Fahrlehrer aus Bayern gesteht: "Ich bin ein schrecklicher Beifahrer"
Der Fahrlehrer schrieb ein ganzes Buch ("Besoffen mit Fahrrad ist okay, oder?" riva Verlag) über die absurden Momente, die er in seinen bayerischen Fahrschulen erlebt. Im watson-Gespräch spricht er über die Führerscheinreform 2026 und eine (kurze) nackte Radtour.
watson: Was ist die häufigste Ausrede von Schüler:innen bei Fehlern?
Christoph Flittner: Meist hagelt es Erklärungen: "Ich hatte heute Stress in der Schule und weil du gesagt hast, ich solle gleich rechts fahren, war ich abgelenkt. Außerdem kam der Bus vorbei, der ist sonst nie da." Schuld haben auf jeden Fall die anderen.
Wie später im Straßenverkehr auch...
Meist spielt Ablenkung tatsächlich eine Rolle. Es heißt, dass das menschliche Hirn zwischen rund sieben Aufgaben hin und her schalten kann, wenn aber eine achte dazukommt, ist Feierabend.
Viele sonst nette Menschen werden ausfällig hinterm Steuer. Woher kommt das?
Ich glaube, Straßenverkehr ist wie das Internet. Da kann man Dinge sagen oder tun, ohne dass andere es mitbekommen. Man sitzt ja in der Regel alleine im Auto hinter dicken Fenstern, und dadurch fühlt es sich wie ein Safe Space an, in dem man mal richtig loslassen kann.
Welche Aggression nervt dich besonders?
Was mir auf den Zeiger geht, ist dieses Kopfschütteln, so ein missbilligendes Tadeln. Gerade als Fahrradfahrer erlebe ich oft, dass ich ganz regelkonform fahre und mich Autofahrer anstarren und den Kopf schütteln. Da denke ich: "Was denn?! Ich existiere nur!"
Du hast ein Herz für Fahrradfahrer:innen?
Nur solange ich einer bin. Wenn ich zwei Stunden später im Auto hocke, rege ich mich auch auf. (lacht) Mir ist aber bewusst: Einige von denen wissen es nicht besser, weil sie keinen Führerschein haben. Eigentlich wäre Verkehrsbildung für jeden Verkehrsteilnehmer wünschenswert. Aber da gingen die Deutschen mit Mistgabeln auf die Straße.
Gibt es eine Verkehrsregel, die du einführen würdest, wenn möglich?
Ich wünsche mir, dass alle Fahrlehrer Notizen machen dürfen, wenn andere im Straßenverkehr Fehler machen, um das auf direktem Draht der Polizei weiterzugeben. Ich erlebe auch so viel Aggressivität, dass ich oft denke, der oder diejenige sollte gemeldet werden.
In deinem Buch beschreibst du mehrere Väter, die dir deinen Job erklären. Sind es vor allem Männer, die sich mit dir im Verkehr-Expertentum messen wollen?
Es sind wirklich immer Männer, was ich seltsam finde. Es gibt sicher Ausnahmen, aber im Durchschnitt reagieren Frauen weniger emotional und vernünftiger. Bei Männern ist das immer gleich ein Duell, das auf der Straße entsteht. Wie im Western, wo jeder seine Knarre zückt, und dann gucken wir mal, wer sich durchsetzt …
Ein Beispiel?
Wir haben erst letzte Woche in einer Straße wenden geübt. Da stellt sich ein Fahrradfahrer quer vors Auto. Uns, mit dem fetten "Fahrschule"-Dachschild obendrauf. "Kann ich helfen?", frage ich ihn. Und er legt los: "Das ist eine Einbahnstraße, da dürft ihr nicht andersrum raus!" Ich: "Das ist falsch. Zeigen Sie mir bitte mal das Schild, wo Einbahnstraße steht." Da rumpelt er los, ohne jede Logik: "Kein Wunder, dass der Führerschein so teuer ist. Hat selbst der Fahrlehrer keine Ahnung!" Dann ist er schnell davon geradelt.
Da braucht es Nerven aus Stahl. Hast du einen Trick?
Die beste Technik, um ruhiger zu bleiben, ist, älter zu werden. Aber es gibt trotzdem noch Momente, in denen ich aussteige und solche Wüteriche frage, ob ich helfen kann. Dann explodieren die: "Ihr fahrt mit Schrittgeschwindigkeit am Bus vorbei. Seid ihr bescheuert? Da steigt doch niemand aus!"
Und dann sagst du?
"Schauen Sie mal, der hat das Warnblinklicht an. Es ist Gesetz, dass wir dann Schritttempo fahren. Ich finde das auch doof, aber ich kann doch meinen Fahrschülern nicht beibringen, jetzt zu beschleunigen. Oder wie sehen Sie das?" Da fällt den meisten nichts mehr ein.
Was sollen Trotz-Aktionen auf der Straße à la "Den lasse ich aus Prinzip nicht überholen" überhaupt?
Die Comedienne Monika Gruber hat übers Autofahren mal gesagt: "Ich will ja nicht der Depp sein." Das trifft es. Jeder fühlt sich, als würde er persönlich provoziert, wenn er hinter einem Traktor herfahren muss oder die Vorfahrt verliert. Die Wut darüber ist unverhältnismäßig und irrational. Daraus entstehen leider sehr viele Unfälle.
Findest du, dass jede:r Auto fahren sollte?
Ich habe schon Leuten abgeraten, den Führerschein zu machen. Ich lehrte zum Beispiel mal eine Hautärztin, ein kluger Mensch. Aber nach mehreren Stunden haben wir beide eingesehen, dass es nicht funktioniert.
Woran lag das?
Sie hatte sich für jeden Prozess im Straßenverkehr einen Handlungsablauf überlegt, das funktioniert aber nur im Labor. Sobald etwas Unerwartetes kam, war das für sie totaler Stress. Letztlich meinte sie: "Ich lasse es. Selbst wenn ich nach 200 Fahrstunden bestehe, würde ich mich nie hinters Steuer setzen."
Bist du privat ein guter Beifahrer?
Ich bin ein schrecklicher Beifahrer! Ich habe ein hohes Sendungsbewusstsein, sage: "Da könntest du jetzt überholen." Oder: "Du hättest dich weiter rechts einordnen müssen." Ich bin auch ungern Beifahrer, weil ich als 16-Jähriger einen schweren Unfall auf dem Beifahrersitz erlebte.
Moment. Bist du nicht quasi beruflich Beifahrer?
Da kann ich eingreifen, wenn mir was nicht passt. Aber wenn ich in einem Privatauto mitfahre, habe ich keinen Handlungsspielraum.
Bist du schon mal nackig Auto gefahren? Wie ich durch dich gelernt habe, ist das legal.
Einmal bin ich in Boxershorts Auto gefahren, als mir eine Fahrschülerin den Sitz voll gepinkelt hatte und ich mich bei der Rückfahrt hineinsetzte. Ganz nackt habe ich noch nie gebracht. Aber ich bin nackt Rad gefahren.
Ist das erlaubt? Das ist kein geschlossener Raum.
Das ist nicht erlaubt, es war aber auch bloß bei uns in der Straße einmal rauf und runter.
2026 ist die Führerschein-Reform geplant. Unter anderem sollen dann einige Pflichtfahrten in Simulatoren absolviert werden können. Wie findest du das?
Als Ergänzung finde ich Simulationsfahrten super, als Ersatz gefährlich. Ich glaube auch nicht, dass Fahrschüler dadurch Geld sparen, da sie mit wenig Fahrpraxis eher durch die Prüfung rasseln und später mehr Unfälle bauen. Ähnliches beobachten wir, wenn Schüler die Theorie nur per App lernen, der Inhalt sitzt nicht.
Mit Simulatoren wäre das ähnlich?
Wenn ich in den Urlaub flöge und die Durchsage käme: "Guten Morgen, das ist heute mein erster Flug mit einer richtigen Maschine, aber keine Angst, ich hab' schon 10.000 Flugstunden im Simulator absolviert." Da würde ich aussteigen wollen. Genau so hier. Wenn Fahrschüler nur auf dem Simulator Autobahnfahrten machen und dann alleine mit 200 km/h herumfahren, ist das gefährlich für uns alle. Pervers fände ich das.
Aber Simulationen haben auch Vorteile?
Es ist wichtig, dass man real spürt, wie das ist, wenn das Sonnenlicht blendet, das Auto rumpelt und die Geschwindigkeit anzieht. Aber Simulationen sind toll, um Sondersituationen wie Glatteis oder einen Lkw mit herunterfallender Ladung nachzuspielen.
Es steht auch eine EU-Führerscheinreform an. Dann soll der Führerschein für alle EU-Länder gelten und die Regeln sollen einheitlicher werden. Wie findest du das?
Gut. Auch Sanktionen wären dann grenzübergreifend gültig, das ergibt Sinn. Es war ja Quatsch, in einem Land Fahrverbot zu haben und im Nachbarland weiter herumfahren zu können. Für alle, die sich vernünftig verhalten, sind das gute Nachrichten.
