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Andrew Tate: Warum Frauenhasser auf Tiktok und Instagram so erfolgreich sind

Andrew Tate wurde auf mehreren Plattformen gesperrt, weil er Hassbotschaften verbreitet.
Andrew Tate wurde auf mehreren Plattformen gesperrt, weil er Hassbotschaften verbreitet.Bild: Screenshot / Youtube
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Fall Andrew Tate: Warum Frauenhasser auf Social Media so erfolgreich sind

11.10.2022, 12:0111.10.2022, 12:13
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In den vergangenen Wochen kam man auf Online-Plattformen wie Tiktok, Instagram oder Youtube kaum um einen Namen herum: Andrew Tate. Clips seiner Podcasts tauchten im eigenen Feed auf, oder andere Content-Creator reagierten auf seine Aussagen – man konnte dem neuen Gesicht der sogenannten "Männerrechtsbewegung" kaum entgehen.

Ende August wurde der ehemalige Kickboxer dann von Instagram, Facebook, Tiktok, Youtube und schließlich auch von Twitter verbannt, da er gegen die Hate-Speech-Richtlinien der Plattformen verstoßen hatte. Er hatte unter anderem misogyne und rechte Inhalte verbreitet. Doch seine Aussagen zirkulieren weiter im Netz und werden von seinen Fans geteilt. Und er ist nur einer von vielen sogenannten Hate-Influencern.

Aber was treibt vor allem junge Männer dazu an, sich diesen meist rechtsgerichteten Ideologien anzuschließen?

Sahana Udupa ist Expertin für Online-Misogynie und Co-Leiterin eines Projekts zu Online-Frauenfeindlichkeit, gefördert vom Bayerischen Institut für Digitale Transformation. Im Interview mit watson erklärt sie, wie Anhänger der "Manosphere" ticken – und was man dagegen tun kann.

watson: Warum sind Menschen wie Andrew Tate in letzter Zeit so erfolgreich?

Sahana Udupa: Die Anziehungskraft solcher Akteure oder "Hass-Influencer" besteht darin, dass sie rhetorische Mittel einsetzen, die bei jungen Nutzern Anklang finden. Leute wie Tate wirken sehr modern. Sie sprechen junge Menschen an, in der Sprache, die sie kennen. Mir fällt auch auf, dass Tate sich selbst als witzig bezeichnet und sich im Gegenzug über Leute lustig macht, die ihn kritisieren. Darüber hinaus verwirrt er die Leute mit einigen gemischten Botschaften.

Sahana Udupa ist Professorin für Medienethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Sahana Udupa ist Professorin für Medienethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. bild: Andreas J. Focke

Inwiefern?

Zum einen sagt er, dass er Frauen unterstütze, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. In einem anderen Video sagt er, er helfe Männern mit psychischen Problemen. Und er bezeichnet seine Gegner als Hassredner. Er versucht also, eine sehr hohe moralische Position einzunehmen, indem er die Rhetorik manipuliert. Das hinterlässt bei den Nutzern eine gewisse Verwirrung, die man als kognitive Dissonanz bezeichnen könnte. Es ist eine sehr bewährte Strategie von Desinformationskampagnen, diese Art von Dissonanz zu erzeugen.

"Menschen, die diese Art von sogenanntem Humor ablehnen, werden als Leute angesehen, die die Witze nicht verstehen. Es gibt sogar einen Begriff für diese Menschen: 'Normies'."

Wie funktionieren Inhalte wie die von Andrew Tate?

Die Inhalte werden als spielerisch und nur halb seriös vermittelt. Menschen, die diese Art von sogenanntem Humor ablehnen, werden als Leute bezeichnet, die die Witze nicht verstehen. Es gibt einen eigenen Begriff für diese Menschen: "Normies". Die Täter haben Freude daran, unhöflich zu sein, Menschen zu beleidigen, Frauen und andere Gruppen online aggressiv zu beschämen und sogar anzugreifen. Spaß ist ein sehr wichtiger Teil der rechtsgerichteten Kultur, und die sozialen Medien haben definitiv dazu beigetragen, dass die Menschen Freude an dieser Art von anstößigen Inhalten haben.

Wer sind die Absender dieser extremen Äußerungen?

Zum einen sind es rechte Gruppen in Nordamerika und Europa. Viele von ihnen sind auch mit den White Supremacists verbunden. Sie verfügen über undurchsichtige, aber äußerst aktive Netzwerke. Auch in Ländern wie Brasilien und Indien sind geschlechtsspezifische Belästigungen und Nationalismus im Internet weit verbreitet. Darüber hinaus gibt es eine Subkultur, die unter verschiedenen Namen bekannt ist. Manchmal wird sie "Manosphere", "Men Going Their Own Way" oder auch "Involuntary Celibate" oder kurz "Incel" genannt. All diese verschiedenen Gruppen erzählen der Welt und vor allem sich selbst, dass sie die Opfer sind und dass sie von den Frauen manipuliert werden.

Diese Tiktokerin schreibt, Andrew Tate habe ihren Freund dahingehend beeinflusst, dass dieser sie nun hasse.
Diese Tiktokerin schreibt, Andrew Tate habe ihren Freund dahingehend beeinflusst, dass dieser sie nun hasse. bild: tiktok / karrielouiset

Woher kommt ihre Frauenfeindlichkeit?

Sie greifen Frauen in der Öffentlichkeit an, weil sie erstens das Gefühl haben, dass Frauen sie entmachten oder sogar versklaven. Zweitens aber auch, weil sie für liberale, progressive Werte eintreten, und drittens, weil diese Frauen manchmal auch einen Migrationshintergrund haben.

Wie tragen soziale Medien dazu bei, dass Vertreter der "Manosphere" ein so großes Publikum erreichen?

Akteure wie Tate sind in der Lage, eine Verbindung zu jungen Nutzern herzustellen. Ein Teil ihrer verwirrenden, gemischten Botschaften ist auch darauf zurückzuführen, dass sie versuchen, Filter für Inhalte aus Social-Media-Plattformen zu umgehen.

"Sie sagen: 'Hey, ich wurde gesperrt, ich bin hier das Opfer.' Die Geschichte der Opferrolle ist in den rechtsextremen Bewegungen sehr wichtig."

Gelingt den Akteuren das?

Im Moment ist Tate von mehreren Plattformen gesperrt. Viele Social-Media-Plattformen haben ähnliche Profile verboten. Es ist aber nicht so, dass sie verschwinden, sondern sie wandern auf kleinere Plattformen ab. Auf Reddit, 4chan und Vcontact wollen sie ihr Publikum zurückzugewinnen, und versuchen, auf große Plattformen zurückzukommen. Und sogar lokale Apps registrieren jetzt genau diese Art von Inhalten. Es ist sehr schwer, dies zu regulieren.

Eine Sperre stoppt die "Hate Influencer" also nicht?

Es hilft, die Wucht ihres Einflusses zu verringern. Jedoch haben sie die Fähigkeit entwickelt, zu migrieren und aus der Sperrung eine Nachricht zu machen. Sie sagen: "Hey, ich wurde gesperrt, ich bin hier das Opfer." Die Geschichte der Opferrolle ist in den rechtsgerichteten Bewegungen sehr wichtig. Dies erstreckt sich auch auf frauenfeindliche Praktiken, weil sie wirklich denken, dass sie die Opfer einer Verschwörung von Frauen sind, die sie kleinhalten wollen.

Nachdem seine Accounts auf den großen Social-Media-Plattformen gesperrt wurden, veröffentlichte Andrew Tate ein einstündiges Video bei Vimeo.
Nachdem seine Accounts auf den großen Social-Media-Plattformen gesperrt wurden, veröffentlichte Andrew Tate ein einstündiges Video bei Vimeo. bild: screenshot vimeo

Wie kann man junge Menschen unterstützen, dass sie nicht von diesen Ideologien beeinflusst werden?

Die Intervention muss bereits auf der Ebene der Schulen erfolgen, aber auf jeden Fall auf der Ebene der Universitäten. Tate bietet selbst einen Online-Kurs an, den er die "Hustler's University" nennt. Diese Leute konkurrieren mit echten Bildungseinrichtungen um den Raum des Wissens. Es gibt ein riesiges alternatives Universum von dem, was sie als Wissen bezeichnen. Daher ist es wichtig, dass das Hochschulsystem auch darauf reagiert.

Wie kann man solch misogyne Botschaften denn verhindern?

Unter anderem durch regulatorische Maßnahmen. Die plattformübergreifende Zusammenarbeit ist absolut entscheidend. Eine Verordnung muss einen Mechanismus schaffen, der es den Plattformen ermöglicht, in diesem Bereich zusammenzuarbeiten und Informationen austauschen. Es geht also um koordinierte Aktionen über verschiedene Social-Media-Plattformen hinweg.

Was sind psychische Konsequenzen, wenn sich junge Menschen diesen Inhalten und Botschaften aussetzen?

Frauen werden Opfer dieser "humoristischen", frauenfeindliche Inhalte, es kommt sogar zu Vergewaltigungsdrohungen und extremen Beschimpfungen. Manchmal kommt es auch zu Doxing (Anm. d. Red. Veröffentlichung personenbezogener Daten, zumeist mit bösartigen Absichten gegenüber den Betroffenen. Quelle: Wikipedia). Es gibt also verschiedene Arten von Online-Missbrauch, denen Frauen ausgesetzt sind. Alle Frauen, mit denen ich gesprochen habe, fühlen sich dadurch eindeutig belastet. Es geht hier auch um die Energie, die sie aufwenden müssen, um die Profile und Nachrichten zu blockieren. Das erfordert eine Menge Einsatz.

Wie gehen diese Frauen damit um?

Einige von ihnen haben eine gewisse Widerstandsfähigkeit und gute Bewältigungsstrategien entwickelt. Aber einige Frauen sind und waren eben auch nicht in der Lage, damit umzugehen, wie der Todesfall der österreichischen Allgemeinmedizinerin Dr. Kellermayr gezeigt hat. Sie wurde zur Zielscheibe einiger Anti-Vaxxer (Anm. d. Red. Impfgegner).

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