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Mehrwertsteuer-Erhöhung: Gastronom rät von Branche ab – nur mit "reichen Eltern"

Der Inhaber des La Paz in Hamburg, Kemal Üres, nimmt seine Follower:innen auf Tiktok und Instagram mit hinter die Kulissen der Gastro-Branche.
Der Inhaber des La Paz in Hamburg, Kemal Üres, nimmt seine Follower:innen auf Tiktok und Instagram mit hinter die Kulissen der Gastro-Branche.bild: privat
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Bekannter Gastronom über Mehrwertsteuer-Erhöhung: Es ist ein "Trauerspiel"

Kemal Üres ist auch als "Gastro-Flüsterer" bekannt. Im Gespräch mit watson erzählt er, wie viele Restaurants an der erhöhten Mehrwertsteuer zugrunde gehen werden und warum er – außer man hat reiche Eltern – davon abrät, in die Branche zu gehen.
13.01.2024, 08:3514.01.2024, 08:44
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watson: Kemal, was ärgert dich an der Mehrwertsteuer-Erhöhung?

Kemal Üres: Ärger ist das falsche Wort. Das Problem an der Mehrwertsteuer-Erhöhung ist, dass sie viele Individualgastronomen und kleinere Unternehmen treffen wird, weil die Reserven aufgebraucht und die Kosten gestiegen sind – vom Personal bis hin zu den Lebensmitteln. 30.000 Betriebe mussten in den letzten Jahren schließen – und die meisten anderen haben es nur geschafft, weil die zwölf Prozent, die jetzt seit der Corona-Pandemie weggefallen sind, eine ganze Stange Geld sind. Es ist gerade erst so langsam wieder bergauf gegangen.

Der "Gastro-Flüsterer" Kemal Üres hat sich dafür stark gemacht, die Mehrwertsteuer bei 7 Prozent zu belassen.
Der "Gastro-Flüsterer" Kemal Üres hat sich dafür stark gemacht, die Mehrwertsteuer bei 7 Prozent zu belassen.bild: privat

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga geht davon aus, dass durch die Erhöhung weitere 12.000 Betriebe schließen müssen.

Ich gehe davon aus, dass es sogar noch mehr sein werden – vermutlich um die 30.000 Betriebe, genauso wie in Zeiten von Corona. Und was mich so traurig stimmt, ist, dass es die Mittelschicht treffen wird – also die kleinen Lädchen und Restaurants an der Ecke. Dahinter stecken meist Familien, die sich das aufgebaut und ihr ganzes Erspartes in den Betrieb gesteckt haben. Und das sind genau diejenigen, die dann schließen müssen.

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Und wie lange glaubst du, dauert es, bis die ersten Läden aufgrund der Mehrwertsteuer-Erhöhung schließen müssen?

Das geht jetzt schon los. Es gibt da zwei unterschiedliche Parteien: Die einen stehen mit dem Rücken an der Wand, weil sie es wirtschaftlich nicht mehr schaffen und nicht noch mehr Geld in die Firma buttern können. Und die anderen betrachten den Betrieb als Investment und wollen schließen, weil die Läden kein Geld mehr abwerfen. Und dadurch landen wir auch schon beim nächsten Problem.

Welchem?

Beide Parteien versuchen, ihre Läden zu verkaufen – aber es gibt derzeit keinen Markt. Also müssen sie ihre Läden irgendwie versuchen, offenzuhalten. Länger als ein bis zwei Jahre wird das nicht gut gehen – und dann sind wir eben wieder bei diesen rund 30.000 Betrieben, die schließen werden.

Das klingt nach einer ganzen Menge. Wie viele Restaurants gibt es denn in etwa?

Also, wenn jetzt nochmal 30.000 Betriebe schließen müssten, macht das mit den anderen Schließungen etwa ein Drittel der Betriebe aus.

"Es gibt bestimmt welche, die am Produkt sparen, das würde ich aber nicht empfehlen. Die Leute merken das."

Das wären wirklich viele, wodurch sich auch unser Stadtbild verändern würde.

Absolut, das ist ja das Verheerende. Deswegen gibt es schon viele Projekte von Immobilienmaklern, die alte Ladeflächen umnutzen. Das ist natürlich ein Trauerspiel: Die Leute gehen raus, treffen sich mit Freunden, gehen in Buchladen, einen Kaffee trinken oder essen. Aber wenn wir nicht da sind, dann geht unheimlich viel verloren. Das hat man auch zu Corona-Zeiten gesehen – das Leben auf der Straße fehlte, worunter auch wieder die Einzelhändler leiden, weil es weniger attraktiv für die Leute wird, in die Stadt zu gehen.

Mal angenommen, das passiert tatsächlich, was bedeutet das auf lange Sicht?

Wenn diese ganzen Betriebe sterben, wird das eine Weile dauern, bis sich das ganze System dann neu findet und sich zum Beispiel die Kellner auf die noch übrigen Restaurants verteilen. Trotzdem verlieren wir dadurch einiges an Vielfalt.

Aber warum leidet die Gastro denn so sehr unter der Mehrwertsteuer-Erhöhung? Ihr könnt die Preise doch 1:1 an die Gäste weitergeben.

Ja, klar. Aber ein Beispiel: Vor Corona war ein Stammgast sechsmal im Monat bei uns. Während der Corona-Pandemie, als dann auch die Preise in die Höhe geschossen sind, ist er nur noch viermal gekommen. Jetzt, mit einer weiteren Erhöhung der Preise um zwölf Prozent, wird er vermutlich nur noch zweimal kommen. Die Gäste leiden auch unter der Inflation und haben nicht plötzlich mehr Geld. Und irgendwann ist die Grenze bei denen überschritten.

Und darunter leidet dann ihr.

Richtig. Ich habe jetzt schon sonntags und montags zu. Dienstags und mittwochs ist es eh für die Katz, da verdienst du kaum Geld. Ab Donnerstag wird es dann ein bisschen besser und Freitag und Samstag dann richtig gut. Meine Kosten kann ich damit aber nicht decken.

Was empfiehlst du deinen Gastro-Kolleg:innen jetzt, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen?

Ganz klar: Auf die Kosten achten und gucken, wo man vielleicht noch Strom sparen kann. Und als Chef so viel selbst arbeiten, wie möglich. Das Problem ist nur, dass diese Durststrecke nicht ein, zwei Monate, sondern eher ein bis zwei Jahre dauern wird.

Kommt bei diesen Aussichten nicht schnell der Gedanke auf, mehr vegetarische Gerichte anzubieten, weil man dadurch Kosten spart?

Kann man natürlich machen, ändert nur nichts daran, dass der Großteil der Leute Gerichte mit Fleisch essen will. Du musst für jeden was dabei haben, sonst wandern dir die Kunden ab.

Käme es stattdessen infrage, die Portionen zu verkleinern oder einfach eine Scheibe Salami weniger auf die Pizza zu legen?

Es gibt bestimmt welche, die am Produkt sparen, das würde ich aber nicht empfehlen. Die Leute merken das. Die, die wirklich überleben wollen, müssen die zwölf Prozent an die Kunden weitergeben. Anders geht es nicht, sonst verlierst du noch mehr Geld.

"Die Bauern gehen auf die Straße, die Stimmung kippt – und wir leiden drunter, genauso wie unsere Gäste: Wir sind das Wohnzimmer der Gesellschaft."

Die Mehrwertsteuer-Erhöhung greift nur, wenn die Gäste das Essen tatsächlich auch im Restaurant essen. Glaubst du, dass die Leute jetzt noch mehr auf das Bestellen und Abholen umsteigen werden – auch bei ihrem Lieblingsitaliener um die Ecke?

Das ist tatsächlich möglich, leider. Und das ist ein großes Problem: Wenn die Leute ihr Essen abholen, müssen wir auch noch die Plastikverpackungen rausgeben – bekommen aber zwölf Prozent weniger an Einnahmen. Das haben wir, und auch die Dehoga, stark kritisiert. Unsere Forderung war, dass die Mehrwertsteuer gleichmäßig mit zehn Prozent auf das Essen im Restaurant und To-Go verteilt wird.

Was würde das ändern?

Für den Staat erstmal nichts, weil finanziell das Gleiche dabei rauskommt. Für uns aber viel, weil das Essen für Restaurant-Gäste nur drei Prozent teurer werden würde, was nicht so stark abschreckt. Und beim To-Go-Essen hätten wir nicht so starke Verluste, weil wir die ansonsten fehlenden zwölf Prozent auffangen müssen. Das wäre eine faire Regelung gewesen.

Eingeführt wurde die Erhöhung der Mehrwertsteuer, um das Finanzloch zu stopfen. Die Regierung rechnet mit 3,4 Milliarden Euro Steuereinnahmen.

Ja, natürlich. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn jetzt so viele Läden kaputtgehen, wird der Staat am Ende noch weniger Steuereinnahmen haben. Und dazu kommt noch: Die Stimmung im Land ist sehr schlecht. Vor allem nach Corona hatte ich gehofft, dass man das Soziale unterstützt – aber viele gehen leer aus. Die Bauern gehen auf die Straße, die Stimmung kippt – und wir leiden drunter, genauso wie unsere Gäste: Wir sind das Wohnzimmer der Gesellschaft.

Das Bild, das du von der Zukunft der Gastro malst, ist ziemlich düster. Kannst du jungen Leuten überhaupt noch empfehlen, in die Branche zu gehen?

Aktuell leider nein. Es sei denn, sie haben ganz reiche Eltern, die sagen: "Mach mal!"

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