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Erstes Baby: Das machen fast alle Paare bei der Vorbereitung falsch

Adult couple expecting baby spending time together at home. Couple using smartphone.
Viele Paare starten euphorisch in die Babyzeit, landen dann aber in einer Krise.Bild: iStockphoto / klebercordeiro
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Vorbereitung aufs erste Baby: Das machen wirklich fast alle Paare falsch

10.03.2024, 08:41
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Auf Schwangerschaftsfotos sieht man noch seelig aus. Doch nur ein paar Monate später, wenn man todmüde und mit zerbissener Brust feststellt, dass der Partner SCHON WIEDER nicht den stinkenden Windelmüll weggebracht hat, ist man plötzlich den Tränen (und der Trennung!) nahe. Nina Grimm kennt das.

Die Familienpsychologin hat – ironischerweise – den Crash ihrer eigenen Ehe nicht aufhalten können, als das Baby kam. Aber ihr gelang der Neustart mit ihrem Mann. Deswegen will sie nun auch anderen helfen und hat darüber ein Buch geschrieben: "Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid" (10 Fehler, die Elternpaare begehen – und wie ihr sie vermeiden könnt, G/U Verlag GmbH).

Watson sprach mit ihr über Kinder als Beziehungskrise und die Erkenntnis, dass die Partnerschaft manchmal gar nicht das Problem ist, sondern die Lösung.

Nina Grimm Familienpsychologin Autorin
Familienpsychologin Nina GrimmBild: privat / Nicole Tie Fotografie

Watson: Vor Kindern denken Paare oft: "Wir bleiben lässig und gleichberechtigt wie zuvor." Nur um in denselben Konflikten zu landen wie das Umfeld. Warum sind wir alle gleich blöd?

Nina Grimm: Weil man im Vorfeld nicht begreift, was sich alles verändert, man kann es sich überhaupt nicht vorstellen. Da ist der überhöhte Anspruch, den die Gesellschaft an die Mutter hat und Mütter auch an sich selbst. Dazu kommt Stress, Müdigkeit, wenig Zeit füreinander. Das ist etwas, was man vorher nie in dem Ausmaß hatte und völlig unterschätzt.

"Unser Hirn funktioniert wie eine Fliege. Egal wie viel blühende Blumen um uns herum verfügbar sind, sie findet unter Garantie den einen Scheißhaufen."

Dann kracht es, zuweilen bis zur Trennung. Wie stoppt man das?

Wichtig ist, erst festzuhalten: Wir beide wollen es miteinander schaffen. Als zweiten Step schaut man: Was genau passiert in mir, wenn wir streiten? Was will ich von meinem Partner? Viele wissen das gar nicht so genau. Es ist sehr leicht, mit Vorwürfen herauszupoltern, denn was man NICHT will, spürt man schnell. Aber zu formulieren, was man braucht, ist schwerer.

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Wenn es gut läuft, könnte die Beziehung sogar die Lösung vieler Probleme sein, oder?

Voll. Aus der US-amerikanischen Paartherapieforschung weiß man, dass 70 Prozent unserer Familienkonflikte dynamischer Natur sind. Das heißt, es geht nicht wirklich um den Putzplan, sondern da werden Verhaltensprogramme aus der Kindheit losgetreten. Dafür kann man ein Bewusstsein entwickeln, nach dem Motto: "Weißt du, wenn du die Milch vergisst, meldet sich in mir das kleine Kind, dass sich tierisch aufregt, weil mir wieder nicht zugehört wurde." Eigentlich sind Paarbeziehungen prädestiniert, um unglückliche Erfahrungen endlich zu korrigieren.

Oft wachsen beide Eltern über sich hinaus, wenn ein Baby kommt. Warum fällt es so schwer, diese Leistung anzuerkennen?

Schuld daran ist unser Gehirn, weil es eine negative Fokussierung hat. Das macht evolutionspsychologisch Sinn. Unsere Steinzeitkollegen konnten sich ja auch nicht zurücklehnen und daran erfreuen, wie schön das Feuer in der Nacht lodert und darüber das gruselige Knacken im Busch ignorieren. Die erhöhte Aufmerksamkeit für potenzielle Gefahren nennt man Hypervigilanz. Sie ist Menschen angeboren. Und bei Eltern, die sich um ein Kind kümmern, noch ausgeprägter.

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Bild: G/U Verlag

Kann man sich den Fokus auf Negatives abgewöhnen?

Wenn wir erkannt haben, dass wir diese Negativfokussierung haben – und dieser andere Mensch, mit dem man zusammenlebt, nicht tatsächlich komplett bescheuert ist –, kann man sich wieder öffnen für Dinge, die gut laufen. Mein Lieblingsbild dazu ist die Biene und die Fliege. Unser Hirn funktioniert wie eine Fliege. Egal wie viel blühende Blumen um uns herum verfügbar sind, sie findet unter Garantie den einen Scheißhaufen und setzt sich mitten darauf. Die Biene hingegen findet immer den Nektar, egal wie karg die Landschaft ist. Sie sucht das Schöne.

Also: Sei nicht wie die Fliege?

Ab und an ist das okay, dann will man das Elend fühlen. Aber irgendwann sollte man schauen, was ist denn rechts und links noch? Ist das auch alles Scheiße? Das ist es, was bei vielen Paaren irgendwann nicht mehr passiert.

In feministischen Debatten heißt es aber: "Mamis, weist auf den Mist hin, sonst ändert sich nix!"

Das eine schließt das andere nicht aus. Themen, die nicht laufen, müssen auf den Tisch. Aber dann darf man die Wut wieder loslassen, einem selbst zuliebe. Für mich war es eine wichtige Erkenntnis. Nicht, weil ich mich patriarchalen Strukturen hingebe und meinen Mann aus der Verantwortung entlasse, sondern weil ich mir angeschaut habe: Was steckt hinter meinem Groll?

Und was steckt dahinter?

In den feministischen Debatten geht es meistens um Wertschätzung. Interessanterweise fehlt die Vätern auch oft. Beide Eltern fühlen sich für ihre Leistung zu wenig wertgeschätzt, vor allem vom eigenen Partner.

Kennst du das Gefühl aus deiner Ehe?

Ich brauchte lange, um zu begreifen, dass mein Mann mir seine Wertschätzung durchaus mitteilt, aber auf seine Art. Er zeigt Liebe, indem er die Organisation von Kinderterminen leistet oder mir Kaffee kocht. Ich brauche aber jemanden, der mir in Worten sagt, was ich ihm bedeute. So kommunizierten wir aneinander vorbei. Das wurde erst besser, als wir über unsere Bedürfnisse sprachen.

"Es ist ein Fehler, dass wir denken, wir sind perfekt vorbereitet als Paar, wenn wir den besten Kinderwagen recherchiert haben."

Nicht immer sind beide dazu bereit.

Veränderungen kann man auch alleine anschubsen, denn es ist wie beim Tanzen – bewegt sich einer plötzlich anders, kann es durchaus passieren, dass der andere dann mitzieht.

Ein Beispiel?

Angenommen, du wünschst dir mehr Wertschätzung, versuche doch mal als Experiment, was passiert, wenn du beginnst deinem Liebsten Wertschätzung entgegenzubringen. In Krisen geht nämlich oft schon die Gesprächseröffnung schief. Es gibt eine Zahl aus der Kommunikationsforschung, die besagt, dass die ersten zwei Minuten über den Gesprächsverlauf bestimmen: Wird mit einem Vorwurf eröffnet, folgt in 96,4 Prozent der Fälle Streit.

Also nimmt man sich vor, sachlich zu bleiben. Aber dann hat man nicht geschlafen, ist durchs Babygeschrei genervt, durchs Stillen erschöpft … und Boom!

Absolut. Mit fünf Ausrufezeichen. Genau da sitzt die größte Vorbereitungslücke der meisten Paare. Es ist ein Fehler, dass wir denken, wir sind perfekt vorbereitet als Paar, wenn wir den besten Kinderwagen recherchiert haben. Die einzig wirklich relevante Sache, über die man sprechen sollte, ist: Was brauchen wir voneinander, wenn wir das Limit erreichen? Werdende Eltern googeln stundenlang Wollseide-Bodys, doch diese Zeit wäre besser in Gespräche investiert.

Was ist die zentrale Frage, die man sich stellen sollte?

Wie reagiere ich, wenn ich unter Stress stehe? Was brauche ich dann von dir?

Wer das nie lernt, wird sein Streitmuster auch in die nächste Beziehung tragen, oder?

Das ist mir passiert. Conrad und ich trennten uns, als unsere Tochter 18 Monate alt war. Ich hatte eine neue Beziehung. Und da gab es diesen Moment, in dem es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Ich stand eines Abends im Flur und erlebte eins zu eins denselben Konflikt mit dem neuen Mann wie damals mit Conrad. Ich fühlte mich nicht gesehen, nicht wertgeschätzt … Dabei konnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Ich dachte: "Wie krass, Nina, auch in dieser Beziehung zeigt sich das Thema. Dann hat das wahrscheinlich was mit dir zu tun. Wenn du dieses Ding sowieso für dich lösen musst, dann lieber mit dem Vater deiner Tochter."

Und jetzt? Alles in Ordnung?

Natürlich nicht. Wir streiten uns immer noch, auch heftig. Was sich verändert hat, ist, dass wir schneller hinausfinden. Wir haben gelernt, dass es nicht wirklich um die Kichererbsen geht, die einer vergessen hat und kommen direkt zum Kern des Problems. Das spart viel Energie.

Es geht gar nicht um die Kichererbsen?!

Es geht nie um die Kichererbsen.

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