In jeder langjährigen Beziehung gibt es Phasen, in denen die Partner nicht ganz auf einer Wellenlänge sind. Vielleicht willst du gerade besonders viel unternehmen, dich mit Freunden treffen, deinen Hobbys nachgehen – und dein Partner braucht gerade ganz viel Zeit für sich allein.
Oder ihr habt gerade so viel Stress in der Arbeit, dass ihr gar keine Zeit mehr habt, abends gehaltvolle Gespräche zu führen. Vielleicht kommen auch noch Kinder hinzu, die zusätzlich eure Zeit beanspruchen.
Es ist ganz normal, wenn du in deiner Beziehung nicht die ganze Zeit an deinem Partner klebst und super verliebt bist. Wenn ihr euch allerdings ständig gegenseitig auf Distanz haltet, weder schöne noch konfliktreiche Zeiten miteinander teilt oder du gar merkst, dass dein Partner eigentlich keine wesentliche Rolle mehr für dich spielt, hast du die Beziehung vielleicht schon beendet. Innerlich zumindest.
Laut der Paartherapeutin Diana Boettcher kann es durchaus sein, dass Beziehungen so verlaufen: viel emotionale Distanz, keine Konflikte. Das kann funktionieren. Tut es oft allerdings nicht.
Woran du merkst, dass du mit deinem Partner vielleicht schon innerlich Schluss gemacht hast und was du tun kannst, um den Zustand zu ändern – darüber hat watson mit Boettcher gesprochen.
watson: Innerlich Schluss machen, aber offiziell in der Beziehung bleiben – gibt es das überhaupt?
Diana Boettcher: Ja. Meine Kollegen und ich nennen das allerdings "emotionale Entkopplung". Dabei bleiben die Partner auf der Kopfebene zusammen, entfernen sich allerdings gefühlsmäßig voneinander.
Woran merke ich, dass ich mich von meinem Partner emotional entkoppelt habe?
Zum Beispiel daran, dass ich ihm oder ihr gegenüber resigniert bin. Wenn der Partner allerdings noch gefühlsmäßig mit mir verbunden ist, verletzt ihn die emotionale Distanz. Ich reagiere emotional nicht mehr auf ihn, weder im positiven noch im negativen Sinne. Das kann also auch bedeuten, dass keine Konflikte mehr in der Beziehung entstehen.
Weniger Streit – das klingt ja eigentlich gar nicht so schlecht?
Es gibt Beziehungen, die so funktionieren. Am Ende muss jeder für sich entscheiden, ob so eine Partnerschaft klappt. Wenn die Partner sich wohler fühlen, indem sie Konflikte vermeiden, würde ich das von Außen auch gar nicht bewerten: "Das machen Sie aber falsch."
Aber?
Tendenziell fühlen sich viele Menschen allerdings nicht gut, wenn sie mit ihren Partnern gar keine Konflikte haben. Viele Studien zeigen: Beziehungen leiden oft, wenn es besonders viel Streit gibt – oder gar keinen.
Viele Menschen beschweren sich, dass ihre Beziehung eingeschlafen ist. Ist das dasselbe wie emotionale Entkopplung?
Das kann ich pauschal nicht sagen. In der Praxis erlebe ich allerdings manchmal Paare, die berichten, dass sie sich leer und einsam in der Beziehung fühlen, aber gerne an dem Zustand arbeiten und die Partnerschaft wiederbeleben möchten. Das ist ein Indikator dafür, dass die Partner noch nicht emotional voneinander entkoppelt sind, sondern die Beziehung eher zeitweise eingeschlafen ist.
Erleben Sie es häufig, dass Menschen in Paarbeziehungen innerlich Schluss gemacht haben, obwohl sie offiziell zusammen bleiben?
Es kommt sehr häufig vor. Das hängt damit zusammen, dass viele Paare erst in die Therapie kommen, wenn es fast schon zu spät ist. Das ist ein bisschen so wie beim Zahnarzt früher: Heutzutage gehe ich zur Vorsorge, bevor etwas Schwerwiegendes passiert. Damals erst, wenn der Zahn schon richtig weh getan hat. Oft konnte der Arzt den Zahn noch retten, vielleicht brauchte er eine Wurzelbehandlung, manchmal musste er ihn ziehen. Mit Beziehungen in der Therapie ist das ähnlich.
Was können Paare tun, damit sich nicht zu viel anstaut?
Ich empfehle immer, rechtzeitig einen Experten aufzusuchen, auch zur Beziehungspflege. Im schlimmsten Fall können sich in der Partnerschaft sonst so viele Verletzungen anstauen, die sich nicht mehr relativieren lassen.
Was sind mögliche Anzeichen dafür, dass ich innerlich Schluss gemacht habe?
Ein mögliches Anzeichen ist, dass ich keine Zeit mehr mit meinem Partner verbringen will, entweder bewusst oder unbewusst. Ein anderes, dass ich mich über meinen Freund oder meine Freundin nicht mehr aufregen kann. Denn auch in einer gesunden Beziehung kann mein Partner mich mal nerven. Das können wir dann allerdings kommunizieren und den Konflikt austragen, das hält eine gesunde Partnerschaft aus. Ein anderes Merkmal, dass ich mich emotional entkoppelt habe, könnte sein, dass ich mich leer fühle oder sogar einsam – obwohl mein Partner bei mir ist.
Warum mache ich denn nicht richtig Schluss, sondern verharre in diesen Zustand?
Die Gründe dafür sind sehr individuell. Einer könnte Gewohnheit sein. Vielleicht kümmere ich mich auch um andere Felder, die für Spannung sorgen und mich auslasten, zum Beispiel mein Job oder die Kinder. Manchen ist es auch wichtiger, eine sichere Beziehung zu haben. Diese Menschen nehmen es dann in Kauf, dass die Partnerschaft nicht besonders emotional ist. Für andere ist das allerdings nicht genug.
Wieso?
Viele Menschen sehnen sich nach einer erlebbaren Bindung, in der sie spüren, dass sie für den anderen wichtig sind und mit dem Partner interagieren können. Auch ist es ganz unterschiedlich, wie lange Menschen so einen Zustand aushalten. Manche trennen sich nach wenigen Wochen, in denen sie die emotionale Entkopplung spüren. Andere bleiben dennoch jahrelang in der Beziehung.
Kann ich meine Beziehung noch retten, wenn ich innerlich Schluss gemacht habe? Oder kann ich mich dann nur noch offiziell trennen?
Wenn ich merke, dass mir meine Beziehung eigentlich total wichtig ist und ich sie wiederbeleben will, dann kann ich im ersten Schritt versuchen, das Gespräch mit dem Partner zu suchen. Das kann auch zunächst eine Kopfentscheidung sein. Wenn in der Partnerschaft nichts Gravierendes passiert ist, können die Gefühle zueinander wieder aufwachen. Gerade in einer gemeinsamen Therapie spürt man oft, wie viel Liebe für den anderen eigentlich noch da ist.