Wolfgang Appenzeller kommt gleich zur Sache: Gay German Cop nennt er sich auf seinem Instagram-Kanal, wo er fast 12.000 Follower hat. Der Polizist aus Bayern nimmt seine Fans mit in seinen Alltag, präsentiert seine Regenbogen-Accessoires im Büro und thematisiert die Frage, wie es ist, ein homosexueller Polizist zu sein.
Watson hat Wolfgang Appenzeller gefragt, warum er seine sexuelle Identität im Job öffentlich thematisiert, wie sein Outing bei der Polizei ablief und warum es so wichtig ist, zu seiner sexuellen Identität zu stehen.
watson: Öffentlich bist du bekannt als Gay German Cop, wie du dich auf deinem Instagram-Kanal nennst. Warum hast du dich entschieden, eine Social-Media-Präsenz über deine sexuelle Identität im Job aufzubauen?
Wolfgang Appenzeller: Mir ging es darum, Sichtbarkeit herzustellen. Ich habe irgendwann festgestellt, dass das Verhältnis zwischen Teilen der LGBTIQ-Community und der Polizei nicht unbedingt das Beste ist. Für manche stellt die Polizei ein Feindbild dar, zum Teil auch historisch begründet. Für andere war die Idee völlig abwegig, gleichzeitig Polizist und schwul zu sein. Ich glaube, dass Sichtbarkeit eine der effektivsten Möglichkeiten ist, Vorurteile abzubauen, einfach, weil viele – so schätze ich das ein – noch keine Erfahrungen damit gemacht haben, also noch keinen kennen, der schwul ist oder sogar schwul und Polizist ist.
Das kommt ja nicht von irgendwoher oder?
Mir wird auch heute noch die Frage gestellt: Darf man überhaupt schwul sein und zur Polizei gehen und das auch zeigen? Diese Sichtbarkeit war der Anstoß. Ich bin seit 2014 Ansprechperson in der Bundespolizeidirektion München. Dort habe ich über meine Erfahrungen, aber auch über die von Anderen, gesprochen. Und irgendwann beschloss ich: Ich möchte jetzt sichtbar sein, einfach auch um diese Thematik präsent zu machen. Dass der unsichtbare Elefant, der im Raum steht, endlich mal angesprochen wird. Und es hat gut funktioniert. Den Instagram-Account habe ich Anfang 2019 gestartet und dann ging es ziemlich schnell, dass auch Medien darauf aufmerksam wurden.
Bekommst du über deinen Instagram-Kanal viele Nachrichten von jungen Menschen, die sagen: "Ich bin schwul und will Polizist werden, wie ist das so?"
Ja. Wir haben in der Bundespolizei eine eigene Behörde, die Akademie, die für Einstellungen zuständig ist. Das heißt, ich kann vor allem erst einmal die Idee aus dem Weg räumen, Schwul sein und Polizei würden sich nicht vertragen. Ich habe tatsächlich gar nicht so selten solche Anfragen, wie: "Ich bin schwul. Darf ich dann zur Polizei?" Und ich frage: "Wie kommst du auf die Idee, dass du nicht darfst?"
Hattest du denn selbst anfangs wegen deiner sexuellen Identität Bedenken, zur Polizei zu gehen?
Ich halte im Rahmen der Berufsethik mit unserem katholischen Seelsorger Vorträge und Präsentationen. Da erzähle ich häufig eine Anekdote: 1994 wurde ich beim Bundesgrenzschutz eingestellt und das war auch das Jahr, in dem der Paragraf 175 abgeschafft wurde. Wenn man zur Polizei kommt, bekommt man einen dicken Ordner mit Gesetzestexten, mit denen man arbeitet. Wenn da ein Gesetz oder ein Paragraph geändert wird, muss man nicht das ganze Werk wegschmeißen, sondern man nimmt einfach nur ein paar Seiten raus und ergänzt oder ersetzt. Und das war tatsächlich meine erste Ergänzung: Dass der Paragraf 175 rausgenommen und aufgehoben wurde.
Kurze Zwischenfrage: Euer Seelsorger ist katholisch? Ich kann mir nicht vorstellen, dass queere Menschen gerne zu einem katholischen Pfarrer gehen, um ihr Herz auszuschütten.
Mit unserem Pater Gabriel, so heißt er auch auf Instagram, mache ich schon im sechsten oder siebten Jahr einen Berufsethik-Unterricht zur Thematik: Wie geht die Polizei mit queeren Personen in ihren eigenen Reihen oder mit dem polizeilichen Gegenüber um? Und vielleicht in dem Kontext auch mal erwähnenswert: Die Bundespolizei ist die einzige Polizei europaweit, die extra Angebote für queere Angehörige anbietet.
Zurück zu deinem Start bei der Polizei: Wie hat sich das angefühlt, am Anfang deiner Karriere mit deiner sexuellen Identität konfrontiert zu werden?
Ich habe den Paragraph erst mal durchgelesen: Ich war da 20 Jahre alt und es hat mir echt die Füße unterm Boden weggezogen, weil mir bewusst wurde, dass ich jetzt einer Behörde angehöre, bei der meine Kolleginnen und Kollegen noch bis vor kurzem die Aufgabe hatte, Leute wie mich strafrechtlich zu verfolgen. Und da habe ich tatsächlich mit mir gehadert, ob ich bei der Polizei bleiben kann und will und habe im Endeffekt den Schritt nach vorne gemacht.
Welcher Schritt war das?
Ich habe mich recht zügig wie gesagt, mit 22 oder 23 Jahren geoutet. Das heißt, ich war noch nicht allzu lange dabei. Und ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Mein Coming out bei der Bundespolizei war nicht von mir initiiert, es ist mehr oder weniger zufällig passiert. An dem Wochenende, an dem ich meinen ersten Freund kennengelernt habe, bin ich zu meiner Kollegin Karin auf die Bude in der Kaserne. Und da habe ich ihr erzählt, dass ich jemanden kennengelernt habe.
Und dann?
Ich habe herum gedruckst und sie hat nicht locker gelassen. Und dann sagte sie, ohne beim Stricken aufzuschauen: "Wie heißt er denn?" Und ja, dann war es raus und dann kriegt man es nicht mehr eingefangen. Es hat ziemlich schnell die Runde gemacht, also wer den Flurfunk in Behörden kennt, das geht rasend schnell. Ich glaube, außer mir gab es damals in meiner Dienststelle keinen schwulen Polizisten.
Oder keinen, der sich getraut hat, sich zu outen.
Ja, das kann sein. Wenn man mal auf die Gesamtbevölkerung umlegt, dass elf Prozent aller Befragten gesagt haben, sie würden sich gleichermaßen überwiegend oder ausschließlich vom selben Geschlecht sexuell angezogen fühlen. Das heißt für Deutschland, wir reden hier von fast 9 Millionen Menschen. Wenn man das mal auf die Bundespolizei umlegt – wir haben etwas über 50.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – dann würde das rein statistisch eine Zahl von über 5.000 ergeben.
Wie haben denn deine Kollegen oder Vorgesetzten auf dein Outing reagiert?
Meine Erinnerung daran ist, dass nach meinem Coming out so gut wie niemand mit mir darüber geredet hat. Mir wurde aber zugetragen, wie Kollegen teilweise darüber denken. Da waren welche dabei, die eher Abstand genommen haben von mir. Insgesamt ist irgendwann die Erkenntnis durchgekommen, dass sich ja nix geändert hat, außer dass sie jetzt wussten, dass ich schwul bin.
Du hast 11.500 Follower auf Instagram: Wie sind die Reaktionen, wenn man seine sexuelle Identität öffentlich lebt. Wird man da zur Zielscheibe für Trolle?
Das Feedback ist gemischt, aber größtenteils positiv. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich eine bestimmte Zielgruppe anspreche über die Hashtags und dass es vielleicht in anderen Bubbles gar nicht so hoch kommt, nicht so sichtbar ist. Ich habe aber durchaus auch Kommentare oder Nachrichten, die nicht besonders nett sind. Aber grundsätzlich ist die Reaktion hauptsächlich positiv.
Wie sieht es aus, wenn das polizeiliche Gegenüber queer ist? Gibt es da Besonderheiten, die ihr beachten müsst?
Man wird sowohl privat als auch im dienstlichen Kontext damit rechnen müssen, dass das polizeiliche Gegenüber queer ist. Deswegen ist es ein wichtiges Thema, für das man sensibilisieren muss: Wie gehen wir als Polizei mit Personen um, die sich zum Beispiel nicht als hetero identifizieren? Wie gehen wir mit Transgender um? Wie gehen wir mit intersexuellen Personen um?
Kannst du uns ein Beispiel sagen?
Bei der Identitätsfeststellung zum Beispiel haben wir die Möglichkeit, auf den Ergänzungsausweis zurückzugreifen. Der Ausweis wird von der dgti, das ist die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität, ausgegeben und ist auch vom Bundesinnenministerium anerkannt. Da kann ich ganz einfach mal dezent fragen, ob die Person einen Ergänzungsausweis hat. Da muss ich nicht nachfragen: Sind Sie ein Transgender.
Sagst du denn manchmal bei Attacken auf queere Menschen, dass du selber schwul bist?
Eher subtiler. Ich habe in meiner Uniform immer einen Kugelschreiber stecken, der hat oben die Regenbogenflagge drauf. Ich muss da nicht unbedingt hingehen und sagen: "Hallo, ich bin der Wolfgang, ich bin schwul. Und wie gehen wir damit um?" Das kann man auch subtil machen, zum Beispiel über Symbole, die die Zielgruppe sehr schnell wahrnimmt. Da hat man ein Auge für, wenn irgendwo ein Regenbogen ist.
Gerade bei gefährlichen Polizeieinsätzen soll es ja wichtig sein, dass die Partner voll aufeinander vertrauen. Geht das überhaupt, wenn man seine Sexualität vor dem anderen verheimlicht?
Den Polizeiberuf kann man mit vielen anderen Berufen nicht vergleichen, weil wir in Situationen kommen, wo es teilweise um Leben und Tod gehen kann, sowohl von uns als auch von Dritten. Und da ist es immens wichtig, dass man sich aufeinander verlassen kann, dass man weiß, der Kollege oder die Kollegin steht zu mir, egal welche Religion, Migrationshintergrund oder sexuelle Orientierung. Man kann keine wirklich vertrauensvolle Beziehung zueinander aufbauen, wenn man nicht authentisch ist, wenn man vorgibt, jemand anderes zu sein. Wenn ich zum Beispiel geoutet bin, können diese persönliche Beziehungen eine ganz andere Qualität haben.
Ich könnte mir vorstellen, dass man auch seinen Job besser machen kann, wenn man nicht dauernd im Hinterkopf denkt: Ich darf mich nicht verplappern. Weil man hat ja auch nur begrenzte mentale Ressourcen.
Dazu gibt es tatsächlich auch Studien, dass man nur bestimmte Kapazitäten im Kopf hat. Und jede willentliche Entscheidung führt dazu, dass von diesem Energievolumen etwas abgezogen wird. Das nennt sich kognitive Erschöpfung. Was ist jetzt, wenn ich jeden Tag nicht nur die normalen täglichen Entscheidungen treffen muss, sondern nicht geoutet bin und ständig aufpassen muss, was ich sage und tue? Zum Beispiel: Welche Gesten mache ich?
Ist dir das selbst auch früher passiert?
Ich habe mich selbst manchmal dabei ertappt, dass ich mich fragte: Halte ich gerade meine Zigarette schwul? Das ist so ein Unsinn. Aber das sind Gedankengänge, mit denen man sein Verhalten kontrolliert. Was sage ich, wenn ich noch nicht geoutet bin? Was sage ich wem? Was habe ich jemandem gesagt? Nicht, dass das Kartenhaus aus Lügen zusammenfällt. Ich kenne das. Es ist zermürbend und kostet Kraft.
Kraft, die einem an anderer Stelle vielleicht fehlt?
Was ist, wenn tatsächlich irgendwas Gefährliches passiert? Dein Akku ist sprichwörtlich leer und du kommst in eine berufliche Situation, wo du ad hoc Entscheidungen über Leben und Tod treffen musst. Ich glaube, das hat noch gar niemand so auf dem Schirm, wie gefährlich kognitive Erschöpfung sein kann. Dieses Problem kann im Übrigen ja auch andere private Themen und Probleme von allen Menschen betreffen, die sie verheimlichen, wie beispielsweise eine Scheidung. Aber deshalb ist es so wichtig, dass es normal sein muss, seine sexuelle Identität oder seine eigene Persönlichkeit nicht verstecken zu müssen.