll.

Wie ein Femidom (Frauenkondom) wirkt und eingesetzt wird, erklärt hier Pro Familia.

Sie haben jetzt schon einige Krankheiten genannt, die sehr verbreitet sind. Was ist aus Ihrer Sicht das Topthema Nummer eins?

HPV ist sehr verbreitet, aber es hat in den meisten Fällen nicht so viele Konsequenzen. Chlamydien sind auch sehr stark verbreitet, ohne dass wir das vielleicht wissen, weil sie oft symptomlos auftreten. Herpes kann richtig nervig sein, denn so einen Genitalherpes wird man kaum wieder los, wenn man ihn erst einmal hat. Aber im Vormarsch sind gerade auch wieder Tripper und Syphilis.

Bei Syphilis denkt man an die französische Revolution. Wie kann es sein, dass diese uralten Krankheiten wieder da sind?

In vielen Ländern ist Syphilis – und auch andere Geschlechtskrankheiten – noch immer häufig und durch die Globalisierung und Reisen verbreiten sich solche Erkrankungen dann wieder. Wir in Deutschland sind wahnsinnig privilegiert, was unser Gesundheitssystem angeht und wissen das oft gar nicht zu schätzen. Dadurch entsteht eine gewisse Anspruchshaltung auf einen gesunden Körper und die Vorstellung, dass auch uns so eine Krankheit erwischen kann, übersteigt unseren Horizont und macht uns unvorsichtig. Die gute Nachricht ist aber: Man kann diesen Krankheiten einen Schritt voraus sein und sich präventiv klug verhalten.

"Die Scheu, das Thema anzusprechen, besonders, wenn man den Gegenüber mag, ist natürlich da."

Studien zeigen allerdings, dass besonders Heterosexuelle weniger stark aufgeklärt sind, was Geschlechtskrankheiten und Prävention betrifft. Woran liegt das?

Viele Menschen sind da schon sehr gut informiert. Besonders die homosexuelle Community hat sich auch durch die Auseinandersetzung mit dem HI-Virus stark für das Thema sexuell übertragbare Erkrankungen interessiert und Wissen angeeignet. Es ist dann klarer, dass Geschlechtskrankheiten jederzeit möglich sind und man sich schützen muss. Es ist schwierig zu denken: "Mich trifft das schon nicht. Ich habe nicht so viele Partner:innen oder nur ganz 'saubere'." Das ist ein Trugschluss. Man sollte die Möglichkeit einer Infektion durch Sexualität immer mitdenken.

Klassiker der Geschlechtskrankheiten

Chlamydien: Die Chlamydien-Infektion wird durch Bakterien verursacht, die vor allem beim ungeschützten Sex (Anm. d. Red.: Gemeint ist Oral-, Anal- und Vaginalverkehr) weitergegeben werden. Die Erkrankung ist oft symptomlos, kann aber unbehandelt zu Unfruchtbarkeit führen.

HPV: HPV steht für Humane Papillomviren. Eine Infektion heilt in 90 Prozent von selbst aus. Besteht die HPV-Infektion allerdings fort, kann sich durch Zellveränderungen langfristig Krebs entwickeln. Übertragungswege sind ungeschützter Sex oder die Berührung von Feigwarzen.

Herpes: Herpes kann sehr leicht als Kontakt- oder Schmierinfektionen weitergegeben werden. Die Viren bleiben ein Leben lang im Körper und können in Schüben wieder ausbrechen. Übertragungswege sind vor allem ungeschützter Sex, im Fall von Lippenherpes auch Küssen.

Tripper (Gonorrhö): Tripper wird durch Bakterien hervorgerufen, bei ungeschütztem Sex übertragen und bleibt für Frauen oft symptomlos; Männer haben öfter Beschwerden (z.B. Ausfluss, Jucken, Schmerzen). Die Erkrankung kann unbehandelt zu Unfruchtbarkeit führen.

Syphilis: Syphilis wird als Kontakt- und Schmierinfektion weitergegeben, besonders durch Berührung nässender Hautausschläge oder Syphilis-Geschwüre, vor allem bei ungeschütztem Sex. Die bakterielle Infektion äußert sich in drei Stufen, die lebensgefährlich enden kann.

HIV: Das HI-Virus schädigt die körpereigenen Abwehrkräfte und kann unbehandelt lebensgefährlich werden, weil der Körper selbst harmlose Krankheiten nicht mehr bekämpfen kann (AIDS). HIV kann durch den Kontakt mit infektiösen Körperflüssigkeiten weitergegeben werden, vor allem bei ungeschütztem Sex.

Hepatitis: Hepatitis A, B und C werden durch Viren verursacht und führen zur Entzündung der Leber. Gegen alle drei Formen gibt es Impfstoff, sie sind in ihrem Schweregrad unterschiedlich. Hepatitis kann vor allem durch Kontakt mit infiziertem Kot (A), Körperflüssigkeiten (B) oder Blut (C) ausbrechen, dieser passiert oft beim ungeschütztem Sex.

Mehr Infos findest du über liebesleben.de, einer Initiative zur Förderung sexueller Gesundheit der BZgA.

Entstehen Infektionen auch, weil Prävention ungern kurz vor dem Sex angesprochen wird?

Die Scheu, das Thema anzusprechen, besonders, wenn man den Gegenüber mag, ist natürlich da. Man ist jung und gesund, steckt gerade in einer sexuellen Situation und da will man nicht Krankheiten als potentiellen Störfaktor aufbringen. Deswegen lohnt es sich, das Gespräch schon vorher zu suchen. Das ändert ja nichts an der Schönheit von Sex, sondern nur daran, wie man damit umgeht. Es ist einfach gut, in Betracht zu ziehen, dass man sich beim Sex mit Krankheiten anstecken kann und dass sich das verhindern lässt.

Wie können wir eine bessere Aufklärung erwirken?

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Vom Sexualkundeunterricht bis hin zu Sprechen über Sexualität im Alltag sollten wir das Thema Geschlechtskrankheiten enttabuisieren. Und es ist schön, wenn wir gemeinsam daran wirken, dass Verhütung funktioniert und das Thema nicht auf Menschen mit Uterus abwälzen. Es ist ganz schön privilegiert zu sagen, "meine Freundin nimmt ja die Pille" und sich zurückzulehnen, als ob Prävention einen gar nichts anginge.

Anti-Baby-Pille
In vielen Beziehungen besteht Verhütung weiterhin aus einer Anti-Baby-Pille und der Verantwortung der Frau. Bild: imago images / Niehoff

Gleichberechtigung sollte man auch in Beziehungen und Verhütungsfragen leben und gemeinsam mit der Partnerin besprechen, welche Verhütungsstrategie sinnvoll ist. Sollen wir uns testen, bevor wir Sex haben und wenn ja, auf welche Krankheiten sollten wir uns testen? Wie sind unsere Hygiene- und Schutzregeln? Wie ist unsere Familienplanung? Es gibt viele Möglichkeiten, als Mann mündig mit diesen Fragen umzugehen.

Sie beraten Patienten digital. Fällt es den Menschen leichter, intime Themen online zu besprechen?

Es ist telemedizinisch oft bequemer, Termine wahrzunehmen und sich zum Beispiel Wegezeiten oder auch Wartezeiten zu ersparen. Da entstehen gerade zwei Parallelwelten im Gesundheitssystem. Ich finde es gut, dass Telemedizin als Tool zur Verfügung steht und uns bereichern kann. Das klassische Gesundheitssystem ist teilweise überlastet, es wäre gut, wenn wir Prozesse digitalisieren, die uns Menschen die Arbeit leichter machen und abnehmen. Ich denke, die Online-Konsultationen sind dabei ein hilfreicher Bestandteil und Teil der Zukunft. Digitalisierung kann uns Menschen helfen, wieder mehr Zeit zu haben für Dinge, die wichtig sind und die wir gut können.

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