Mein Handy-Bildschirm blinkt auf. Ich lasse mich kurz von der Arbeit ablenken, schaue auf den Bildschirm und sehe den Absender der Whatsapp-Nachricht. Meine Reaktion: nichts. Ich mache meinen Handy-Bildschirm wieder dunkel und arbeite weiter. Viel gleichgültiger hätte ich auf die Nachricht nicht reagieren können.
Ein paar Wochen zuvor war das noch anders. Wenn mir – nennen wir sie Lisa – eine Nachricht geschrieben hat, habe ich mich gefreut. Natürlich haben wir uns in kalten Winterzeiten während der Pandemie über eine Dating-App kennengelernt. Nach ein paar Anlaufschwierigkeiten hatten wir relativ schnell den passenden Vibe gefunden.
Wir schrieben eigentlich ohne Pause. Bei besonders spannenden Themen nahmen wir uns sogar Zeit für Sprachnachrichten, die teilweise drei bis vier Minuten lang waren. Zweimal wollten wir uns treffen, doch irgendwas kam immer dazwischen. Und irgendwie veränderte das auch meine Stimmung. Und dabei konnte sie noch nicht einmal was dafür.
Ich hatte das Gefühl, schon alles von ihr zu wissen und sie zu kennen, ohne dass wir uns einmal getroffen haben. Ich glaube, das ist kein grundsätzliches Problem, das nur Männer haben. Zu viel Kontakt vor dem ersten Treffen kann auch schädlich sein.
Ich wollte der Sache wirklich eine Chance geben, aber in der Zwischenzeit hatte ich bereits eine weitere Frau kennengelernt – ohne bewusst danach zu suchen. Sie erschien mir dann plötzlich noch ein Stück interessanter. Vielleicht ist das aber auch einfach nur ein Zeichen, dass Lisa dann doch nicht die Richtige war.
Doch ich traf mich trotzdem mit Lisa. Aber mit vollem Einsatz war ich da schon nicht mehr dabei. Ein netter Abend, ein paar Gläser Wein und das ein oder andere witzige Gespräch. Wirklich geflasht hat es mich am Ende aber nicht.
Natürlich ist diese Art Ghosting in abgeschwächter Form nicht die feine Art. Aber eine endgültige Lösung habe ich auch nicht. Ich habe schon gerne Kontakt mit ihr – nur eben nicht so exzessiv wie noch in den Wochen zuvor. Denn aus uns wird einfach nichts.
Prinzipiell gebe ich dir recht: Zu viel Kontakt vor dem ersten Date schadet mehr, als es hilft. Denn viele Themen, die man klassisch beim ersten Treffen abfrühstückt, sind dann schon besprochen. Es drohen also unangenehme Gesprächspausen und im schlimmsten Fall landet man am Ende noch beim Wetter. Aaaaber ...
Wenn ich jemanden durch eine Dating-App kennenlerne, dann möchte ich vorher mehr Kontakt haben als ein "Hallo" und ein "Was suchst du hier?". Ich will wissen, was das für ein Mensch ist, mit dem ich mich da auf ein Bier treffe.
Wenn sich rausstellt, dass er ein radikaler Impfgegner ist oder ein kleiner Chauvinist – dann möchte ich das gerne vorher wissen. Und meistens kann man das mit einem einigermaßen gesunden Menschenverstand recht schnell erkennen. Ob man am Ende dann tatsächlich Spaß zusammen hat und der Vibe stimmt, das kann man dann beim ersten persönlichen Treffen rausfinden. Aber ich filtere gern vorher, um vor Ort keine böse Überraschung zu erleben.
Ja, das leidige Thema mit fremden Männern aus dem Internet: Während die größte Sorge der Typen vor dem ersten Treffen die ist, dass sie hoffentlich genauso aussieht, wie auf ihrem Profilbild und kein Photoshop-Genie ist, überlegen wir Frauen tatsächlich, ob wir uns nicht vielleicht mit einem potenziellen Serienkiller treffen. Auch im Jahr 2022 überlegen wir uns meistens ganz genau, wo und mit wem wir uns treffen. Manchmal schicken wir sogar die Adresse an unsere Freundinnen und warnen sie vor, damit sie sich nach uns erkundigen, falls sie eine Zeit lang nichts von uns hören. Ja, so ist das leider.
Eine Freundin rief sogar unseren "Ältestenrat" zusammen, nachdem ein Typ sich partout geweigert hatte, sich vorher in der Öffentlichkeit zu treffen. Sie wollte von uns wissen, ob sie zu ängstlich sei. Die Antwort war: "Natürlich nicht!" Wenn er sich nicht die Mühe machen will, vorher ein Bier zu trinken und die Frau kennenzulernen, dann sollte er zu einer Professionellen gehen. Sie wird ihn sicherlich nicht vorher kennenlernen wollen.
Natürlich können wir allein durchs Schreiben nicht ausschließen, dass unser Date ein potenzieller Axtmörder ist – aber es gibt uns trotzdem ein Stück Sicherheit und das Gefühl, wir treffen uns nicht mit einem völlig Unbekannten.
Klar, drei Wochen am Stück täglich zu schreiben, kann auch einfach nur langweilig und irgendwann ermüdend sein. Irgendwann verliert man tatsächlich das Interesse und es ploppt ein anderes Match auf, das scheinbar besser passt. Aber ein wenig mehr als ein "Wie gehts?" und ein "Wann hast du Zeit?" darf es dann schon noch sein.
Deswegen, liebe Männer: Nehmt euch die Zeit und gebt der Frau ein gutes Gefühl – vor allem beim Online-Dating. Das erspart auch euch eine böse Überraschung beim ersten Date, denn so könnt ihr vorher herausfinden, ob es denn zumindest beim Thema Gesprächsfindung matcht.