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Schlaganfall bei jungen Menschen: Ursachen und Risiko-Faktoren

Coronavirus covid-19 infected patient in a quarantine ward at the hospital with doctors in protective suits while they making disease treatment of him
Ein Schlaganfall in jungen Jahren: Unwahrscheinlich, aber dennoch möglich.Bild: iStockphoto / Povozniuk
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Schlaganfall bei jungen Menschen: Was die Ursachen sind und welche Risikofaktoren bestehen

25.08.2022, 16:48
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Wenn man das Wort Schlaganfall hört, denkt man dabei vor allem an ältere Menschen, die von einem Moment auf den anderen keine klaren Sätze mehr bilden können oder mit Lähmungen kämpfen. So wird ein Schlaganfall oft in Filmen dargestellt. Doch auch junge Menschen können davon betroffen sein, und die Symptome sowie die Ursachen sind nicht immer gleich.

Zuletzt erlitt die Influencerin Ina vom erfolgreichen Tiktok-Kanal "Coupleontour" (3,7 Mio. Abonnenten) mit gerade einmal 26 Jahren einen Schlaganfall, in dessen Folge sie sogar in ein künstliches Koma versetzt werden musste.

Wie gefährlich kann ein Schlaganfall für junge Menschen werden? Und wie hoch ist überhaupt die Wahrscheinlichkeit, dass man als junger Mensch davon betroffen wird? Watson hat den Neurologen und Schlaganfall-Experten Lars Kellert vom Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität München gefragt.

watson: Herr Kellert, wie hoch ist das Risiko für junge Menschen, einen Schlaganfall zu bekommen?

Lars Kellert: Das Risiko für junge Menschen ist viel geringer als für ältere Menschen und letztendlich für den Einzelnen sehr gering. Aber Schlaganfälle sind grundsätzlich eine häufige Erkrankung. Ungefähr 15 Prozent aller Schlaganfälle betreffen Menschen, die jünger als 55 Jahre sind.

Unter 55 Jahren gilt als jung?

Ja, die meisten Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, sind 70 Jahre oder älter. Doch es ist sinnvoll, die jüngeren Schlaganfälle noch einmal zu unterteilen. In die unter 30-Jährigen und diejenigen zwischen 30 und 55 – weil ab diesem Alter sogenannte kardiovaskuläre Risikofaktoren hinzukommen. Diese Leute haben dann vielleicht schon 20 Jahre lang geraucht, bereits Bluthochdruck oder Diabetes. Diese Risikofaktoren bestehen bei den unter 30-jährigen Patienten in der Regel noch nicht.

Lars Kellert ist Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik in München.
Lars Kellert ist Oberarzt an der Neurologischen Klinik und Poliklinik in München. bild: Eva Greta Galamb

Was sind denn Risikofaktoren für junge Menschen?

Jüngere Menschen kriegen Schlaganfälle hauptsächlich entweder durch Blutgerinnsel, die durch ein kleines Loch im Herzen in den Kopf schießen können, oder durch Gefäßwandverletzungen. Blutgerinnsel aus dem Herzen entstehen, wenn ein sogenanntes PFO, ein Persistierendes Foramen Ovale, vorliegt. Dabei handelt es sich um eine Kurzschlussverbindung zwischen der rechten und der linken Herzkammer, die alle im Mutterleib haben. Diese Kurzschlussverbindung schließt sich normalerweise bei Geburt. Bei ungefähr 25 Prozent aller Menschen bleibt dieses Loch aber offen.

Was sind weitere Risikofaktoren für jüngere Menschen?

Ein weiterer Faktor ist die Gefäßdissektion, dabei handelt es sich um spontane Einrisse an Wänden von hirnversorgenden Arterien. Dies kann vorkommen, wenn eine erhöhte Verletzlichkeit der Gefäßwände vorliegt – beispielsweise aufgrund einer Erkältung. Dann macht man etwas Alltägliches, wie zum Beispiel Niesen, Husten oder man schlägt sich den Kopf an – dann reicht dieses Bagatelltrauma aus, dass eine Gefäßwand einreißt. Mit der folgenden Einblutung kann das Gefäß verschlossen werden, oder sich ein Blutgerinnsel bilden und dann kommt es zum Schlaganfall.

"Risikofaktoren, die für ältere Menschen eine Rolle spielen, rutschen im Alter immer weiter nach unten."

Die PFO und die Dissektion sind also die Hauptursachen bei jungen Menschen?

In den allermeisten Fällen, bis zu 50 Prozent, findet man gar keine Ursache für Schlaganfälle bei jungen Leuten. Das Risiko, dass es erneut zu einem Schlaganfall kommt, ist in diesen Fällen aber am geringsten.

Können Sie erklären, warum die Zahl junger Schlaganfallpatienten in den letzten Jahren steigt?

Erstens werden Notfallmediziner immer aufmerksamer, Schlaganfallsymptome zu detektieren. Und der zweite Grund ist, dass die Risikofaktoren, die für ältere Menschen eine Rolle spielen, immer weiter im Alter nach unten rutschen.

Wie kommt das?

Es gibt den Trend, dass Leute extrem auf sich achten und sehr gesund leben, viel Sport machen und sich bewusst ernähren. Es gibt aber auch die anderen, die sich nur wenig bewegen, viel vor der Konsole sitzen und rauchen. Und in dieser Gruppe gibt es Risikofaktoren zu einem früheren Lebensalter.

"Je jünger die Patienten, umso eher wird die korrekte Schlaganfalldiagnose übersehen."

Gibt es eine Dunkelziffer an Schlaganfällen bei jungen Leuten?

Absolut. Es gibt sogenannte "Stroke Mimics": Die sehen aus wie ein Schlaganfall, sind aber keiner. Beispielsweise bei Migräne: Da hat man oft neurologische Symptome wie Sehstörungen. Es gibt aber auch das Gegenteil, sogenannte "Stroke Chameleons". Das sind Schlaganfälle, die aussehen wie etwas anderes. Das sind die Unglücklichen, denn die werden zu spät behandelt. Die "Stroke Mimics" sind nicht problematisch, die werden eher übertherapiert. Da wird dann Migräne wie ein Schlaganfall behandelt. Je jünger die Patienten, umso eher wird die korrekte Schlaganfalldiagnose übersehen.

Woman suffering from vertigo or dizziness or other health problem of brain or inner ear.
Schwindel kann ein mögliches Schlaganfall-Symptom sein.Bild: iStockphoto / Tunatura

Was passiert denn direkt nach einem Schlaganfall mit dem Körper und mit dem Gehirn?

Wenn die Blutversorgung gestört ist, bekommen die Gehirnzellen zu wenig Sauerstoff und Zucker und fangen an, abzusterben. Wenn die Gehirnzellen nicht mehr richtig funktionieren, kommt es zu den typischen Symptomen wie Lähmungen, Sprachstörungen und so weiter. Aber die Zellen sind in der Lage, sich davon zu erholen, wenn das Gefäß wieder aufgeht und Blut durchströmt.

Welche Maßnahmen werden bei einem akuten Schlaganfall getroffen?

Es gibt hochwirksame akute Therapien, wir können früh diagnostizierte Schlaganfälle in der Zeit praktisch "zurückdrehen". Im Zeitfenster von 4 bis 5 Stunden können wir mit einer Infusion und im Zeitfenster bis 12 Stunden oder noch länger mit einem Katheter das Gehirngefäß wieder freibekommen. Der Mensch ist danach im Idealfall wieder wie vorher. Je länger man wartet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass man die Symptomatik des Schlaganfalles zurückdrängen kann, weil einfach immer mehr Gehirnzellen absterben.

Wie kann man nach einem Schlaganfall wieder fit werden?

Das Gehirn hat eine Eigenschaft, die sich Plastizität nennt. Das heißt, die Gehirnzellen aus anderen Bereichen sind gern bereit, die Funktion der beschädigten zu übernehmen. Wenn ein Bereich abgestorben ist, dann ist darum herum trotzdem ein Geflecht von Zellen, die alle miteinander verbunden sind. Wenn man diese trainiert, sind sie in der Lage, die Funktion der abgestorbenen Zellen teilweise oder sogar komplett zu übernehmen. Junge Menschen haben noch eine viel ausgeprägtere Plastizität als ältere Menschen und somit eine bessere Heilungsprognose.

"Typischerweise tun sich junge Menschen damit psychisch viel schwerer als ältere Menschen."

Bei welchen Anzeichen sollte man unbedingt ins Krankenhaus gehen?

Es gibt zwei entscheidende Warnsignale: Erstens treten die Symptome typischerweise plötzlich auf. Ein Schlaganfall entwickelt sich nicht über Tage und Wochen, sondern eben schlagartig. Und zweitens: In den meisten Fällen tun die Symptome nicht weh, weil das Gehirn nicht schmerzempfindlich ist. Ein schmerzloser, plötzlich auftretender Funktionsausfall ist immer sehr verdächtig. Dazu gehören Sehstörungen, Sprachstörungen, Lähmungen, Gefühlsstörungen, Schwindel, selten auch Kopfschmerzen. Wenn diese Symptome auftreten, muss man sofort den Rettungsdienst informieren und sich ärztlich untersuchen lassen.

Wie gehen junge Menschen psychisch mit Schlaganfällen um?

Typischerweise tun sich junge Menschen damit psychisch viel schwerer als ältere Menschen. Das hängt damit zusammen, dass man komplett aus dem Leben gerissen wird, vorher meist völlig gesund war und im (Arbeits-)Leben stand. Plötzlich muss man damit umgehen, dass man etwas nicht mehr kann und vielleicht im schlimmsten Fall auch nie wieder können wird. Die psychosozialen Auswirkungen für junge Menschen sind oft viel gravierender als die rein körperlichen. Für junge Menschen ist das praktisch immer ein Schock.

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