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Immersive Ausstellungen im Trend: Die Zukunft der Kunst?

In die Kunst einzutauchen: Das ist das Versprechen immersiver Ausstellungen.
In die Kunst einzutauchen: Das ist das Versprechen immersiver Ausstellungen. bild: viva frida kahlo pressefotos/ Morris Mac Matzen
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Immersive Ausstellungen: "Wir wollen den Museen nicht die Besucher wegnehmen"

12.03.2024, 07:56
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Eintauchen in die Seerosen von Claude Monet, im Sternenhimmel von Vincent van Gogh versinken oder sich in den Schmerz von Frida Kahlo einfühlen. Das sind die Versprechen immersiver Kunstausstellungen – die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen.

Kunstwerke werden dabei digital aufbereitet und einzelne Elemente zum Leben erweckt. In einem Raum gibt es multimediale Installationen, in denen die Bilder bei einer 360-Grad Show über die Wände flimmern. Oft tragen Besucher:innen auch VR-Brillen, sodass die Bilder der Künstler:innen in schwungvollen Animationen wie auf einer Art Mario-Kart-Bahn an einem vorbeischweben. Ein metaphysisches Erlebnis, sagen einige. Lediglich Spektakel für Instagram, meinen andere.

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Im Gespräch mit watson erzählt Nepomuk Schessl, Produzent mehrerer immersiver Ausstellungen, unter anderem zu Claude Monet, Gustav Klimt und Frida Kahlo, was immersive von herkömmlichen Ausstellungen abhebt, wo die Grenze zum Kitsch liegt und wie die Zukunft der Kunst aussieht.

MONETS GARTEN in Muelheim *** NUR FUeR REDAKTIONELLE ZWECKE *** EDITORIAL USE ONLY ***<p>Nepomuk Schessl bei der Vorbesichtigung der Ausstellung MONETS GARTEN am Freitag, 06. Mai 2022, im Techni ...
Nepomuk Schessl ist Produzent diverser immersiver Ausstellungen. Bild: imago images/ Funke Foto Services

watson: Herr Schessl, was fasziniert Sie an der Immersion?

Nepomuk Schessl: In unserer heutigen Zeit, in der die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen immer kürzer und immer schwächer wird, ist Immersion der Versuch, jemanden wirklich in ein Thema abtauchen zu lassen und beim Thema zu halten. Dass sich jemand wirklich in die Welt hineinbegibt.

Was kann eine immersive Ausstellung schaffen, was eine analoge, herkömmliche nicht schafft?

Es sind zwei verschiedene Ansätze. Wir erzählen eine Geschichte. Wir nehmen die Leute an die Hand und setzen nicht voraus, dass jemand wahnsinnig vorgebildet ist über den Künstler. Der Ansatz ist: Wir erzählen dir jetzt, warum dieser Künstler so cool ist und warum es sich lohnt, sich mit dem auseinanderzusetzen.

Und was ist mit den Leuten, die sich schon auskennen?

Das heißt nicht, dass es nur für Leute ist, die sich mit dem Künstler nicht auskennen. Es ist auch eine neue Art, den Künstler zu erleben. Das hat etwas Besonderes: Den konkreten Zusammenhang zwischen dem biografischen Zeitpunkt im Leben des Künstlers in Zusammenhang mit dem Werk zu bringen – und sich das auch grafisch vorzustellen. Man kann viel mehr nachvollziehen, wie er sich gefühlt hat, wo er gerade war.

"Es geht bei Kunst und Kultur im Grunde immer darum, dass es eine Erfahrung ist, die etwas in uns bewirken soll. Es soll etwas auslösen."

Ist es besser, als ein Bild da "nur" so hängen zu sehen?

Das heißt nicht, dass ich das dem Original überlegen finde. Aber man kann einen Zugang zu den Werken finden, den man – ohne sie studiert zu haben – sonst vielleicht nicht findet. Das ist etwas, das wir besser können als ein herkömmliches Museum.

Mit VR-Brillen kann man in die digitalen Welten der Künstler:innen eintauchen.
Mit VR-Brillen kann man in die digitalen Welten der Künstler:innen eintauchen. bild: viva frida kahlo pressefotos/ morris mac matzen

Also geht es eher um eine sinnliche Herangehensweise?

Es geht bei Kunst und Kultur im Grunde immer darum, dass es eine Erfahrung ist, die etwas in uns bewirken soll. Es soll etwas auslösen, egal was. Und ich glaube, dass es bei viel mehr Menschen möglich ist, etwas auszulösen, wenn man Kunst so aufbereitet, wie wir es tun. Aber es gibt natürlich auch etwas, das wir nicht besser können. Und das ist das Original.

Was kann das Original vermitteln, was eine immersive Ausstellung nicht kann?

Wenn man sich vor ein Original stellt, sich die Zeit nimmt und sich in das Bild vertieft und sich dann vorstellt, was dieser Maler oder diese Malerin dabei gefühlt hat: Das ist nicht zu ersetzten. Das echte Artefakt übt eine besondere Faszination aus.

Welches Publikum möchten Sie erreichen? Alle, die sich von den klassischen Museen nicht abgeholt fühlen?

Wir wollen den Museen nicht die Besucher wegnehmen, sondern neues Publikum generieren. Die Hoffnung ist auch, dass sich die Menschen danach für die Originale interessieren.

Sie sind quasi die Einstiegsdroge.

Genau. Im Idealfall möchten wir alle ansprechen, das ist unsere romantische Fantasie. Wir verwenden jetzt nicht unbedingt einfache Sprache oder haben den Anspruch, alles total niedrigschwellig zu machen. Es geht einfach darum, die Menschen abzuholen, ohne dass sie vorher drei Biografien gelesen haben müssen.

Immersiven Ausstellungen wird vorgeworfen, mit Kunst gar nichts mehr zu tun zu haben, sondern nur plumpes Spektakel zu sein. Ist das fair?

Wir haben das Gleiche erlebt, als wir 2006/2007 angefangen haben, Filmmusik zu machen. Da haben alle mit der Nase gerümpft und gesagt, das sei oberflächliche Popmusik, nur für das Orchester geschrieben. Und mittlerweile geben die Wiener Philharmoniker mit John Williams als Dirigent und Anne-Sophie Mutter als Solistin Konzerte und spielen "Star Wars".

Was heißt das für immersive Ausstellungen?

Ich bin mir bewusst, dass immersive Ausstellungen etwas sind, das die etablierte Kunstwelt kritisch beäugt. Ich glaube aber nicht, dass es produktiv ist, das so abzulehnen. Wir müssen uns einfach Gedanken machen, wie wir unsere Besucher auch in Zukunft begeistern. Nachdem Kunst-, Musik- und Malunterricht in der Schule immer weniger werden, müssen andere Stellen die Arbeit machen.

Ein Kritikpunkt ist auch, dass Sie es Ihren Künstler:innen vermeintlich nicht zutrauen, dass die Bilder allein ihre Wirkung entfalten.

Das verstehe ich. Wir versuchen, mit einem großen Respekt an die Werke heranzugehen. Natürlich animieren wir einige Sachen, aber wir geben das nicht bis zur Unkenntlichkeit verformt und verkitscht wider. Es ist ein junges Genre, bei dem viel ausprobiert wird – was schön ist.

Wo haben Sie bei Ihren Ausstellungen die Kitsch-Grenze gezogen?

Das Werk muss immer noch für sich stehen. Und wenn ich beispielsweise bei Monet eine Windmühle langsam im Wind drehen lasse und ein Vogel, der auch gemalt ist, langsam durch das Bild fliegt, habe ich das Bild nicht in seiner Eigenständigkeit verfälscht. Sondern ein wenig Leben eingehaucht.

Wo liegt dann der Unterschied zwischen Kitsch und Kunst?

Ich denke, im Vordergrund muss immer stehen, dass man dem Werk der Künstlerin und des Künstlers gerecht werden möchte. Das Bemühen, nicht nur Effekthascherei zu veranstalten.

Wie hätten Frida Kahlo oder Claude Monet ihre immersiven Ausstellungen gefunden?

Für Frida war die Botschaft immer ganz wichtig, dass jeder etwas Besonderes ist, dass man stark sein und sich nicht unterkriegen lassen soll. Ich hoffe, dass sie sich freut, dass ihr Leben als Inspiration wahrgenommen wird und auch zelebriert wird. Und Monet hat die Immersion selbst schon gemalt. Die Seerosen sind so großformatig, weil er wollte, dass der Betrachter in das Motiv abtaucht und keinen Horizont mehr erkennt. Damit war die Immersion schon angelegt. Wenn man etwas übermütig ist, könnte man unterstellen, dass er so etwas Ähnliches heute gemacht hätte.

Gibt es auch Künstler:innen, denen Sie mit einer immersiven Ausstellung nicht gerecht werden könnten?

Künstler, die sich eigenen, müssen immer ein paar Sachen mitbringen: Sie müssen bedeutend für die Kunstgeschichte sein, bis heute nachwirken und eine interessante Geschichte zu erzählen haben. In einem nächsten Schritt kann man sich dann überlegen, ob die Malerei dafür geeignet ist. Ich begreife das Immersive auch nicht nur als Ausstellung, sondern als Format, eine Geschichte zu erzählen. Wir machen beispielsweise auch eine Tutanchamun-Ausstellung. Wir können auch andere Kultur-Themen in diesem Format gut erzählen und den Menschen näherbringen.

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Werden Kunstausstellungen in der Zukunft immer digitaler?

Es gibt immer mehr Künstler, die originär digital sind. Insofern wird digitale Kunst zunehmen, weil Kunst auch immer mehr digital geschaffen wird. Aber ich sehe uns eben nicht als Konkurrenz zu den analogen Museen. Deswegen glaube ich schon, dass es in Zukunft eine Koexistenz geben wird, die sich eher befruchtet, als kannibalisiert. Die Oper ist auch nicht untergegangen, weil das Fernsehen kam.

Mein Partner hat kaum Freunde – ist das ein Problem?

In der Theorie ist es schnell dahingesagt, dass man für den oder die Partner:in gerne das "Ein und Alles wäre", in Wirklichkeit scheint das aber ein ziemlich ungesunder Zustand für eine Beziehung zu sein. Schließlich ist es doch eigentlich erholsam, wenn man mehrere Menschen für unterschiedliche Bereiche des Lebens zur Verfügung hat.

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