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Interview

Tebogo Nimindé-Dundadengar über Kleinkinder und Rassismus

"Ein Lalülala! Ein Hundi! Ein Mann mit Turban!" Kleine Kinder staunen lautstark über alles – manchmal auch über Menschen, die anders aussehen als Mama oder Papa.
"Ein Lalülala! Ein Hundi! Ein Mann mit Turban!" Kleine Kinder staunen lautstark über alles – manchmal auch über Menschen, die anders aussehen als Mama oder Papa. Bild: iStockphoto / Rawpixel
Interview

"Mama, guck mal! Die Frau hat braune Haut!" – Wie zur Hölle bespricht man Rassismus mit einem Kleinkind?

18.12.2021, 13:3119.12.2021, 11:23
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Als Elternteil ist man oft mit Aufgaben konfrontiert, mit deren Lösung man sich bislang noch nie auseinandersetzen musste. So hat mein Dreijähriger es letztens geschafft, Magneten im (bereits benutzten) Klo zu versenken. Ein seltsamer Alltags-Task, aber nicht unlösbar, sofern man einen Schraubenzieher aus Stahl besitzt.

Etwas ratloser bin ich hingegen, seitdem er und seine Zwillingsschwester begonnen haben, lautstark die Hautfarben und kulturellen Eigenheiten fremder Menschen herauszuschreien. "Mama, die Frau hat ja braune Haut!", schrie meine Tochter auf dem Spielplatz begeistert, während sie mit ihrem ausgestreckten (weißen!) Zeigefinger, auf eine fremde Mutter am Sandkastenrand wies, die nur zwei Meter entfernt saß und so tat, als würde sie uns gar nicht hören. "Auch braune Hände!!!", ließ meine Kleine nicht locker. Ähnliche Aufmerksamkeit wird auch unserem Paketboten zuteil, der einen Turban trägt. Von Frauen mit Niqab fange ich gar nicht erst an. Es ist peinlich. Und es lässt mich mit einem Fragezeichen zurück: Was zur Hölle wäre eine angemessene Reaktion?

Ist das schon Rassismus oder nur Wissbegierde? Und: Sind meine Kinder die einzigen, die derart unverblümt fremde Mitmenschen kommentieren? Nein, sagt Tebogo Nimindé-Dundadengar dazu, "Alle Kinder machen das." Die 40-Jährige ist Psychologin mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie und lebt in Berlin. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin bietet sie auch Anti-Rassismus-Trainings in Kitas an. Mit watson sprach sie über peinliche Fragen auf dem Spielplatz, verunsicherte Eltern und den wahren Wert diverser Helden.

Tebogo Nimindé-Dundadengar (re.) gründete zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Olaolu Fajembola den Onlineshop Tebalou für diverse Spielwaren.

watson: Welche Rolle spielt die Hautfarbe für kleine Kinder überhaupt?

Tebogo Nimindé-Dundadengar: Wir hören ganz oft von Erwachsenen: "Unsere Kinder sehen keine Unterschiede, wenn es um Fragen der Hautfarbe geht", aber das ist ein romantischer Mythos, der wissenschaftlich widerlegt wurde. Kinder nehmen Hautfarben schon im Alter von drei bis sechs Monaten wahr, dann erkennen sie nämlich bereits, ob die Hautfarbe ihres Gegenübers anders ist, als die ihrer Hauptbezugsperson. Das ist Teil einer gesunden Entwicklung von Babys. Damit gehen schon die Kleinsten sicher, dass sie gerade ihre Mama oder ihren Papa vor sich haben.

Und wie reden Kleinkinder über Hautfarben?

Im Alter von drei bis fünf Jahren haben Kinder schon alle gängigen Vorurteile aus ihrem Umfeld übernommen. Auch erste Ausgrenzungen und Ausgrenzungserfahrungen machen Kinder meist in dem Alter von zwei bis vier Jahren. Da heißt es dann im Kindergarten oder auf dem Spielplatz zum Beispiel: "Du darfst aber nicht mitmachen, weil: Du bist braun."

Können denn schon Kita-Kinder rassistisch sein?

So würde ich das niemals sagen. Ein Dreijähriger kann noch kein Rassist sein, selbst wenn er rassistische Inhalte nachplappert. Kleinkinder sind einfach ein Spiegel dessen, was sie erleben und reproduzieren dabei dann auch rassistisches Verhalten.

Was, wenn das eigene Kind lautstark über die dunklere Hautfarbe, den Rollstuhl oder den Turban fremder Menschen staunt? Am besten noch wild darauf zeigt?

Alle Kinder machen das. Kinder sind eben neugierig. Das fühlt sich für Eltern vielleicht unangenehm an, aber peinlich berührt zu sein, macht es nur noch komischer. Nicht zielführend ist es, dann in Schockstarre zu geraten und dem Kind zu sagen: "Pssst... sowas sagt man nicht." Denn das vermittelt das Gefühl, dieser andere Mensch wäre irgendwie falsch, man dürfe deshalb nicht über ihn sprechen. Mein Rat wäre, bei der Wahrheit zu bleiben: "Genau, Menschen haben unterschiedliche Hautfarben" oder "Ein Rollstuhl hilft Menschen, wenn sie nicht mehr gut laufen können". Es muss gar nicht kompliziert sein.

"Ein Dreijähriger kann noch kein Rassist sein, selbst wenn er rassistische Inhalte nachplappert."

Und wenn das Gegenüber das mitbekommt und sich vielleicht verletzt fühlt?

Das müssen beide Seiten aushalten. Zur kommentierten Person zu gehen und sich für das neugierige Kind zu entschuldigen, wäre überzogen. In zwischenmenschlichen Situationen gibt es immer Unsicherheiten, gerade wenn das Thema sensibel ist. Den richtigen Umgang damit muss die Gesellschaft Stück für Stück aushandeln. Als das Thema Sexismus aufkam, waren viele Männer auch verunsichert: Was darf ich jetzt noch im Flirt sagen? Was wird als Belästigung verstanden? Das sind nun mal gesellschaftliche Lernprozesse.

Und wie können BiPoc (Black indiginous People of color) damit umgehen, wenn ihr Kind Rassismus erlebt?

Problematisch wird es, wenn Eltern in die eigene Kindheit zurückgeworfen werden und ihre Rassismus-Erfahrungen mit denen ihrer Kinder vermischen. Mit dieser Last aus der Vergangenheit sollte man sich auseinandersetzen, um die eigenen Ängste nicht zusätzlich auf das Kind zu übertragen. Es ist für viele Eltern sehr schwierig, zu akzeptieren, dass sie ihrem Kind niemals einen 100-prozentigen Schutz vor Rassismus bieten können. Aber sie können zusammen mit dem Kind überlegen, wie es in entsprechenden Situationen reagieren kann, um sich nicht so ausgeliefert zu fühlen.

Nun denkt manch einer vielleicht: Rassismus und Antirassismus sind ganz schön große Themen für ein kleines Kind. Warum setzen Sie so früh an?

Weil Kinder in diesem Alter bereits Rassismus erleben – und das muss aufgefangen werden. Kleine Kinder haben auch noch ein ganz instinktives Verständnis für Gleichberechtigung. Wir sehen ständig, dass Kinder mit großer Empörung reagieren, wenn sie hören, dass Menschen nur wegen ihrer Haut oder Haaren ungerecht behandelt werden. Es fällt ihnen leicht, die ganz simple Ungerechtigkeit darin zu erkennen.

Ist es denn irgendwann zu spät, Vorurteile abzubauen?

Nein. Alles was wir lernen, können wir auch wieder verlernen – dazu gehört aber, sich ehrlich bewusst zu machen, wo man selbst rassistischen Vorurteilen verfällt. So berichten mir Schwarze Männer oft, dass die Frauen auf der Straße ihre Handtaschen fester greifen, wenn sie neben ihnen laufen. Ich glaube nicht, dass den Passantinnen dieses Verhalten bewusst ist, aber solche Verhaltensweisen müsste man sich erst einmal eingestehen und das kann schmerzhaft sein. Zum Lernprozess gehört es auch, Rassismus-Erfahrungen ernst zu nehmen und nicht zu relativieren. Ausgrenzungen von BiPoc, aber auch von Menschen mit Behinderungen oder LGBTQ-Personen, sind keine Einzelfälle – sie finden regelmäßig in Deutschland statt.

"Wir sehen ständig, dass Kinder mit großer Empörung reagieren, wenn sie hören, dass Menschen nur wegen ihrer Haut oder Haaren ungerecht behandelt werden. Es fällt ihnen leicht, die ganz simple Ungerechtigkeit darin zu erkennen."

Begegnen Ihnen auch rassistische Vorurteile, die vermeintlich nett gemeint sind?

Allerdings. Wir bieten Anti-Rassismus-Trainings an Kitas an. Und es passiert nicht selten, dass die Betreuer dort sagen: "Also gerade unsere Schwarzen Kinder haben wir besonders gern, die sind ja so niedlich und lebensfroh. Tanzen immer wie wild in der Morgenrunde mit..."

Auch das ein rassistischer Stereotyp. Wie kommt so etwas bei den Kindern an?

Es ist in mehrfacher Hinsicht ein Problem. Denn erstens können natürlich nicht alle super tanzen. Die ohne Rhythmusgefühl zweifeln dann an sich: "Bin ich vielleicht gar kein richtiges Schwarzes Kind – oder ein schlechtes?!" Zudem wird die Individualisierung untergraben und nicht mehr das einzelne Kind betrachtet, sondern eine Masse Kinder mit einem Schlag charakterisiert. Der andere Punkt ist, dass dieses Vorurteil die harte Arbeit aller Schwarzen Künstler aberkennt. Talent ist wichtig, aber ohne Fleiß wird man nicht erfolgreich. Daher ist es sehr ungerecht, jemanden, der seit Jahrzehnten hart arbeitet, zu sagen: "Du hast es halt einfach im Blut."

Was sind denn typische Fragen, die in den Kitas sonst so durch die Erwachsenen aufkommen?

Das größte Thema ist immer die Unsicherheit und Scham der Eltern und Erzieher. Das Thema Rassismus wird gerne von sich weggeschoben, mit dem Argument "Das gibt es bei uns nicht. Rassismus würden wir nie zulassen." Zudem sind viele Erwachsenen unsicher, wie sie das Thema angehen sollen: Was darf man eigentlich sagen, wenn man über Hautfarben spricht? Wie viel Raum sollte man dem Thema geben?

Das klingt nach sehr viel Vorsicht.

Ja. Dabei kann man auch mal den Blick auf die Chancen richten, die ein Gespräch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in sich birgt. Die Kinder gehen an das Thema entspannt ran und das sollten wir auch. Neugier aufeinander kann lustig sein und wirklich Spaß machen.

"Das Thema Rassismus wird gerne von sich weggeschoben, mit dem Argument 'Das gibt es bei uns nicht. Rassismus würden wir nie zulassen.'"

Und was raten Sie Erwachsenen, die gar nicht wissen, wie sie solch ein Gespräch anfangen sollen?

Erst einmal würden wir uns wünschen, dass Hautfarben genauso ausführlich mit Kindern besprochen werden, wie jedes andere Körperteil auch. Kleinkinder reden gerne über ihre Finger, ihre Zehen und ihre Nasen – genauso unbeschwert kann man auch mal die Hände am Essenstisch vergleichen und über die eigene Hautfarbe reden – auch weiße Haut hat unterschiedliche Farbtöne, die mal gelb, rosa oder beige erscheinen. Man muss die Erklärung dazu nicht unnötig kompliziert machen: In der Haut gibt es einen Stoff, der heißt Melanin. Und je mehr Melanin man im Körper hat, desto dunkler sind eben auch die Haare, die Haut und selbst die Augen.

Weitere Tipps?

Spielzeuge und Bücher, die diverse Helden und Lebenswelten zeigen, sind ein gutes Werkzeug, um sich genau diesen Themen zu nähern. Unsere Gesellschaft besteht ja nicht nur aus weißen Familien mit gesunden Kindern, in denen es Mama und Papa gibt. Wir haben sogar einen Onlineshop gegründet, der sich auf diverse Spielzeuge und Bücher konzentriert – da gibt zum Beispiel Puppen mit Downsyndrom, ein queeres Memory oder Bücher, in denen Schwarze Mädchen Abenteuer erleben.

"Es war schön, sich mit einer Heldin identifizieren zu dürfen, ohne den Umweg gehen zu müssen, erst blond und blauäugig zu werden."

Was hat das für einen Einfluss auf Kinder, die sich sonst eher selten in Büchern, Filmen oder als Figuren wiederfinden?

Für die Kinder, die sich sonst nicht repräsentiert sehen, ist es eine Form der Wertschätzung, der Gleichwertigkeit. Es zeigt, dass auch sie gesehen werden und Teil der Welt sind. Und es eröffnet Möglichkeiten. Die Kinder sehen einen Protagonist, der aussieht wie sie und denken sich: "Ich könnte auch ein Held in einer Geschichte sein." Das motiviert unheimlich.

Ich habe über Sie gelesen, dass "Momo" für Sie in der Kindheit eine wichtige Rolle spielte?

Darauf werde ich permanent angesprochen (lacht). Ich war gar kein riesiger Momo-Fan, aber es war schon so: Als ich, ein afro-deutsches Mädchen, zum ersten Mal "Momo" im Film sah, dachte ich: "Wow. Das könnte ich sein." Sie war so mutig, kämpfte gegen gefährliche Männer und trug wilde Locken. Es war schön, sich mit einer Heldin identifizieren zu dürfen, ohne den Umweg gehen zu müssen, erst blond und blauäugig zu werden. Momo gab mir das gute Gefühl, dass ich gleich jetzt, so wie ich war, Großes erreichen könnte.

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