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Party ohne Kater: Wie Wunder-Mittel Myrkl zum Alkohol-Abbau funktioniert

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Der Morgen danach, nicht immer ein Vergnügen. Das neue Medikament Myrkl verspricht Hilfe. bild: pexels/Polina Tankilevitch
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Myrkl – das Wundermittel zum Alkoholabbau: Was kann es und was sind die Nebenwirkungen?

26.12.2022, 11:54
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Fast jeder kennt das: Das letzte alkoholische Getränk eines geselligen Abends war dann doch eines zu viel – und am nächsten Morgen kommt die Quittung. Ein Preis, den man nicht immer gern bezahlt, vor allem, wenn man am nächsten Tag in irgendeiner Weise leistungsfähig sein muss.

Ein neues Mittel verspricht nun Rettung für diese unerwünschte Nebenwirkung des Rauschs: Myrkl, ein nach Angaben des Herstellers revolutionäres Nahrungsergänzungsmittel, das 70 Prozent des im Blut enthaltenen Alkohols innerhalb von 60 Minuten abbauen soll.

Und nicht nur das: Laut einem Tweet soll das Wundermittel der schwedischen Firma DeFaire Medical auch die im Alkohol enthaltenen Kalorien zunichtemachen.

watson hat mit der Suchtmedizinerin Reingard Herbst, die im bayerischen Bad Bayersoien eine private Klinik zum Alkoholentzug leitet, über die Wirkweise und eventuellen Nebenwirkungen der Wunderpille gesprochen.

watson: Das Alkoholabbaumittel Myrkl ist eine Art Zauberpille, die den Alkohol sowie die zugehörigen Kalorien im Körper in Windeseile verschwinden lässt. Wie funktioniert das?

Reingard Herbst: Wenn man sich anschaut, was laut Herstellerangaben in diesem Mittel enthalten ist, stellt man fest, dass es keine Mineralien und keine Salze sind, sondern Bakterien. Genau genommen zwei Bakteriengruppen: der Bazillus subtilis und der Bazillus coagulans als Hauptbestandteile. Dann gibt es noch das L-Cystein, eine Aminosäure, die vor allem entgiftend wirkt, aber auch lange Moleküle zerschneiden kann, und Vitamin B12. Die beiden Bakterienarten sollen dafür verantwortlich sein, dass der Alkohol schneller abgebaut wird.

"Bakterien brauchen Nahrung (...). Sie 'essen' bei allem mit, was wir zu uns nehmen."
Suchtmedizinerin Reingard Herbst

Dazu muss man wissen: Bakterien brauchen Nahrung, auch die Bakterien, die im Darm wohnen. Und da wohnen große Mengen. Sie "essen" bei allem mit, was wir zu uns nehmen. Zusätzliche Bakterien, wenn sie sich tatsächlich auch im Darm festsetzen, benötigen also zusätzliche Nahrung. Und wenn das Mittel, wie empfohlen, zeitnah zum Genuss von Alkohol genommen wird, kann es sein, dass diese Bakterien einen Anteil des Alkohols als "Nahrung" nutzen und in ihren Stoffwechsel aufnehmen.

Dr. Reingard Herbst
Chefärztin der Nescure-Privatklinik und Suchtexpertin Dr. Reingard Herbst.bild: privat

Klingt gut. Gibt es einen Haken?

Was nirgendwo steht, ist, dass auch der verbleibende Restalkohol aufgenommen und über die Leber abgebaut wird. Und dass gleichzeitig die üblichen Stoffwechselprozesse im Körper laufen und entsprechende Giftstoffe entstehen. Und was vor allem dort nicht steht, ist, dass das Mittel in keiner Weise vor Abhängigkeiten schützt. Das ist meine Hauptsorge als Suchtmedizinerin. Unter anderem, weil vom Produkt versprochen wird: "Ich nehme etwas ein, dann kann ich trinken. Es schadet mir nicht." Und das ist mit Sicherheit falsch.

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Karneval, Oktoberfest, Weihnachtsfeier: Gelegenheiten zum Trinken.Bild: dpa / Fabian Strauch

Wäre dann eine der schlechten Nebenwirkungen von Myrkl die Gefahr, durch höheren Alkoholkonsum abhängig zu werden?

Die Frage, die sich stellt, ist: Wer würde so ein Mittel nutzen? Jemand, der auf eine Geburtstagsfeier oder zu Freunden geht, und im normalen Rahmen ein Glas Wein oder Bier zum Essen trinkt? Ich gehe eher davon aus, dass eine solche Person weiß, wie viel sie verträgt und weiß, dass sie von einem Glas Alkohol eher kein Kopfweh bekommt. Sie weiß vermutlich, dass ihr Wohlbefinden nicht grundsätzlich von Alkohol abhängt.

"Es werden vermutlich eher Menschen angesprochen, die von sich aus sagen: 'Heute will ich über die Stränge schlagen.'"

Wer nimmt also so ein Anti-Alkoholkopfschmerz-Mittel? Es werden vermutlich eher Menschen angesprochen, die von sich aus sagen: "Heute will ich über die Stränge schlagen." Oder Menschen, die grundsätzlich schon von sich wissen, dass sie ihren Alkoholkonsum nicht im Griff haben. Jemand, der einen verantwortlichen Umgang mit Alkohol hat und für den Alkohol nicht zur Normalität im Alltag gehört, wird solche Mittel eher nicht einnehmen. Also wird hier vermutlich eine Personengruppe angesprochen, die gefährdet ist oder vielleicht schon eine Abhängigkeit hat und die weiß, dass sie sich nicht begrenzen kann.

"Kontrollverlust ist ein massiver Teil der Abhängigkeit."

Ein guter Grund, Myrkl auszuprobieren, könnte sein, dass man etwas trinken möchte, aber am nächsten Tag trotzdem fit sein und arbeiten muss. Wäre so was dann als Anlass in Ordnung?

Als Suchtmedizinerin, die seit vielen Jahren eine Alkoholentzugsklinik leitet und viel mit abhängigen Menschen zu tun hat, sage ich: "Ich muss nicht vorher etwas einnehmen, um mich vor den Folgen des Alkoholkonsums zu schützen." Ich rate also zu Verzicht. Es ist wieder die Frage nach der Zielgruppe für das Produkt. Sicher gibt es einen großen Unterschied zwischen den Menschen, die – wie bei einer Weihnachtsfeier – wissen, dass es mal ein Glas mehr werden könnte und die am nächsten Morgen um sechs Uhr aufstehen müssen, und Menschen, die grundsätzlich über die Stränge schlagen, weil sie gar nicht mehr anders können. Kontrollverlust ist ein massiver Teil der Abhängigkeit.

Sie plädieren also für das Prinzip Eigenverantwortung?

Genau, Selbsteinschätzung und Eigenverantwortung.

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Trinken mit Augenmaß sollte das Prinzip bleiben, mit oder ohne Myrkl.Bild: IMAGO/Shotshop

Gibt es, außer der Gefahr einer Abhängigkeit, noch weitere Bedenken?

Die einzelnen Bestandteile, die in dem Mittel enthalten sind, schaden nicht. Was mich als Ärztin in der Zusammensetzung etwas verwundert, ist das enthaltene Vitamin B12. Dieses gilt allgemein als wichtiges Vitamin. Um aber Zuckermoleküle zu spalten, für das Verstoffwechseln von Alkohol, braucht der Körper jedoch Vitamin B1 – es wird bei Alkoholkonsum massiv verbraucht. Die Bakterien sind in ihrer Grundform nicht schädlich.

"Ich vermute, dass mit Anti-Kater-Produkten ein bisschen was vorgegaukelt wird, auch wenn Bakterien einen Teil vom Alkohol verarbeiten können."

Wir haben ohnehin Bakterien im Darm, und zwar eine sehr hohe Zahl von etwa zehn hoch 16 bis 18. Sie können auch für Ärger sorgen. Wenn wir Darmprobleme bekommen, sind oft Verschiebungen in der Anzahl der Bakterien oder ein unausgeglichenes "gutes Miteinander" der Grund. In dieses Gleichgewicht greifen die zusätzlichen Bakterien, wenn man Myrkl regelmäßiger nimmt, mit Sicherheit auch ein. Dann könnte es sehr wohl sein, dass Darmbeschwerden folgen.

Wenn der Alkohol im Körper gleich durch das Mittel abgebaut wird, während ich konsumiere, dann werde ich ja durch den Konsum auch gar nicht betrunken, oder?

Ganz genau! Es gibt Menschen, die durch Gewohnheit schon nicht betrunken wirken und sich auch nicht betrunken fühlen. Bei einem Alkoholtest haben sie dann doch mehr als ein oder zwei Promille im Blut. Das habe ich schon in meiner Entzugsklinik erlebt. Ich habe sogar Patientinnen oder Patienten, die mehr als drei Promille im Blut haben und die trotzdem noch geradeaus gehen und völlig unauffällig sprechen. Es könnte also sein, dass der Mensch, der Alkohol nicht gewöhnt ist, durch den schnellen Abbau von Bakterien nicht oder wesentlich später ein Betrunkenheitsgefühl entwickelt. Das hätte zur Folge, dass er vielleicht mehr trinkt. Als Medizinerin sehe ich da ein Risiko.

Wenn man sehr viel konsumiert, hätte man dann trotzdem einen Kater?

An einem bestimmten Punkt wird eine Sättigung erreicht. Die Bakterien verstoffwechseln das, was sie brauchen und nicht mehr. Die Darmpassage darf man auch nicht vergessen. Bakterien bleiben nicht im Darm, bis alles zersetzt und verarbeitet ist. Alkohol wird schnell aufgenommen, über die Darmschleimhaut resorbiert und über die abführenden Venengefäße zur Leber gebracht. Die eigene Stoffwechselleistung geht viel schneller als man sich das oft vorstellt. So schnell werden diese Bakterien kaum arbeiten können. Ich vermute, dass mit Anti-Kater-Produkten ein bisschen was vorgegaukelt wird, auch wenn Bakterien einen Teil vom Alkohol verarbeiten können.

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