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Corona und Bildung: Wie Studenten sich für Schüler in der Pandemie einsetzen

Young women studying at home during pandemic isolation
Tagsüber Seminare, abends Nachhilfelehrer: Ehrenamtliche Studenten sind für viele Schüler jetzt eine große Stütze.Bild: E+ / Kemal Yildirim
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"Bildungsungerechtigkeit wird uns länger erhalten bleiben als die Pandemie": Wie sich Studenten für Corona-Schüler engagieren

24.08.2021, 11:1525.08.2021, 12:01
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Die Corona-Pandemie hat viele Deutsche in eine Art Schockstarre versetzt, die vor allem vom Verharren und Schimpfen geprägt war. Eine Gruppe von Mathestudenten ging die Krise jedoch völlig anders an: Sie sahen die Probleme der Schüler, wurden aktiv und fanden eine Lösung.

Christopher Reiners ist einer von ihnen. Der 23-Jährige gründete im März 2020 die "Corona School" mit, eine Plattform über die sich Studierende als kostenlose Nachhilfelehrer für Schüler und Schülerinnen anbieten können. Damit wollten sie besonders den Kindern helfen, die drohten, im Rahmen des pandemiebedingten Homeschoolings völlig den Anschluss zu verlieren.

Denn besonders im Homeschooling haben nicht alle Kinder die gleichen Bedingungen: Laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft verfügen hierzulande nur 27,8 Prozent der Zwölfjährigen über einen eigenen PC oder Laptop. Bei den Vierzehnjährigen sind es 41,4 Prozent – weniger als die Hälfte. In Familien mit Migrationshintergrund haben nur 22,4 Prozent und in Haushalten mit Hartz-IV-Bezug sogar nur 15 Prozent der Zwölfjährigen einen eigenen Computer, wie die Statista-Grafik zeigt.

Auch das Team der Studenten erkannte schnell: Besonders sozial benachteiligte Schüler haben eine unbürokratische Form der kostenlosen Unterstützung nötig – und zwar über die Epidemie hinaus. Sie änderten ihren Namen daher inzwischen in lern-fair.de und stellten 14.000 Matches zwischen Schülern und Ehrenamtlichen her, versorgen die Kinder zum Teil auch mit technischen Hilfsmitteln. Mit watson sprach Christopher über eine fixe Idee, die in der Krise entstand, Engagement vom Sofa aus und wie sie schon Schulabschlüsse retten konnten.

Er sagt:

"Die Bildungsungerechtigkeit wird uns noch sehr viel länger erhalten bleiben als die Pandemie."

watson: Wie kamt ihr auf die Idee, seit der Coronakrise kostenlose, digitale Nachhilfe anzubieten?

Christopher Reiners: Wir sind wirklich über Nacht auf die Idee gekommen, die Website ins Leben zu rufen. Mitte März 2020 stand fest, dass die Schulen deutschlandweit schließen sollten. Wir, eine Gruppe von Mathematikstudenten aus Bonn und Berlin, haben überlegt, wie wir in dieser Situation helfen könnten. Die Medizinstudenten haben alle im Krankenhaus mit angepackt, damit konnten wir nicht dienen. Aber viele von uns hatten schon in der Schulzeit Nachhilfe gegeben und so kam uns die Idee zu einer digitalen, kostenlosen Nachhilfe-Plattform von Studenten für Schüler und Schülerinnen.

Und das Konzept wurde sofort angenommen?

Nachts haben wir eine erste Website erstellt und diese an Fachschaften geschickt. Schon am nächsten Morgen hatten wir fünfzig Registrierungen von Studierenden, die sich beteiligen wollten. Es war für uns cool zu sehen, dass es so viele Helfer gibt. Also begannen wir, das weiter aufzubauen und hatten unser erstes Studenten-Schüler-Match nach schon einer Woche.

Wie läuft diese Vermittlung zwischen Schülern und Studenten denn ab?

Wer sich als Helfer registriert, führt ein erstes Kennenlerngespräch mit uns, um sicherzugehen, dass keine schwarzen Schafe in Kontakt mit den Schülern und Schülerinnen kommen. Die Schüler können sich ihrerseits individuell bei uns anmelden und angeben, in welchen Fächern sie Hilfe brauchen. Dann versuchen wir passende Studierende zu finden und ein Match zu vermitteln – aktuell dauert dieses Matching etwa eine Woche.

"Viele von uns erinnern sich noch sehr gut an die Schulzeit, die ist ja auch noch nicht lange her, so entstehen Gespräche auf Augenhöhe."

Viele Schüler klagten in der Corona-Krise über mangelhaften Digitalunterricht und Lernlücken. Habt ihr das auch so erlebt?

Tatsächlich kam durchaus die Rückmeldung, dass sich die Schüler und Schülerinnen mit dem Digitalunterricht oft alleine gelassen gefühlt haben. Die haben Arbeitsblätter zugesandt bekommen, die kompliziert herunterzuladen waren und dann gab es auch wenig Feedback. Besonders Schüler, die wenig familiären Support hatten, blieben da auf der Strecke. Die waren dankbar, dass sie bei uns einen direkten Ansprechpartner per Video zur Verfügung gestellt bekommen haben, der fachlich helfen kann, aber mit dem man auch mal besprechen kann, wie man sich beim Lernen eigentlich sinnvoll strukturiert. So etwas wird ja in der Schule kaum gelehrt.

Hilft es denn, dass die Helfer nicht viel älter sind als die Schüler?

Absolut. Zum Einen half uns der geringe Altersunterschied bei der Konzeption der Plattform, auf der wir versucht haben, vor allem Kanäle zu nutzen, die die Jugendlichen schon kennen und alles möglichst simpel zu halten. Zum Anderen ist es aber auch angenehm für die Schüler und Schülerinnen, mit jemanden zu Lernen, der sie nicht benoten muss und keine einschüchternde Autorität darstellt. Viele von uns erinnern sich noch sehr gut an die Schulzeit, die ist ja auch noch nicht lange her, so entstehen Gespräche auf Augenhöhe, das ist gerade beim Eins-zu-Eins-Videochat angenehm für alle.

Das Angebot ist komplett kostenlos. Warum ist euch das so wichtig?

Die Idee unserer Plattform entstand zwar im Lockdown, aber uns ist schon im Herbst 2020 ganz deutlich geworden: Die Bildungsungerechtigkeit wird uns noch sehr viel länger erhalten bleiben als die Pandemie. Deshalb änderten wir den Namen auch von "Corona School" in "lern-fair" – wir möchten, dass unser Angebot über die Krise hinaus genutzt werden kann. Viele Schüler haben nicht die finanziellen Mittel, sich Nachhilfe zu leisten oder es liegen komplizierte Hürden, wie Bildungsgutscheine, dazwischen. Auf derart benachteiligte Schüler wollen wir uns als Zielgruppe konzentrieren, denn sie brauchen die Unterstützung am nötigsten. Jeder sollte so einfach wie möglich an Hilfe kommen, damit er seinen Schulabschluss schafft. Deshalb muss das Angebot kostenlos bleiben.

Wie erreicht ihr gerade diese benachteiligten Schüler?

Das ist eines unserer größten Probleme. Es ist schwierig, alle zu erreichen, für die unsere Hilfe tatsächlich sinnvoll wäre. Wir kooperieren inzwischen mit Schulen direkt, so können Lehrkräfte unser Angebot direkt an die Kinder tragen, die davon profitieren würden. Das zweite Problem ist oft deren technische Ausstattung. Nicht jeder Jugendliche hat einen Laptop oder auch nur ein ruhiges Zimmer zum Lernen. Aber auch hier versuchen wir zu vermitteln, wir haben Partner, die in Einzelfällen technische Geräte zur Verfügung stellen, damit die Nachhilfe stattfinden kann.

"Es ist außerdem eine ziemlich angenehme Engagement-Möglichkeit, weil man sie eben auch abends nach den Vorlesungen von der Couch aus leisten kann."

Viele Schüler haben in der Pandemie um ihre Abschlüsse gebangt und den Unterrichtsanschluss verloren. Konntet ihr da konkret helfen?

Wir bekommen nur vereinzelt mit, wie das Ganze für die Schüler ausgeht, aber wir erhalten häufig im Nachgang sehr dankbare Emails von Schülern. Einige haben durch die Hilfe doch noch ihren Hauptschulabschluss geschafft haben oder eine bessere Note in einem speziellen Fach bekommen, durch die ihr Traumjob wieder näher rückt. Wir freuen uns über Feedback immer sehr und animieren die Schüler auch, ihre Nachhilfelehrer wissen zu lassen, wie es weiterging. Denn am Ende sind die Erfolgsgeschichten für die ehrenamtlichen Helfer ja auch eine Form von Lohn.

Inwiefern profitieren denn die Studenten von dieser Tätigkeit?

Gerade in der Pandemie haben sich viele der Studierenden gefreut, etwas Sinnvolles während der Lockdowns machen zu können. Viel Freizeitalternativen gab es ja nicht. Dieser Push war für uns super, aber wir hoffen natürlich, dass wir auch langfristig Studenten davon überzeugen können, dass diese Arbeit Spaß macht und soziale Chancengleichheit fördert. Es ist außerdem eine ziemlich angenehme Engagement-Möglichkeit, weil man sie eben auch abends nach den Vorlesungen von der Couch aus leisten kann.

Was erwartet ihr denn jetzt zum Start des neuen Semesters und Schuljahres? Wird mehr Präsenzunterricht eure Arbeit verändern?

Schwer zu sagen. Wir erwarten mit Spannung, was die Politik konkret zum Corona-Aufholprogramm an den Schulen plant. Für uns ist aber erstmal wichtig zu schauen, wie es an den Unis weitergeht. Denn ohne Nachhilfelehrer können wir natürlich auch keine Schüler unterstützen. Für die Helfer kann sich die Arbeit bei uns aber auch fachlich lohnen: Zum Beispiel können Lehramtsstudenten ihre Schulpraktika inzwischen über uns leisten. Das ist auch deshalb cool, weil angehende Lehrer so direkt digitalen Unterricht üben können.

Falls sich jemand für diese Arbeit interessiert: Was sucht ihr noch an Helfern?

Wir suchen natürlich jede Menge motivierten Studenten, um möglichst viele Fachrichtungen zur Nachhilfe anbieten zu können. Da wir vollständig ehrenamtlich arbeiten, benötigen wir aber auch immer Unterstützer hinter den Kulissen: Zum Beispiel Leute, die im Marketing mithelfen, sich im Rechtswesen auskennen oder in der IT. Wir freuen uns im Grunde über jeden, der das Projekt cool findet und Lust hat, mitzumachen.

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