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Sex-Mythen aufgedeckt: Frauenärztin kritisiert Aufklärung über Social Media

Junge Menschen sind oft mangelhaft über Sexualität aufgeklärt.
Junge Menschen sind oft mangelhaft über Sexualität aufgeklärt. Bild: iStockphoto / Pascal Skwara
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Sexuelle Aufklärung über Social Media: Diese Mythen gibt es weiterhin

18.07.2023, 11:13
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In Zeiten sozialer Medien ist es für viele Jugendliche einfacher, sich durch Pornos oder Influencer aufklären zu lassen, als über die Eltern und die Schule. Doch das birgt einige Tücken – und verbreitet falsche Mythen über Sex.

Mandy Mangler ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und dem Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. In ihrem Podcast "Gyncast" klärt sie regelmäßig über sexuelle Themen und Tabus auf. Außerdem setzt sie sich als Expertin für "feministische Gynäkologie" ein.

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Watson hat mit Mandy Mangler darüber gesprochen, welche Mythen über Sex und den Körper sich hartnäckig halten und warum uns das allen schadet. Außerdem erklärt sie erstaunliche Fakten über den weiblichen Zyklus und Körper.

Watson: Sie kritisieren, dass durch Social Media viele Mythen über Sex verbreitet werden. Welche konkret?

Mandy Mangler: Interessant sind die Mythen, die sich mit der Pflege der Vagina und Vulva beschäftigen. Eine Vulva braucht man nicht mit teuren Beauty-Produkten zu reinigen. Da hat die Natur schon eine sehr gute Barriere aufgebaut, sodass dort eine Flora ist, die von verschiedenen Pflegeprodukten gestört wird. Und trotzdem werden verschiedene Waschlotionen für die Vulva und Vagina angeboten. Manche sogar mit Geruch oder Glitzer. Man kann jetzt also eine glitzernde Vulva haben, aber dadurch werden Vulva und die Vagina kränker. Eigentlich müsste eine Warnung auf diese Produkte.

"Nur weil der Penis ganz gut in die Vagina passt, heißt das nichts. Es bilden nicht Vagina und Penis ein Paar, sondern Penis und Klitoris."

Welche Irrglauben gibt es noch?

Der Kardashian-Clan verkauft jetzt spezielle Gummibärchen. Darin sollen gewisse Wirkstoffe sein, die die Vulva nach Ananas riechen lassen und sie gesünder machen. Das ist nicht in Studien erprobt. Bei so etwas sollte immer durch Studien bewiesen sein, dass es wirklich wirkt und nicht einfach nur behauptet wird.

Und wie steht es um die sexuelle Aufklärung der Kinder und Jugendlichen über Social Media?

Eine verrückte Idee, die verbreitet wird, ist, dass Vagina und Penis ein Paar bilden. Dass also anatomisch die vaginale Penetration gleichbedeutend ist mit Sexualität an sich. Das ist eine sehr aus der Perspektive des Penis gedachte Sexualität und entspricht nicht der Sexualität, die für Frauen passend ist. Nur weil der Penis ganz gut in die Vagina passt, heißt das nichts. Es bilden nicht Vagina und Penis ein Paar, sondern Penis und Klitoris. Das sind zwei Organe, die sich anatomisch entsprechen.

Inwiefern?

Die Vagina der Frau ist ein sehr überbewertetes Organ. Es gibt fast kein Nerven drinnen und dort entstehen keine Orgasmen. Alle Orgasmen gehen über die Klitoris und die klitorale Erregung. Es kann natürlich bei vaginaler Penetration auch geschehen, dass sie erregt wird und dann durch Weiterleiten der Erregung an die Klitoris Orgasmen produziert. Aber die Wahrheit ist, dass die Klitoris dem Penis entspricht.

Wenn sich so viele Jugendliche zur sexuellen Aufklärung an Social Media wenden, hat sich in diesem Feld in Schulen scheinbar nicht viel verbessert. Welche Aufklärung haben wir denn aktuell und welche bräuchten wir?

In den Schulen sind die wirklichen Probleme. Wenn man die Biologiebücher aufschlägt, findet man dort keine korrekte Anatomie für Frauen. Der Penis wird immer dargestellt, der ist ja auch leicht zu identifizieren. Aber die Vulva und die Klitoris nicht. Diese Bücher sagen zu den weiblichen Geschlechtsorganen "Scheide". Scheide ist ein sehr veraltetes Wort für Vagina. In eine Scheide steckt man ein Schwert rein, das kommt von früher. Und das hat mit unserer Sexualität überhaupt nichts zu tun, sondern unsere Sexualorgane sind die Vulva und die Klitoris. Man könnte zumindest die richtigen Wörter in den Biologiebüchern benennen.

"Genauso gut könnte man sagen, die erste Zyklus-Phase ist pathologisch: Dass die Frauen da so gut drauf sind, so unkompliziert und freundlich lächeln, das ist ja krank."

Auf Social Media liest man den Begriff "Scheide" dagegen kaum ...

Hier ist Social Media viel weiter, wo wir auch viel Aufklärung in Bezug auf die Vulva und die Klitoris finden, das ist eine große Stärke. Und was auch schwierig ist, ist das sogenannte Syndrom PMS, das in den sozialen Medien hoch und runter konjugiert wird. Das könnte man auch sehr stark hinterfragen. Dazu findet man auch sehr viele Mythen.

Wirklich? Welche denn?

Prämenstruelles Syndrom (PMS) wird die zweite Zyklusphase genannt, die gesellschaftlich stark behaftet ist mit negativen Emotionen. PMS an sich ist eine falsche Pathologisierung einer Zyklus-Phase. Man schreibt ihr zu Unrecht negative Emotionen zu. Genauso gut könnte man sagen, die erste Zyklus-Phase ist pathologisch: Dass die Frauen da immer so gut drauf sind, so unkompliziert und freundlich lächeln, das ist ja krank. Aber wir als Gesellschaft fokussieren uns darauf, dass es nicht normal ist, wenn die Frau mal schlechte Laune hat, unterzuckert und hungrig ist. Wir haben dem sogar den Namen PMS gegeben, es also als Syndrom klassifiziert.

Also ist PMS gar keine richtige Krankheit?

Dafür gibt es keinen medizinischen Hintergrund, das ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Es gibt ein anderes Syndrom, PMDS, das ist eine dysphorische Störung. Diese haben aber nur fünf Prozent der Frauen. Das ist dann wirklich ein medizinisches Problem. Aber quasi jeder Frau wird so eine Art PMDS unterstellt.

Oft ist den Lehrern oder Eltern die Aufklärung ja selbst peinlich. Wie soll man da einen natürlichen Umgang vermitteln?

Das ist natürlich einfach gesagt, dass wir und die Schulen jetzt alle mit dem Thema Anatomie und Sexualität ganz normal umgehen. So einfach ist es ja leider nicht. Man kann es nur täglich üben, auch an sich selber. Man kann ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass die Vulva, die Vagina und der Penis ganz normale Organe sind, wie ein Arm. Daran gibt es nichts medizinisch Merkwürdiges oder Schambehaftetes.

"Eine gesunde Sexualität erhöht unsere ganze körperliche Gesundheit und unsere Lebensqualität."

Sind tendenziell eher Jungs oder Mädchen besser aufgeklärt?

Jungs sind besser aufgeklärt über ihre eigenen Geschlechtsorgane. Mädchen haben ja nicht mal einen Namen dafür. Die wenigsten Mädchen können mit den Begriffen Vulva oder Klitoris irgendwas anfangen. Deswegen ist es wichtig, dass man jungen Mädchen das Wording transportiert. Man muss den Mädchen auch diese Fixierung auf die Vagina nehmen, die ist nicht relevant. Jungs sind besser aufgeklärt, weil der Penis "besser greifbar" ist.

Wie äußert sich das?

Viele können den Penis zeichnen, aber die Vulva oder Klitoris nicht. Insgesamt sind sie aber alle, egal ob Mädchen oder Jungs, zu wenig aufgeklärt, was Sexualität, vor allem gleichberechtigte Sexualität und einen schamfreien Umgang damit betrifft. Denn Sexualität ist ja ein Faktor für unsere Gesundheit. Eine gesunde Sexualität erhöht unsere ganze körperliche Gesundheit und unsere Lebensqualität. Und es ist gut, wenn wir ohne Scham darüber sprechen und das in unser Leben einflechten können.

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