Insiderin über Prostituierte: "Viele haben schon als Kinder Missbrauch erfahren"
Barbara Schmid ist Journalistin und recherchiert seit Jahren im Rotlichtmilieu unter Prostituierten, Streetworker:innen, Psycholog:innen und der Polizei. Dabei kam sie zur Erkenntnis, dass "Prostitution den Frauenhass in unserer Gesellschaft fördert" und deshalb "zur Gefahr für jede Frau wird".
In ihrem Buch "Die unverborgene Gewalt gegen Frauen" (mvg Verlag) fasst sie zusammen, wie Frauenverachtung und Prostitution verwoben sind. Zum Hintergrund: Schmid ist Befürworterin des Nordischen Modells, das den Sexkauf für Freier strafbar machen würde und in Schweden bereits existiert.
Im Nordischen Modell machen sich Freier beim Sexkauf strafbar
In Deutschland will vor allem die CDU/CSU das Nordische Modell einführen, erhält aber leidenschaftlichen Gegenwind von Sexwork-Verbänden und den Grünen (watson berichtete). Sie befürchten eine Stigmatisierung von Sexworker:innen, deren Entscheidung, sich zu prostituieren, freiwillig und emanzipiert sei. Auch viele Feministinnen positionieren sich pro Sexwork.
Für Schmid absurd. Sie schreibt:
Diese Haltung teilt auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), die Deutschland Anfang Oktober bei der Verleihung des Heldinnen-Awards in Berlin als "Puff Europas" bezeichnet hatte und mahnte: "Wenn wir sonst über Frauenrechte sprechen, aber sagen, dass Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei, dann ist das nicht nur lächerlich, sondern Verächtlich machen von Frauen."
Wie komplex der Missbrauch an Prostituierten – fast immer Frauen und queere Menschen – sei, versucht Schmid aus Sicht einiger Betroffener darzustellen, die zum Teil für Spottpreise Sex im Akkord anbieten müssten, weil sie unter Druck gesetzt würden. Oft kämen sie aus dem Ausland, lebten in emotionaler, finanzieller oder suchtbedingter Abhängigkeit.
Die Freier hingegen, seien Väter, Kollegen und Partner aus unserem alltäglichen Umfeld, gibt Barbara Schmid zu Bedenken. Und das hätte Konsequenzen, mahnt sie:
Ist echte Gleichberechtigung also unmöglich, solange wir akzeptieren, dass Körper von Frauen wie Ware behandelt werden dürfen? Wir sprachen mit Barbara Schmid darüber.
watson: Wer Sexkauf billigt, fördert Frauenfeindlichkeit, erklärst du. Inwiefern hat der Umgang einer Gesellschaft mit Prostituierten Auswirkungen auf das Leben aller Frauen im Land?
Barbara Schmid: Die legale Prostitution in Deutschland fördert allgemein den Hass auf Frauen, Gewalt und Respektlosigkeit. Wir wissen aus Studien, dass Sexkäufer gewaltbereiter gegenüber Frauen sind als Männer, die noch nie Sex gekauft haben; sie würden auch eher eine Vergewaltigung begehen. Das gefährdet alle Frauen.
In Schweden gibt es das Nordische Modell schon lange. Mit welchen Folgen?
Nachdem Schweden vor 25 Jahren das Sexkaufverbot eingeführt hat, werden Sexkäufer dort wie Verbrecher behandelt. Mithilfe ihrer DNA-Proben konnten eine ganze Reihe alter Vergewaltigungsfälle aufgeklärt werden. In Schweden ist der Respekt gegenüber Frauen viel höher als bei uns. Das gilt auch für sieben weitere Länder, die das nordische Modell eingeführt haben, darunter Frankreich, Nordirland, Israel und Norwegen.
Warum ist das Argument der Freiwilligkeit in Bezug auf Prostitution aus deiner Sicht vorgeschoben?
Als 2002 bei uns die Prostitution liberalisiert wurde und nicht mehr sittenwidrig war, hat der Gesetzgeber die Freiwilligkeit "angenommen". Die Freiwilligkeit wurde nie untersucht. Ohne diese angebliche Freiwilligkeit hätte es die Liberalisierung gar nicht geben können. Inzwischen wissen wir aber, dass es bei den allermeisten Menschen in der Prostitution – meistens Frauen – um Opfer geht.
Inwiefern?
Viele von ihnen haben schon als Kinder sexuellen Missbrauch erfahren. Wir haben es mit Menschenhandel und Zwangsprostitution zu tun. Die meisten der geschätzt 250.000 Prostituierten in Deutschland müssen täglich bis zu 20 Männern Zugang zu all ihren Körperöffnungen gewähren – anal, oral und vaginal, mit erheblichen Folgen für die Gesundheit.
Es gibt ein paar, die das freiwillig tun.
Sie arbeiten meist im hochpreisigen Escort oder als Domina. Aber auch unter diesen Frauen habe ich einige kennengelernt, die sich aus wirtschaftlicher Not verkaufen müssen. Oder sie sind auf einen Loverboy hereingefallen und glauben, sie tun das aus Liebe für ihn.
Schließt sich Feminismus und die Befürwortung von Prostitution für dich in jedem Fall aus?
Aus meiner Sicht ja, es gibt nichts Frauenfeindlicheres als Prostitution. Sie fördert eine patriarchale Gesellschaft und verhindert Gleichberechtigung. In der Prostitution können sich Männer Frauen kaufen, und die Frauen haben zur Verfügung zu stehen.
Steckt hinter der Billigung dieses Elends mangelndes Mitgefühl gegenüber Frauen? Besonders wenn sie drogensüchtig oder aus dem Ausland sind?
Ja, Prostitution ist rassistisch, klassizistisch und frauenfeindlich. Wir lassen es zu, dass Frauen und Mädchen aus den Elendsgebieten der Welt zu uns gebracht werden, damit sich finanziell bessergestellte Männer an ihren Körpern befriedigen. Gerade bei Politiker:innen von den Grünen und Teilen der SPD, die immer noch am Bild der selbstbestimmten Sexarbeiterin festhalten und eine Reform verhindern, vermisse ich Empathie für die Opfer.
Nur mal angenommen: Wenn dieses Jahr das Nordische Modell eingeführt würde – wie meinen Sie, würden wir dann in Deutschland 2035 über Prostitution denken?
Als 1999 das Nordische Modell in Schweden eingeführt wurde, war die Bevölkerung genauso gespalten, wie sie es heute bei uns in Deutschland ist. Eine große Mehrheit war dagegen. Wenige Jahre später hat sich das komplett gedreht, über 70 Prozent unterstützen heute die Reform und es gibt kein schambehafteteres Verbrechen in Schweden als Sex zu kaufen. So wird das auch in Deutschland kommen. Denn dann stellt sich heraus, dass all die Vorurteile gegen eine Reform falsch waren.
Welche zum Beispiel?
Zum Beispiel die Sorge, es käme zu mehr Vergewaltigungen. Das Gegenteil ist eingetreten. Wenn Prostitution Vergewaltigungen verhindert, dürfte es doch heute bei uns keine mehr geben – bei 250. 000 Prostituierten, die ab fünf Euro zu "kaufen" sind. 2035 wird es undenkbar bei uns sein, Junggesellenabschiede und Abiture im Bordell zu feiern. Wir werden gleichberechtigt leben, mit Respekt für Frauen. Und es wird auch hoffentlich weniger Femizide geben.
