Bei den großen US-Firmen der Wall Street dürfen ungeimpfte Mitarbeiter nicht einmal mehr das Gebäude betreten, Frankreich hat heute eine Impfpflicht für Pflegeberufe eingeführt und in Russland sind alle Beamten in der Pflicht, sich gegen Corona immunisieren zu lassen. In Deutschland hingegen gilt keine gesetzliche Impfpflicht gegen Covid-19 – auch nicht am Arbeitsplatz.
Obwohl Kinder unter 12 Jahren nicht geimpft werden können und damit einer Corona-Infektion schutzlos gegenüber stünden, müssen sich hier Lehrer und Erzieherinnen nicht impfen lassen, wenn sie nicht wollen. Ein Umstand, den Wolfram Henn, Mitglied des Deutschen Ethikrats, nun kritisiert. "Wer sich aus freier Berufswahl in eine Gruppe vulnerabler Personen hineinbegibt, trägt eben besondere berufsbezogene Verantwortung", sagte Henn der "Rheinischen Post". Und fordert dort: "Wir brauchen eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen."
Ist das überhaupt realistisch? Warum gilt hierzulande keine Impfpflicht an Arbeitsstätten? Und gibt es Betriebe, die diese dennoch quasi durch die Hintertür einführen? Für watson fragten wir bei Christian Solmecke (45) nach. Er ist Rechtsanwalt und Partner der Kölner Kanzlei "Wilde Beuger Solmecke".
watson: Warum gibt es keine Impfpflicht am Arbeitsplatz?
Christian Solmecke: Das Grundgesetz garantiert eine ganze Reihe an Freiheiten, dazu gehört auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, was im Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes steht. Dazu zählt auch die freie Entscheidung, sich impfen zu lassen. In dieses Recht darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Ein Gesetz, das zur Corona-Schutzimpfung verpflichtet, gibt es bislang jedoch nicht. Da es sich hierbei um verfassungsrechtlich verankerte Rechte handelt, sind hohe Hürden an ein solches Gesetz zu stellen. Im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis gilt nichts anderes. Eine Impfpflicht kann bislang nur vertraglich vereinbart werden. Bisher gilt nichts anderes für Beamte.
Darf ein Arbeitnehmer den Impfstatus seiner Angestellten abfragen?
Die Frage nach dem Impfstatus unterliegt dem Schutz der Datenschutzgrundverordnung. Der Impfstatus eines Arbeitnehmers darf nur dann abgefragt werden, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Beantwortung dieser Frage hat. Denkbar ist das etwa dann, wenn bei einer unabdingbaren Auslandsdienstreise der Impfschutz gegen bestimmte Krankheiten zwingende Voraussetzung darstellt, um in das jeweilige Land einzureisen oder aber wenn er sich Dritten gegenüber verpflichtet hat, nur geimpftes Personal einzusetzen.
Bestimmte Berufsgruppen haben enger Kontakt zu vulnerablen Menschen, wie die Pflegefachkräfte in Krankenhäusern. Welche anderen Rechte müssen dort abgewägt werden?
Das Risiko der betreuten Personen für einen schweren Krankheitsverlauf ist in medizinischen Berufen in der Regel höher als im Normalfall. Personen in Altenheimen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen sind daher besonders schutzwürdig, denn sie gehören zur Risikogruppe, was bei einer Abwägung besonders berücksichtigt werden muss. Außerdem ist das Infektionsrisiko in diesen Berufsgruppen höher, was ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden darf.
Gibt es dennoch eine Art indirekte Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen?
Der Arbeitgeber kann es gerade in medizinischen Berufen für zwingend geboten halten, nur geimpftes Personal einzusetzen, um seine Kunden beziehungsweise Patienten zu schützen. Er kann aber auch von dritter Seite gezwungen sein, nur geimpfte Mitarbeiter einzusetzen. Dann kann der Arbeitgeber ungeimpfte Mitarbeiter für bestimmte Tätigkeiten nicht mehr einsetzen und muss nach einem anderen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen suchen. Dann bestünde eine indirekte Impfpflicht. Bislang gibt es jedoch keine flächendeckende indirekte Impfpflicht, sie ist aber auch nicht pauschal auszuschließen.
Kann ein Mitarbeiter in einen anderen Tätigkeitsbereich versetzt werden, weil er sich nicht impfen lassen will?
Das kann durchaus passieren. Dem Arbeitgeber steht ein Direktionsrecht zu. Um zu entscheiden, ob dieses auch für Corona-Schutzimpfung gilt, muss eine Abwägung der Interessen des Arbeitgebers, wie die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs und der Gesundheit der anderen Mitarbeiter sowie dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers stattfinden. Überwiegen die Interessen des Arbeitgebers dabei, kann er den Arbeitnehmer in einen anderen Tätigkeitsbereich versetzen, wenn dieser sich nicht impfen lassen will.
Aus Sicht des Arbeitsgebers: Bedeuten ungeimpfte Mitarbeiter unter Corona einen Mehraufwand?
Der Arbeitgeber hat natürlich ein Interesse daran, dass seine Mitarbeiter nicht krankheitsbedingt wegen einer Virusinfektion ausfallen, denn ihm ist daran gelegen, seine betrieblichen Abläufe weiterhin zu gewährleisten. Das ist dann unter Umständen mit einem organisatorischen Mehraufwand verbunden.
Aus dem Ethikrat in NRW gab es Forderungen nach einer Impfpflicht von Personal an Kitas und Schulen. Für wie realistisch halten Sie das?
Die verfassungsrechtlichen Hürden für eine Impfpflicht sind, wie bereits erwähnt, hoch. Dass nun jedoch eine Diskussion über eine Impfpflicht aufkommt, habe ich vorhergesehen. Meiner Ansicht nach hätte der Staat vor allem bei verbeamteten Lehrkräften und entsprechender gesetzlicher Regelung wohl die Handhabe, eine Impfpflicht durchzusetzen. Dies halte ich auch nicht für unrealistisch.
Es gibt Eltern, die gern wüssten, ob ihr Kind mit einem ungeimpften Lehrer oder Erzieher in Kontakt ist. Muss so etwas den Erziehungsberechtigten offen gelegt werden?
Diese Informationen müssen grundsätzlich nicht offenbart werden. Erziehungsberechtigte können nicht verlangen, dass der Lehrer oder Erzieher des Kindes seinen Impfstatus offenlegt. Im Falle einer Infektion ist es aber natürlich wichtig, die Ansteckungskette nachzuvollziehen. Dann wäre ein Lehrer oder Erzieher aber nur seinem Dienstherren gegenüber verpflichtet, über eine Infektion zu informieren.