Die Corona-Krise hat viele Bereiche des öffentlichen Lebens zum Erliegen gebracht, unter anderem auch die Registrierungsaktionen der DKMS. Die Neuregistrierungen gingen in der Corona-Zeit um 60 Prozent zurück – und das hat für viele kranke Menschen ernste Konsequenzen.
"Blutkrebs macht keine Pause", sagt Julia Runge von der Deutschen Knochenmarkspenderdatei im Gespräch mit watson. Oft erkranken schon sehr junge Menschen an der lebensgefährlichen Krankheit.
watson: Die Neuregistrierungen von Stammzellenspendern gingen um 60 Prozent zurück. Was ist der Hauptgrund für den Einbruch?
Julia Runge: Dass wir seit März aufgrund der Corona-Regelungen keine großen Spende-Aktionen mehr machen können. Wir versuchen das Online auszugleichen, unsere Arbeit vermehrt auf sozialen Netzwerken vorzustellen, aber es ist schon ein Unterschied. Vor Ort in Stadt- oder Turnhallen kommt oft eine sehr engagierte Community zusammen, die sich trifft, Flyer verteilt, ihren Nachbarn Bescheid gibt. Das fällt nun eben weg. Noch dazu werden die Proben bei solchen Spendenaktionen ja direkt gesammelt und mitgenommen. Zu Hause gibt es da leider die Hürde des Abschickens. Das Wattestäbchen, was man zugesandt bekommt, muss man ja wieder zur Post bringen und zurücksenden. Das ist zwar nicht viel Arbeit, aber natürlich vergisst der eine oder andere es dann doch. Diese beiden Faktoren machen den größten Schwund aus.
Wie hat Corona die Arbeit des DKMS sonst noch verändert?
Im März und April hatten wir vor allem das Problem, dass der Flugverkehr lahmgelegt war und wir schauen mussten, wie wir die Stammzellen überhaupt zu den Patienten bringen konnten. Dafür hat man immer nur 72 Stunden Zeit. Zum Teil haben Piloten, die noch in der Luft waren, die Stammzellen im Cockpit transportiert. Auch LKWs setzten wir ein. Vielfach trafen sich die Kuriere dann einfach an den Grenzen, um die wertvollen Stammzellen zu übergeben, ohne das andere Land betreten zu müssen. Es war eine Herausforderung, aber alle haben wirklich engagiert mitgeholfen, um die Versorgung der Patienten weiter sicherzustellen.
Wie viele Menschen warten noch auf eine Spende?
Aktuell leben über 120.000 Erkrankte mit Blutkrebs, aber nicht alle von ihnen benötigen eine Stammzellspende. Über das Zentrale Knochenmarkspenderegister haben derzeit 3000 Menschen in Deutschland eine Suche laufen, um einen Fremdspender zu finden, heißt: Hier wurde offenbar kein passender Spender innerhalb der eigenen Familie gefunden, was ja der erste Schritt ist.
Wie viele Registrierungen braucht man im Schnitt, um einen passenden Spender zu finden?
Gerade mal ein Prozent der registrierten Spender kommt letztlich "zum Einsatz", das ist auch der Grund, warum wir immer so eine Masse an Registrierungen brauchen. Wir müssen immer wieder um Spender werben, um tatsächlich den genetischen Zwilling eines Erkrankten zu finden. Besonders schwierig ist die Suche für Menschen mit bunten, ethnischen Wurzeln. Denn es kommt bei der Stammzellenspende nicht auf die Blutgruppe an, wie viele denken, sondern die Gewebemerkmale und wenn die sehr variantenreich sind, wird es logischerweise schwieriger, einen genau darauf passenden Spender zu finden.
Wer eignet sich besonders gut als Spender?
Grob gesagt: Junge Männer. Grundsätzlich kann jeder zwischen 17 und 55 Jahren als Spender registriert werden. Besonders wichtig sind für uns aber die jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, da sie weniger Vorerkrankungen haben. Männer haben zusätzlich den Vorteil eines größeren Körpers, sie produzieren mehr Stammzellen und sind auch nicht so stark durch hormonelle Dinge beeinträchtigt, wie Frauen, die in dem Alter ja oft schwanger werden. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Wir hatten letztens eine 61-jährige Stammzellenspenderin, die zum Einsatz kam. Es ist einfach immer schön, wenn durch die Hilfe der Spender ein Leben gerettet werden kann, egal wie alt diese sind.
Ist Stammzellen spenden denn während Corona sicher?
Ja. Wir organisieren die Stammzellenspende so, dass der Spender nicht gefährdet wird. In der Klinik bekommen die Spender Plätze zugewiesen, bei denen sie allein und steril behandelt werden. Auch die Anreise wird so organisiert, dass man sich wohlfühlt. Wer Angst vor öffentlichen Verkehrsmitteln hat, kann einen Fahrer bekommen. Wer nicht in Kliniknähe übernachten will, kommt eben früh morgens und wird möglichst schnell behandelt. Das funktionierte alles bislang wunderbar. Wir haben von vielen Spendern sogar gehört: "Es ist schön, dass man während dieser Coronazeit zumindest etwas Gutes tun kann und nicht nur nutzlos zu Hause sitzt."
Wie kann man auch jetzt helfen?
Gesunde Menschen zwischen 17 und 55 Jahren können sich jederzeit das Registrierungsset nach Hause bestellen und sich vom Sofa aus registrieren, durch eine Speichelprobe auf einem Wattestäbchen. Wer noch mehr Leute zum Spenden animieren will, kann auch virtuell mit uns zusammen Aktionen auf die Beine stellen. Einige Sportvereine und Unternehmen haben das zusammen mit uns bereits getan und eigene Registrierungsaktionen ins Leben gerufen. Wir freuen uns über jeden, der sich für die DKMS engagiert und sich als Stammzellenspender registriert – gerade jetzt haben die kranken Menschen diese Hilfe nötig. Für sie ist es oft die einzige Chance zu überleben.
(jd)