Viele Studierende arbeiten: Der Chef der Jobbörse Jobvalley kritisiert bürokratische Hindernisse.bild: picture alliance / photothek
Interview
17.07.2022, 13:4917.07.2022, 14:34
Jeder dritte Studierende ist von Armut betroffen. Das ergab eine aktuelle Expertise der Paritätischen Forschungsstelle (Daten des Sozio-ökonomischen Panels 2022 und Deutsches Studentenwerk). Die Politik reagierte und setzte kürzlich eine Bafög-Reform in Kraft. Der damit angehobene Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, der ab Oktober in Kraft tritt, soll Entlastung schaffen. Aber reicht das?
Eckhard Köhn ist CEO der Online-Jobbörse Jobvalley, die arbeitssuchende Studierende mit Unternehmen zusammenbringt. Im watson-Interview erzählt er, warum Mindestlohn und Bafög-Reform nicht die gewünschten Verbesserungen bringen und was sich stattdessen ändern muss.
Eckhard Köhn ist CEO des Online-Jobportals Jobvalley bild: jobvalley
watson: Herr Köhn, ein Großteil der Studierenden verdient bereits jetzt mehr als zwölf Euro die Stunde. Wird die Erhöhung des Mindestlohns überhaupt etwas ändern?
Eckhard Köhn: Die Anhebung des Mindestlohns ändert für Studierende erst einmal nichts an ihrer finanziellen Situation. Bei über Jobvalley gewählten Jobs liegt der Stundenlohn von studentischen Arbeitskräften in fast allen Fällen schon immer weit über dem Mindestlohn – das zeigt auch unsere Studienreihe "Fachkraft-2030", die wir seit zehn Jahren zusammen mit dem Department of Labour Economics der Maastricht University durchführen. Aufgrund des bereits ohnehin überdurchschnittlichen Lohnniveaus in vielen Studi-Jobs, wird die Anhebung auf zwölf Euro ab Oktober die meisten Unternehmen nicht in Zugzwang bringen.
Gibt es dennoch Ausnahmen?
In einzelnen Bereichen wie zum Beispiel bei kleineren Einzelhändlern, in Ausnahmefällen in der Logistik, Fahrer*innen oder Inventurhilfen werden noch unter zwölf Euro pro Stunde bezahlt (11,66 Euro). Diese Jobs könnten dann ab Oktober an Attraktivität bei Studierenden gewinnen.
Das Lohnniveau bei Studierendenjobs steigt parallel zum aktuellen Mindestlohn und lag bisher auch immer darüber.quelle: jobvalley
Der neue Mindestlohn kann also auch für Unternehmen von Vorteil sein?
In Anbetracht des allgegenwärtigen Personalmangels wäre das eine Chance für die entsprechenden Branchen. Insgesamt zahlt die Mindestlohnerhöhung vor allem auf die soziale Gerechtigkeit innerhalb der Unternehmen ein. In manchen Fällen wird so die Lücke zwischen dem Stundenlohn der Studierenden und dem anderer Arbeitnehmer*innen reduziert, was das Betriebsklima verbessert und im besten Fall die Motivation des gesamten Teams stärkt. Das ist in jedem Fall begrüßenswert. Darüber hinaus ist Studierenden jedoch mit einer Flexibilisierung von Arbeit und Studium sowie einem Bürokratieabbau mehr geholfen.
Leben Studierende heute wirklich ärmer als noch vor 20 Jahren?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, denn wir sehen im Rahmen der "Fachkraft-2030" (Anm. d. Red. Jobvalley-Studienreihe zur wirtschaftlichen und allgemeinen Lebenssituation von Studierenden), dass sich das monatliche Gesamtbudget von Studierenden seit 2013 stetig erhöht hat. bis auf eine Delle im Corona-Jahr 2020. Studierende hatten 2021 im Durchschnitt knapp 858 Euro pro Monat zur Verfügung. 2013 waren es hingegen noch rund 684 Euro. Allerdings muss man natürlich beachten, dass die Lebenshaltungskosten über die Jahre genauso gestiegen sind.
"Die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro, die im September ausgezahlt werden soll, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein."
Inwiefern erschwert die Inflation die Situation in der Zukunft?
Die momentane Lage ist insbesondere für Menschen mit mittlerem oder geringem Einkommen, zu der Studierende gehören, besonders belastend und ein Blick in die Zukunft erscheint in Anbetracht der extrem dynamischen, politischen Lage in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und dem bevorstehenden Pandemie-Winter, wie ein Blick in die Glaskugel. Hier tun sich selbst erfahrene Wirtschaftsexpert*innen schwer.
Womit müssen Studierende rechnen?
Fakt ist vor allem, die explodierenden Energiepreise belasten den angespannten Wohnungsmarkt zusätzlich, die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro, die im September ausgezahlt werden soll, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Seit 2013 zeigt sich ein rasanter Anstieg der Mietpreise auf dem deutschen Wohnungsmarkt.Quele: jobvalley
Wie hat die Mietsituation in deutschen Städten die Lage für Studenten verschärft?
Die Mietpreise stiegen und steigen nach wie vor um drei bis fünf Prozent pro Jahr und auch bei den Studienkosten zahlten Studierende 2020 allein 25 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Diese Preissteigerungen muss das studentische Budget erst einmal verkraften, insbesondere da die Bafög-Bedarfssätze zwar regelmäßig überprüft werden, aber nicht proportional zu den Teuerungen ansteigen.
Ist die Bafög-Reform daher sinnlos?
Die Bafög-Reform ist wie so oft gut gemeint, aber an vielen Stellen nicht gut gemacht und wird daher wahrscheinlich nicht die angestrebte Wirkung in der Praxis entfalten. Zwar ist die Anhebung der Freibeträge ein Schritt in die richtige Richtung, die Fördersätze bleiben mit einer Erhöhung von gerade einmal fünf Prozent jedoch deutlich zu niedrig und kompensieren noch nicht einmal die derzeitige Inflation, die vermutlich noch einige Zeit anhalten könnte.
Können Sie das ausführen?
Die Reform hilft nicht gegen die Verschuldungsängste vieler junger Menschen, die deshalb erst gar kein Studium beginnen, obwohl sie einen Förderanspruch hätten. Hier muss dringend das Verhältnis von Darlehen und Förderung, die nicht zurückgezahlt werden muss, angepasst werden.
"Wer mehr arbeiten kann und will, sollte das dürfen, ohne seine Privilegien bei den Sozialversicherungen zu verlieren."
Was noch?
Abseits des Bafögs muss einiges passieren, um Studierende künftig besser vor Armut zu schützen. Hier wäre die Liberalisierung der studentischen Arbeit eine entscheidende Weichenstellung. So sollte die Begrenzung auf 20 Wochenstunden aufgehoben werden. Wer mehr arbeiten kann und will, sollte das dürfen, ohne seine Privilegien bei den Sozialversicherungen zu verlieren. Zudem sollte der Steuerfreibetrag von derzeit knapp 10.000 Euro pro Jahr erweitert werden, sodass Studierende auch oberhalb dieses Betrags weiterhin von der Einkommenssteuer befreit sind. Und auch der Bafög-Freibetrag für Einkünfte aus einem Nebenjob, der nach der neuen Reform auf 330 Euro pro Monat ansteigt, ist zu gering.
Also gibt es zu viele bürokratische Hindernisse?
Genau. Studierende sollten keine Einbußen beim Bafög haben, nur weil sie zwischenzeitlich mehr arbeiten bzw. verdienen als vorgesehen. Studentische Arbeit folgt nicht der gleichen Stabilität wie die Beschäftigung von ausgelernten Arbeitnehmer*innen. Wird in den Semesterferien bis zu 30 Stunden pro Woche gearbeitet, nimmt die Zahl der Wochenstunden rapide ab, wenn es auf die Prüfungsphase zugeht oder die Abschlussarbeit ansteht. Gute Verdienstmöglichkeiten und ein hoher Arbeitseinsatz sind also kein Dauerzustand. Das muss beim Bafög und auch bei der Einkommenssteuer-Obergrenze stärker berücksichtigt werden.
"Ein Grunderbe als finanzielle Absicherung oder Startkapital könnte unternehmerischen Geist unter Absolventen fördern und ihnen die Freiheit geben, eine Karriere zu starten, die sie wirklich erfüllt."
Könnte das aktuell diskutierte staatliche Grunderbe die Lösung sein?
Die Idee eines Grunderbes geht in eine ähnliche Richtung wie das bedingungslose Grundeinkommen. Das ist grundsätzlich ein vernünftiger Ansatz um Chancengleichheit zu fördern, allerdings muss darauf geachtet werden, dass es keine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip gibt, sondern nur den jungen Menschen zu Gute kommt, die nicht ohnehin schon durch ihre Familie unterstützt werden. Dann könnte ein Grunderbe als finanzielle Absicherung oder Startkapital durchaus mehr unternehmerischen Geist unter Ausbildungs- oder Studienabsolventen fördern und ihnen die Freiheit geben, eine Karriere zu starten, die sie wirklich erfüllt.
Staatliches Grunderbe
Bei dem sogenannten Grunderbe gäbe es für jeden 20.000 Euro zum 18. Geburtstag. Ziel ist es, soziale Ungleichheiten auszugleichen und mit Kapital in die Berufswelt starten zu können. So könnten junge Menschen eher berufliche Träume verfolgen, ohne diese von Gehalt abhängig machen zu müssen. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, hatte mit diesem Vorschlag kürzlich für Schlagzeilen gesorgt.
Manchmal braucht es nur einen bestimmten Tonfall oder eine Geste, um einen wahren Sturm der Gefühle auszulösen, der uns wie ein Hurrikan mitreißt und jede Vernunft auf dem Weg niedermäht wie Ferienhäuser in Florida.