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Radikalisierung: Expertin gibt Tipps für Angehörige von Radikalen

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Die sogenannten Reichsbürger dürften zu den bekanntesten radikalen Gruppen Deutschlands gehören.Bild: imago images / ZUMA Press Wire
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Wenn der Onkel rassistische Sachen sagt: Wie spricht man mit radikalen Menschen?

22.01.2025, 19:0723.01.2025, 09:40
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Es scheint, als würden sich gerade in vielen Bereichen der Gesellschaft Diskurse verschieben, oder um es genauer zu sagen, verrohen. Auf dem AfD-Parteitag nutzte Kanzlerkandidatin Alice Weidel das Wort "Remigration" ohne Scheu und mit ordentlich Nachdruck, kurz danach verteilte die in Teilen rechtsextreme Partei Abschiebetickets an Familien mit Migrationshintergrund.

Gleichzeitig wachsen die Umfragewerte für die AfD, freunden sich immer mehr Menschen mit dem radikalen Gedankengut der Partei an. Blickt man auf die Umfragewerte, kann einen schonmal das Gefühl der Ohnmacht ergreifen. Aber auch: Das Gefühl, etwas daran ändern zu wollen.

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Watson hat deswegen mit der Journalistin und Kommunikationsberaterin Dana Buchzik gesprochen. Sie ist in einer Sekte groß geworden und hat allein den Weg zurück in die Gesellschaft gefunden. Buchzik ist Expertin für Radikalisierung und die dazugehörigen Prozesse und weiß ganz genau, wie man mit Menschen spricht, die sich radikalisiert haben.

watson: Dana, woran erkennt man, dass jemand anfängt, sich zu radikalisieren?

Dana Buchzik: Wenn beispielsweise eine Person, die vorher gar nicht religiös war, plötzlich strenge religiöse Regeln befolgt. Oder plötzlich Beziehungen zu geliebten Menschen vernachlässigt oder ganz abbricht. Also Wendungen im Leben, die eigentlich nicht zu der Person passen, verbunden mit Missionierungsdrang. Wenn jemand zum Beispiel sagt: "Diese Gruppe hat mein Leben verändert", ist daran nichts Ungewöhnliches. Wenn dann aber kommt: "Und du musst da jetzt unbedingt auch hin, es gibt für dich keinen Weg vorbei an dieser Gruppe, du musst diese tiefe Wahrheit erfahren." Da sollte man misstrauisch werden.

Warum radikalisieren sich Menschen überhaupt?

Bei allen Formen der Radikalisierung erzählen sich die Menschen das eigene Leben als Heldengeschichte. Grundsätzlich hat natürlich jeder Mensch den Wunsch, dass das eigene Leben nicht komplett bedeutungslos ist. Im Radikalisierungsprozess überstrahlt dieses Bedürfnis nach Bedeutsamkeit aber alle anderen Bedürfnisse und frisst die Persönlichkeit gewissermaßen auf. Deswegen verändert sich das Verhalten der Person so stark.

Gibt es Faktoren, die Radikalisierungsprozess begünstigen?

In Radikalisierungsprozessen gibt es Push- und Pull-Faktoren. Also Faktoren wie Stigmatisierung, die Menschen aus der demokratischen Gesellschaft herausdrücken, und Faktoren wie Heilsversprechen, die sie in radikale Gruppen hineinziehen. Genauso funktioniert es beim Ausstieg: Manche Erfahrungen stoßen die Menschen von der radikalen Gruppe ab und manche ziehen sie in die Gesellschaft zurück. Und oft ist der Grund für den Einstieg und für den Ausstieg der gleiche.

Wie kann das sein?

Die Versprechen radikaler Gruppen werden in den allermeisten Fällen nie eingelöst. Personen machen also die Erfahrung, dass das Bedürfnis, das sie in die Gruppe getrieben hat, dort gar nicht erfüllt wird. Deswegen versuchen radikale Akteure oft, ihre Anhänger von Familie und Freundeskreis zu isolieren: Ein sicherer Hafen erhöht die Gefahr, dass Menschen wieder abspringen, sobald sie verstehen, wie es in der jeweiligen Gruppe wirklich läuft.

Wenn ich merke, eine Person, die mir wichtig ist, radikalisiert sich in irgendeiner Weise: Habe ich die Chance, sie im Gespräch zu erreichen?

Auf jeden Fall! Die Radikalisierungsforschung zeigt, dass Familie und Freund:innen für radikale Personen die Tür zurück in die Welt sind. Ein großes Problem ist aber, dass viele Angehörige und Freund:innen sich erst dann Hilfe suchen, wenn die Radikalisierung schon weit fortgeschritten ist: Wenn Grenzen überschritten worden sind, wenn es schwere Verletzungen gegeben hat. Dann will das Umfeld das jetzt sofort klären. Aber man muss schon bereit sein, Zeit zu investieren. Wenn die Beziehung bislang stabil war, stehen die Chancen wirklich gut, etwas zu bewegen.

Ein Blick auf die anstehende Wahl: Wie kann man als junger Mensch beispielsweise älteren Familienmitgliedern begegnen, die sich populistisch äußern?

Dabei sind vor allem zwei Dinge wichtig. Das erste ist, sich über seine eigenen Grenzen klarzuwerden. Was sind meine orangefarbenen Linien, was kann ich also gerade noch tolerieren, und was sind meine roten Linien? Je besser man seine Grenzen kennt und benennen kann, umso ruhiger geht man auch in die Konfrontation. Bei Gesprächen innerhalb der Familie müssen wir auch Generationenunterschiede bedenken. Wenn ein Vater beispielsweise ein strenges Bild von Autorität hat, wird er direkten Widerspruch wahrscheinlich als respektlos wahrnehmen und nicht weiter zuhören wollen. Was aber immer gut funktioniert, ist Fragen stellen.

In ihrem neuen Buch erklärt Buchzik, wie man lernt, Grenzen zu setzen. (Erscheint am 8. März)
In ihrem neuen Buch erklärt Buchzik, wie man lernt, Grenzen zu setzen. (Erscheint am 8. März) klett-cotta

Was ist hierbei ein guter Ansatz?

Wir können ganz allgemein fragen: "Wann hast du das zum ersten Mal gedacht? Welche Menschen haben deine Meinung dazu geprägt?" So kann man besser verstehen, welches Bedürfnis sich hinter der radikalen Haltung verbirgt. Davor schrecken viele Leute zurück, weil sie glauben, Zuhören wäre das Gleiche wie Zustimmung.

Das ist aber nicht der Fall?

Nein, durch Zuhören und Nachfragen können wir das Problem einfach besser verstehen und dann wirksam adressieren. Vielleicht ist die Person beeinflusst von radikalen Kollegen oder ihrem Partner oder Freundeskreis. Das heißt, sie hätte einiges zu verlieren: Wenn sie sich distanziert, könnte das berufliche Nachteile oder den Verlust wichtiger Menschen bedeuten. Veränderung bedeutet immer harte Arbeit. Für radikale Personen gilt das ganz besonders, weil ihr Glauben so eng mit ihrer Identität verwoben ist.

"Es ist jederzeit möglich, sich seriös zu informieren. Radikale Personen entscheiden sich aber dagegen."

Kommt man gegen populistische oder rechtsextreme Aussagen mit Fakten und Argumenten an?

Wenn es sich dabei um eine uns nahestehende Person handelt, vielleicht. Rein inhaltliche Gegenrede scheitert oft, weil sie nicht das eigentliche Problem adressiert. Als Beispiel: Wenn man einem Raucher sagt, "Rauchen ist ungesund", wird er auch nicht unter Dankestränen seine Zigarette wegwerfen und sagen, "Mensch, das wusste ich ja noch gar nicht." Unser Gegenüber lebt nicht unter einem Stein. Es ist jederzeit möglich, sich seriös zu informieren. Radikale Personen entscheiden sich aber dagegen. Da bringt es auch nichts, noch einen weiteren Faktencheck zu teilen.

Mal angenommen, man kommt mit einer fremden Person in Kontakt, die auf irgendeine Weise radikalisiert ist: Hat man da gar keine Wirkmacht?

Wenn man sehr viel Zeit und Ruhe mitbringt, wenn man vorbereitet ist und weiß, wie effektive Kommunikation funktioniert – und wenn das Gegenüber auch bereit ist, zuzuhören, dann kann man sicherlich etwas bewirken. Doch das ist leider nur selten der Fall.

Was darf man in solchen Gesprächen auf keinen Fall machen?

Eine wichtige Faustregel ist: Wenn ich eine Diskussion nur gewinnen will, sollte ich sie gar nicht erst anfangen. Man muss die Offenheit mitbringen, zuzuhören und dazuzulernen. Das gehört zu einem konstruktiven Gespräch dazu. Man muss ehrlich verstehen wollen, worin die Funktion des radikalen Glaubens liegt. Und dafür muss man bereit sein, längere Gespräche zu führen und das Gegenüber nicht abzuwerten. Wir können Dinge nur verändern, indem wir in Beziehung gehen. Das ist auch mit einer fremden Person möglich, es ist nur viel schwieriger.

Aber einen konkreten Tipp oder ein Argument, das alle überzeugt, gibt es nicht?

Wir alle reagieren ja eher allergisch, wenn jemand einem seine Meinung überstülpen will und nicht bereit ist, zuzuhören. Viele haben die Hoffnung, dass es diesen einen magischen Satz gibt, der das Problem mit einem Schlag löst – und ich würde mir wirklich wünschen, dass es ihn gäbe. Ein Patentrezept gibt es, wie bei so vielem im Leben, nicht. Wir müssen uns gemeinsam auf den Weg machen, um individuelle Lösungen zu entwickeln.

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