13 Jahre Haft: Im Januar entschied der Bundesgerichtshof endgültig, dass das Urteil gegen den Berliner Ku'damm-Raser Marvin N. rechtskräftig ist. Zuvor wurde der Fall mehrfach verhandelt, der zweite Fahrer Hamdi H. war bereits wegen Mordes verurteilt worden. Die beiden jungen Männer verabredeten sich am im Februar 2016 nach einer zufälligen Begegnung spontan zu einem illegalen Autorennen. Bei einer Geschwindigkeit von bis zu 160 km/h überquerten sie mehrere rote Ampeln, bis Hamdi H. mit seinem Audi S6 in einen unbeteiligten Jeep raste, der bei Grün die Kreuzung überquerte. Der 69-jährige Fahrer starb noch am Unfallort.
Der Fall erlangte deutschlandweit Bekanntheit und endete mit einem wegweisenden Urteil: Marvin N. und Hamdi H. sind die ersten Raser in Deutschland, die im Zusammenhang mit einem illegalen Autorennen wegen Mordes verurteilt wurden. Zudem reagierte auch die Politik und brachte 2017 ein neues Strafgesetz auf den Weg, demnach illegale Autorennen sowie Einzelrennen und Polizeifluchten als Straftat gelten. Zuvor galten illegale Autorennen lediglich als Ordnungswidrigkeit. Gemäß §315d drohen seitdem hohe Geldstrafen oder eine Haftstrafe bis zu zehn Jahre. Der Fall ist allerdings nur einer von vielen Autounfällen mit Todesfolge, in welche junge Männer verwickelt waren.
Jedes Jahr verlieren weltweit Tausende Menschen bei Verkehrsunfällen ihr Leben – vor allem junge Männer. Im dem am Donnerstag veröffentlichten Verkehrssicherheitsreport 2022 der Prüfgesellschaft Dekra "Mobilität junger Menschen" erkennt diese ein klares Muster: Verkehrsopfer sind mehrheitlich männlich, mit dem Auto oder Motorrad unterwegs, zu schnell und möglicherweise alkoholisiert.
Zwar ist die Zahl der 15- bis 24-Jährigen bei tödlichen oder schwer verletzten Unfallopfern allgemein deutlich gesunken - doch ist sie immer noch viel höher als in anderen Altersgruppen. In Deutschland, wo 2019 nach Zahlen des Statistischen Bundesamts 429 junge Menschen zwischen 15 und 24 bei Verkehrsunfällen starben, waren die Verkehrstoten dieser Altersgruppe fast viermal so häufig Männer.
Mangelnde Fahrerfahrung, Selbstüberschätzung oder fehlende Fahrzeugbeherrschung sind laut Dekra die großen Risikofaktoren für Fahranfänger. Auch auf eingeschränkte Gefahrenwahrnehmung, Ablenkung vom Verkehr etwa durch Handynutzung oder Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss weisen sie hin. "Allesamt Problembereiche, die nicht zuletzt auch im Rahmen der Fahrausbildung noch stärker in den Fokus rücken sollten", sagt Jann Fehlauer, Geschäftsführer der Dekra Automobil.
Der Arzt und Psychotherapeut Prof. Dr. Frank-Gerald Pajonk vom Zentrum Isartal im Verbund der Oberberg Kliniken erklärt, dass die erhöhte Risikobereitschaft junger Männer zum einen biologisch erklärbar ist: Wer mehr Testosteron-Hormone hat, verhalte sich risikobereiter. Aber auch andere Hormone und Prozesse spielen eine Rolle: "Die Männer haben eine andere Form von Stressreaktion auf Aufregung, so dass dort mehr Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet wird."
Ein psychologischer Faktor sei, dass "gerade junge Männer auch lernen, Männer zu sein." Dies gehe einher mit einer bestimmte sozialen Erwartungshaltung, dass sich Männer kerniger und zupackender verhalten und ihre Dominanz beweisen.
Georg Habeeb von der Fahrschule "Turbo" in Berlin-Neukölln, kennt die Problematik. In seinem Unterricht würde man besonders darauf eingehen, dass man kein Handy am Steuer benutze. Er sagt im Gespräch mit watson:
In seinem Aufbauseminar sei der Großteil der Menschen "wegen der Benutzung von der elektronischen Geräten, also dem Handy" am Steuer da. Alkohol oder Drogen seien dagegen seltener, weiß er aus der Praxis. Auch darauf würden sie im Unterricht stets verstärkt hinweisen. "Ich sage ihnen auch, dass mehr passiert durch Drogen, weil die länger im Blut bleiben als Alkohol."
Dass der Cannabiskonsum häufig als weniger schlimm als der das Trinken von Alkohol angesehen wird, macht das Problem nicht kleiner: "In manchen Bereichen wurden die Gefahren von Cannabis eher überschätzt, in anderen Bereichen eher unterschätzt", sagt Dr. Frank-Gerald Pajonk. Zwar könne der Cannabis-Konsum bei manchen Erkrankungen äußerst hilfreich sein, doch vor dem Fahren vermindere es ebenso wie Alkohol die Reaktionsfähigkeit im Straßenverkehr:
Neben der Handynutzung und Drogen am Steuer sei häufig eine überhöhte Geschwindigkeit ein Grund für Verkehrsunfälle, aber das Rückwärtsfahren oder Überfahren einer roten Ampel. Wobei dies meist passiere, weil die jungen Autofahrer und -fahrerinnen sich zeitlich verkalkulierten bei Bremsweg und Geschwindigkeit, wie Habeeb sagt. "Die meisten Verstöße waren innerhalb der ersten Sekunde und nicht nach einer Sekunde."
"Die Kombination aus geringer Fahrpraxis und Jugendlichkeit stellt einen gefährlichen Risiko-Mix für Fahranfängerinnen und Fahranfänger dar: Sie sind überdurchschnittlich häufig Hauptverursachende von Pkw-Unfällen", sagt auch Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR).
Um dieses Risiko zu senken, sei 2011 das begleitete Fahren ab 17 dauerhaft eingeführt worden. "Und es wirkt: Jugendliche, die daran teilnehmen, sind im ersten Jahr ihres selbstständigen Fahrens 23 Prozent seltener an Verkehrsunfällen beteiligt als Jugendliche, die nicht daran teilgenommen haben", so Eichendorf. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will das begleitete Fahren schon ab 16 einführen.
Auch der Leiter der Fahrschule "Turbo" in Berlin, Habeeb, ist ein großer Fan des begleiteten Fahrens und würde eine Absenkung auf 16 Jahre begrüßen:
Gegen den Drang zum Rasen fordert Dekra-Chef Fehlauer auch die Vermittlung von Kompetenzen wie Selbstkontrolle und -beobachtung sowie die konsequente Vermittlung von Verkehrsregeln in Fahrschulen. Als Führerscheinneuling sei man nicht automatisch schon ein guter Fahrer und habe ausgelernt. Des weiteren die konsequente Kontrolle und Ahndung gefährlicher Verhaltensweisen am Steuer sowie ein absolutes, überall geltendes Alkoholverbot für Fahranfänger.
(mit Material der dpa)