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Kita: Der Einfluss von Corona auf unsere Kinder – und was wir tun sollten

Bei der Frage ob, wann und wie ihre Kinder fremdbetreut werden, sollten Eltern auf ihr Bauchgefühl hören, fordert die Autorin Nora Imlau.
Bei der Frage ob, wann und wie ihre Kinder fremdbetreut werden, sollten Eltern auf ihr Bauchgefühl hören, fordert die Autorin Nora Imlau.bild: getty images/liderina
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Wie Corona die Bindungsfähigkeit unserer Kinder beeinflusst hat

08.08.2022, 17:04
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Nora Imlau ist eine der bekanntesten Erziehungsratgeberinnen für Kinder. In ihrem neuen Buch "In guten Händen: Wie wir ein starkes Bindungsnetz für unsere Kinder knüpfen" beschäftigt sich die Journalistin, Buchautorin und vierfache Mutter mit der Frage, welche Art von Betreuung und Bindungen unsere Kinder brauchen und wie man Eltern entlasten könnte.

Im Gespräch mit watson erzählt sie, wie Corona Kinder geprägt hat, was Eltern jetzt von der Gesellschaft brauchen und warum man sich Großeltern auch einfach leihen kann.

Nora Imlau ist Mutter von vier Kindern und Buchautorin für bedürfnisorientierte Erziehung.
Nora Imlau ist Mutter von vier Kindern und Buchautorin für bedürfnisorientierte Erziehung.bild: nessi gassmann

Watson: Frau Imlau, Sie geben in Ihrem neuen Buch unter anderem Tipps zur Wahl der richtigen Kita. Geht das nicht ein bisschen an der Realität vorbei? Gerade in großen Städten ist man froh, wenn man überhaupt eine freie Kita findet.

Nora Imlau: Es gibt tatsächlich genau dazu auch ein Kapitel im Buch. Da ist es wichtig, sich klar zu werden, dass Betreuung trotzdem gut laufen kann, weil wir auch einen gewissen Vorschuss an Vertrauen gegenüber Kitas haben können. Wir brauchen für unsere Kinder keine perfekte Kita, genauso wenig wie Kinder perfekte Eltern brauchen. Kinder verzeihen durchaus die eine oder andere Unvollkommenheit, solange grundsätzlich die Haltung stimmt und die Erzieherinnen und Erzieher zugewandt und freundlich mit den Kindern umgehen. Das ist das A und O.

Worauf kommt es dann an?

Dann ist wichtig, im Vorfeld mit der Einrichtung einmal die Basics durchzusprechen, die einem selbst besonders wichtig sind. Ich habe im Buch geschrieben, und das will ich auch jetzt so wiederholen, dass die meisten Kitas gut sind, auch wenn sie nicht perfekt sind.

"Wenn ich keine Wahl habe, habe ich eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, dass mein Kind super bis okay betreut wird."
Nora Imlau

Woher nehmen Sie dieses Vertrauen, dass Ihr Kind in der Kita gut aufgehoben ist?

Wir wissen aus der sogenannten Nubek-Studie – die größte Qualitätsstudie zum Thema Kita, die es in Deutschland gibt – dass ungefähr zehn Prozent aller Einrichtungen in Deutschland hervorragende Betreuungsqualität leisten. 80 Prozent sind irgendwo im Mittelfeld und 10 Prozent aller Kitas sind so schlecht, dass sie eigentlich sofort geschlossen gehören, weil sie wirklich kindeswohlgefährdende Zustände haben. Und wenn ich keine Wahl habe, habe ich also eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent, dass mein Kind super bis okay betreut wird.

Zehn Prozent schlechte Kitas – das hört sich aber nicht unbedingt nach wenig an.

Es gibt eben auch die zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass das Kind in einer schlechten Kita ist. Ich weiß, dass es schwer ist, wenn man einen hohen Betreuungsdruck hat: Aber gerade wenn ich keine Wahl hatte, sollte ich bei der Eingewöhnungszeit und in der ersten Kitazeit besonders aufmerksam sein. Falls mein Kind in einer wirklich schlechten Kita gelandet sein sollte, darf ich nicht die Augen verschließen.

Eine Kita braucht weder Waldorf- noch Montessori-Konzept, um gut zu sein.
Eine Kita braucht weder Waldorf- noch Montessori-Konzept, um gut zu sein.bild: getty images

Kleine Kinder können ja noch nicht gut sprechen. Wie kann man das überhaupt herausfinden?

Es ist wichtig, bei der Eingewöhnung mit offenem Blick dabei zu sein und nicht nur zu schauen, wie mit mir oder meinem Kind gesprochen wird. Sondern: Wie verhalten sich die anderen Kinder in der Kita? Bewegen sie sich frei und selbstbewusst? Wenn die Kinder sehr verschüchtert und zurückgezogen wirken und die Kinder sich nicht trauen, mit den Erzieherinnen in Kontakt zu gehen: Das wären so Alarmsignale. Die Erwachsenen mögen sich vielleicht besonders Mühe geben, wenn andere Erwachsene im Raum sind, aber die Kinder verhalten sich in der Kita so, wie sie sich in der Kita fühlen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch die Wichtigkeit von Bindungen für Kinder. Wegen Corona waren aber viele Kitas lange geschlossen. Wie hat sich das auf die Bindungsfähigkeit ausgewirkt?

Interessanterweise gibt es eine Studie aus Kanada, dass die Bindung zwischen Eltern und Kindern während der Kontaktbeschränkungen sogar besser geworden ist. Aber gleichzeitig kann man nachweisen, dass das Bindungsnetz von Familien während der Kontaktbeschränkungen sehr klein geworden ist. Viele Kinder haben fast nur ihre Eltern gesehen, waren teilweise wochenlang nicht in der Kita, obwohl sie schon eingewöhnt waren. Das ist extrem ungünstig für den Bindungsaufbau, wenn man immer wieder bei Null anfängt. Viele Eltern haben mir gesagt, dass dadurch Eingewöhnungen sehr viel länger gedauert und die Kinder sich sehr viel schwieriger eingefunden haben. Auch die Eltern selbst hatten das Gefühl, schwerer loslassen zu können, weil sie selbst zu den Erziehern gar nicht so einen Draht bekommen haben.

"Es geht mir konkret darum, Eltern und Kindern zuzurufen: Ihr müsst nicht alles miteinander alleine schaffen."
Nora Imlau

Wie hat sich das konkret bei den Kindern geäußert?

Viele Kinder haben heute mehr soziale Ängste und Schwierigkeiten, eine Beziehung mit anderen Menschen außerhalb ihrer engsten Kernfamilie aufzubauen. Denn Corona-Babys und -Kleinkinder kennen diese beiläufigen Interaktionen im Supermarkt oder auf dem Spielplatz nicht.

Kann das die Fähigkeit, Beziehungen einzugehen, dauerhaft schädigen?

Bindungen lassen sich immer reparieren. So eine Bindung ist nichts Statisches, was einmal entsteht und dann ist es gut oder schlecht und bleibt für immer so. Bindung entsteht aus unzähligen Interaktionen, aus ganz vielen Erfahrungen. Und es ist zum Glück in der kindlichen Entwicklung nicht so, dass sich für den Aufbau eines Bindungsnetzes ein Zeitfenster nach ein oder zwei Jahren wieder schließt.

Im Idealfall gehen Kinder gerne in die Kita oder in die Schule.
Im Idealfall gehen Kinder gerne in die Kita oder in die Schule.bild: getty images

Sie schreiben, man solle ein "Bindungsdorf" aufbauen für die Kinderbetreuung, weil es schwer ist für Eltern, alles allein zu schaffen. Aber was, wenn Freunde und Großeltern kein Interesse am Kind haben?

So ein Bindungsnetz oder Bindungsdorf soll kein weiterer Stresspunkt der To-Do-Liste sein. Es geht mir konkret darum, Eltern und Kindern zu sagen: Ihr müsst nicht alles miteinander allein schaffen. Und es ist sehr verschieden, wie so ein Bindungsnetz aussehen kann. Ob groß oder klein, das sind alles gleichwertige Optionen. Ich finde es aber wichtig, dass wir uns einmal als Eltern die Frage stellen: Was für ein Bindungsnetz selbst wäre mein Ideal, was würde mir wirklich Kraft geben? Dann muss ich eine Bestandsaufnahme machen. Wenn ich keine Großeltern habe, gibt es beispielweise Wunsch-Großeltern, wo alleinstehende oder ältere Menschen, die noch Ressourcen haben, eine Familie unterstützen. Da können ganz wertvolle Beziehungen draus erwachsen.

Man sagt immer wieder, Kinder und Familien sind die Verlierer der Pandemie. Wie könnte man Ihrer Meinung nach die Überlastung von Familien verbessern?

Familienpolitisch finde ich die sinnvollste Maßnahme, auf ein Arbeitszeitkonten-Modell umzustellen. So können Männer und Frauen Stunden ansammeln und dann in der Zeit, wo sie zum Beispiel auf kleine Kinder aufpassen, beide nur 50 oder 60 Prozent arbeiten. Und irgendwann später, wenn die Kinder aus dem Haus sind, wieder mehr arbeiten. Der Begriff dafür ist "atmende Lebensläufe". Warum wird eigentlich in unserer Gesellschaft erwartet, dass wir statisch 40 Stunden die Woche arbeiten, egal ob wir 28 sind oder 58? Und egal, ob wir gerade kleine Kinder zu versorgen haben oder vielleicht Eltern pflegen oder gerade ganz viel Raum und Kraft haben?

Also sozusagen ein Vorarbeiten für eine Zeit, in der man wegen Familie oder Pflegearbeit mal weniger Zeit hat?

Es wäre optimal, wenn die Wochenarbeitszeit insbesondere für Eltern in der Familienphase sinken könnte und die Familien trotzdem ein Einkommen hätten, von dem sie leben können. Das wäre familienpolitisch aus meiner Sicht die größte Entlastung überhaupt: dass Familien mehr Zeit miteinander haben. Es ist gesamtgesellschaftlich wichtig, dass wir ein Augenmerk darauf lenken, dass Familie und Kinder kein Privatvergnügen sind. Sondern, dass wir als Gesellschaft auch gemeinsam Verantwortung tragen für eine nachwachsende Generation.

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