Die Misere begann mit der Corona-Pandemie und endet damit, dass viele Kinder in nun nicht schwimmen können. Wie bei so vielen Bereichen unseres Lebens, offenbarte das Virus gnadenlos die Schwachstellen und Risse im System, die zu lange ignoriert wurden.
Der ohnehin bestehende Mangel an Bädern und Schwimmkursen verschärfte sich mit ihrer Schließung aufgrund der Corona-Pandemie. Viele Monate lang fiel der Schwimmunterricht aus. Nun sind die Bäder zwar wieder offen, doch vielerorts fehlt es an Personal.
Denn viele Schwimmlehrer, Bademeister und Rettungsschwimmer suchten sich während der Pandemie neue Jobs und wollen wegen der unsicheren Arbeitslage nicht zurückkommen. Die Folge in einigen Städten: weiterhin geschlossene Schwimmbäder.
Doch das ist nicht der einzige Grund für die missliche Lage der Bäderlandschaft. Aktuell treibt der Gasmangel die Heizkosten in die Höhe. Viele Schwimmbäder können sich das Heizen des Wassers nicht mehr leisten und bleiben deshalb geschlossen.
Wie gefährlich die Folgen dieses Bädermangels werden könnten, weiß Alexander Gallitz, Schwimmlehrer und Präsident des Deutschen Schwimmlehrerverbands DSLV.
Im Gespräch mit watson sagt er:
Heißt konkret: Es gibt nicht genügend Schwimmkurse für die vielen Kinder, die seit zwei Jahren auf einen Platz warten, um endlich schwimmen zu lernen.
Gallitz sagt:
Doch hingeschaut werde laut Gallitz immer erst, wenn es zu spät ist: "Dieses Phänomen haben wir seit 20 Jahren. Sobald die ersten schönen Tage sind, laufen bei uns die Telefone heiß." Vorher werde daran kein Gedanke verschwendet, dass das Kind schwimmen lernen sollte.
Viele Eltern würden meist nicht begreifen, dass sie ihre Kinder schon ein Jahr vorher für den Schwimmkurs anmelden müssen. "Wenn die Kinder sieben, acht oder neun Jahre alt sind, ist es viel zu spät, dann sind die Ängste vor dem Wasser schon gefestigt."
Doch es fehlt an ausreichend Bädern in der Bundesrepublik, um Unterricht für alle Kinder anzubieten. "Es war jetzt etwa zwei Jahre Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, aber es ist nicht viel passiert beim Bau von Schwimmbädern oder der Restaurierung", sagt Gallitz anklagend. "Selbst wenn wir neue Schwimmbäder bauen, dauert das mindestens zwei, drei Jahre."
Die Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für das Badwesen (DGfdB) sagt auf Nachfrage von watson:
In Bayern, erzählt Gallitz, sollen 250 Bäder renoviert werden. Dafür seien 120 Millionen Euro für sechs Jahre zur Verfügung gestellt worden. "Das sind jedes Jahr 20 Millionen, davon können gerade mal drei Bäder renoviert werden."
Renovierungsbedarf haben deutlich mehr Bäder. Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen (DGfdB) zur Infrastruktur der Bäder im Jahr 2019 wird bei fast einem Drittel (32 Prozent) der Bäder der bauliche Zustand als höchstens "ausreichend" oder sogar als "mangelhaft" bezeichnet.
Schwimmbäder sind mit Reinigung, Unterhalt, Personal und Beheizung oft ein Minusgeschäft für den Betreiber. Bereits 2019 wurde zu jedem zehnten Bad (9,9 Prozent) eine Schließungsdiskussion geführt. Denn die oft günstigen Ticketpreise decken nur einen Bruchteil der Kosten.
Auf der Website der DGfdB heißt es: "Die von den Kommunen direkt oder indirekt betriebenen Bäder [...] in Deutschland arbeiten praktisch ausnahmslos nicht kostendeckend." Der Zuschussbedarf der Bäder beträgt ungefähr zwischen vier und fünf Euro pro Besucher.
Dabei braucht Deutschland mehr Schwimmbäder und nicht weniger. "Das ist eigentlich ein Witz. Selbst in Bayern gibt es Regionen, da ist innerhalb von 50 Kilometern kein Schwimmbad. Wie soll das funktionieren?", fragt Gallitz und hat gleich einen Vorschlag parat.
Eine Taskforce brauche es, die sich überlegt, wie man das Geld sinnvoller einsetzen könne und um "Möglichkeiten zu finden, wie wir auch Leuten das Schwimmen lehren können, die aus strukturschwachen Gebieten kommen". Diese Taskforce könne beispielsweise auch Intensiv-Schwimmerwochen in den Ferien anbieten. "Dann fährt man eine Woche ins Schwimmcamp und nicht an die Ostsee", sagt Gallitz.
Nach zwölf Unterrichtseinheiten seien "die Kinder zumindest so weit, dass sie nicht mehr untergehen." Hoffentlich. Denn es komme durchaus auch vor, "dass Seepferdchen verschenkt werden", so der DSLV-Präsident.
Wenn der Schwimmunterricht als Seepferdchenkurs ausgeschrieben würde, erwarteten die Eltern auch, dass ihre Kinder am Ende das Abzeichen erhielten – egal ob es fünf Meter schwimmen könne, zehn oder 20 Meter. Die Realität aber sieht anders aus: "Ich warne schon seit Jahren davor, dass das [Seepferdchen-Abzeichen] nicht bedeutet, dass das Kind sicher schwimmen kann."
Für mehr Kurse wie den von Gallitz vorgeschlagenen Sommer-Intensivkurs braucht es aber mehr Schwimmlehrer. Und diese haben den Beruf nicht nur während der Pandemie verlassen. Auch der Nachwuchs fehlt, weil es zu wenige Ausbildungen für Rettungsschwimmer gibt: "In einer riesigen Stadt wie Nürnberg findet genau ein Ausbildungslehrgang statt, mit 20 Leuten", erzählt Gallitz.
Wenn es keine Rettungsschwimmer gibt, können auch keine Schwimmlehrer ausgebildet werden: Der Rettungsschwimmer-Schein ist die Voraussetzung dafür, Schwimmlehrer zu werden. "Das macht einen riesigen Teufelskreislauf auf."
Denn mehr Kurse für Rettungsschwimmer können wiederum nicht angeboten werden, weil selbst das Personal zur Ausbildung von neuem Personal fehlt: "Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, Leute auszubilden, weil wir wiederum die Ehrenamtlichen nicht haben", erzählt der Schwimmlehrer. Der Großteil der Helfer bei Vereinen wie der Wasserwacht und DRLG sind Ehrenamtliche. Nach Feierabend mehrere Stunden lang am Becken zu stehen, wolle sich aber kaum einer mehr zumuten.
Die Politik will helfen, weiß scheinbar aber nicht, wie. In Bayern verteilte die Regierung im Herbst 2021 über 200.000 Gutscheine für Seepferdchen-Schwimmkurse an die Schüler und Schülerinnen. Gallitz spricht von "einem Tropfen auf dem heißen Stein".
Nur zehn Prozent dieser Gutscheine seien eingelöst worden. Zum einen, weil sie nur für Erstklässler galten, obwohl selbst ältere Schulkinder noch nicht schwimmen können. Zum anderen waren sie nicht in allen Schwimmschulen einlösbar und die Schwimmkurse sind sowieso ausgebucht. Da helfen auch Gutscheine nicht.
Das Problem sei vielschichtig, sagt Gallitz:
Dabei sind politische Initiativen wie in Bayern noch die Ausnahme. Meist ignoriere die Politik das Problem:
In Deutschland gibt es mehrere Schwimmverbände, die seit Jahren zerstritten seien, wie Gallitz erzählt. In anderen Ländern wie der Schweiz und Spanien gebe es dagegen nur einen Schwimmverband "und die haben alle wesentlich weniger Probleme".
Einfach ist das alles nicht zu lösen. Gallitz' Prognosen für die kommenden Jahrzehnte sind düster, obwohl er sich selbst als Optimist bezeichnet. Sollten die Kinder des aktuellen Jahrgangs allerdings in zehn Jahren nicht richtig schwimmen können, würde das Personal in den Bädern und an den Badeseen mit Rettungseinsätzen überfordert werden.
Aus diesem Grund fordert Gallitz letztlich: "Wir müssen die Bäder wieder gesellschaftspolitisch in den Fokus stellen."