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"Bitte habt Nachsicht": Warum wir Kita-Eltern am Rande des Zusammenbruchs sind

Erschöpfte Eltern wissen nicht mehr, wie sie weiter durchhalten sollen. (Symbolbild)
Erschöpfte Eltern wissen nicht mehr, wie sie weiter durchhalten sollen. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / dragana991
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"Bitte habt Nachsicht": Warum wir Kita-Eltern am Rande des Zusammenbruchs sind

07.04.2021, 14:5508.04.2021, 09:26
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In einigen Regionen Deutschlands sind die Kitas, nach einer kurzen Öffnung im März, nun wieder zurück in die Notbetreuung gegangen. So zum Beispiel auch in Hamburg, dem Bundesland, indem meine Kinder betreut werden. Wobei: Eigentlich sind sie bislang gar nicht mehr oft dagewesen.

Die beiden hatten nämlich gerade einmal eine Woche und zwei tränenreiche Abschiede in der Eingewöhnung hinter sich, als die Kitas im März 2020 zum ersten Mal geschlossen wurden. Sie kennen überhaupt keinen Normalbetrieb. Sie kennen auch keine Sommerfeste oder Laternenumzüge, das fiel alles pandemiebedingt aus.

Ein Jahr mit Notbetreuung

Schritt für Schritt wurde der neue Alltag der Kinder abgeschafft. Die Schließung der Kita ging einher mit der Aufforderung, doch bitte keine anderen Menschen mehr zu treffen, vor allem die Großeltern nicht. Gleichzeitig wurde man von der Stadt aufgefordert "alternative Betreuungsmöglichkeiten" zu finden. Was für ein Hohn.

Man fand sich damit ab. Beratschlagte mit dem Partner über Schichtdienste im Homeoffice, schaltete öfter Kinderserien auf dem iPad an, als für die Kleinen eigentlich gut ist und fiel abends erschöpft ins Bett. Sind ja nur zwei Wochen zu überbrücken, dachte man. Dann noch mal drei Wochen, die schafft man auch. Dann nochmal zwei Wochen, nun ja...

Als im Zuge der Kita-Schließungen dann die Nörgel-Stimmen laut wurden, dass die Spielplätze ja nun heillos überfüllt seien, richtige Pandemietreiber also, und auch dort, im Freien, die Maskenpflicht eingeführt wurde, wollte man insgeheim schreien: "Was denn noch? Wo sollen wir denn hin?" Es schrie aber keiner. Stattdessen blickte man am Klettergerüst aus zwei Meter Entfernung andere, müde Eltern über die FFP2-Maske an und sagte lächelnd: "Schon anstrengend, oder?"

Viel mehr bekam ich von meinen Leidensgenossen nicht mit. Bis jetzt: Denn vergangene Woche habe ich bei einem virtuellen Elternabend endlich einige von ihnen kennengelernt – und das sogar ziemlich intim...

Weinende Eltern in der Zoom-Konferenz

Am Morgen des Elternabends war eine Mail herumgeschickt worden, dass – Überraschung! – unsere Hamburger Kita nach gerade mal drei Wochen Normalbetrieb wieder in die Notbetreuung überging. Mit der Entschuldigung, man wisse, dass "diese Zeit Sie vor besondere Herausforderungen stellt".

"Ich sah gestandene Männer, breit wie das Display, mit Bart und Football-Cap, die leider nicht weitersprechen konnten, weil ihnen die Stimme wegbrach."

Wir kennen diese Mail schon auswendig und haben monatelang nichts dazu gesagt. Doch nach 14 (!) solcher Mails, sprang mich das fleischgewordene Eltern-Elend der Pandemie durch die Zoom-App meines Handys an. Und es war nicht schön.

Ich sah gestandene Männer, breit wie das Display, mit Bart und Football-Cap, die leider nicht weitersprechen konnten, weil ihnen die Stimme wegbrach. Eine andere Mutter weinte ungeniert vor den anderen etwa 30 Teilnehmern, mehrere Minuten lang. Einer weiteren Frau gelang es gar nicht mehr, die Fassung wiederzuerlangen, sie schaltete kurzerhand die Videofunktion aus, um sich nicht weiter zu demütigen. Die Leitung selbst hatte hörbar einen Kloß im Hals, als sie sagte: "Wir wissen doch auch nicht weiter." Der Chat am Rande stand still vor Schock. Das Ganze ging eine Stunde lang.

"Mein Kind hat seit November kaum andere Kinder mehr gesehen", sagte die weinende Mutter.

"Es sind seit Monaten immer nur dieselben Kinder in der Betreuung. Aber auch die Eltern, die nicht in der Daseinsvorsorge arbeiten, müssen doch Miete zahlen", sagte ein Vater, der permanent den Kopf schüttelte.

"Alle sprechen immer von den zusätzlichen Kinderkrankheitstagen. Aber die waren Ende Februar schon aufgebraucht. Was soll ich denn jetzt noch einreichen?", sorgte sich ein anderer, dessen Stimme immer höher wurde.

Die Leitung schwieg betroffen, im Kreuzfeuer einer Pandemie, die sie undankbarerweise zu organisieren haben. "So ist die Gesetzeslage", sagte sie immer wieder und "Wir müssen doch auch unsere Mitarbeiter schützen." Sichtlich bewegt sagte die Leiterin in die Runde: "Sie glauben nicht, wie viele solcher Anrufe mich jeden Tag erreichen. Ich hätte nie gedacht, dass Eltern jemals so emotional nackt vor mir stehen. Das tut auch mir weh." Es war wie eine spontane und erschreckende Therapiesitzung für Pandemie-Erschöpfte.

"Die Leitung schwieg betroffen, im Kreuzfeuer einer Pandemie, die sie undankbarerweise zu organisieren haben. 'So ist die Gesetzeslage', sagte sie immer wieder und 'Wir müssen doch auch unsere Mitarbeiter schützen.'"

Vorschläge wurden gemacht: Man könne die Kinder doch abwechselnd in die Kita lassen, damit jeder mal zwei Tage dran wäre (geht nicht aufgrund der Gesetzeslage). Man könne doch Vormittags- und Nachmittags-Gruppen versuchen (geht nicht aufgrund von Personalmangel). Es war verzweifelt. Und es war ergebnislos.

Nach einem Jahr sind die Reserven aufgebraucht

Die politischen Versuche, die Pandemie aufzufangen, sind immer noch dieselben wie vor zwölf Monaten: Notbetreuung, Lockdown, Durchhalten. Nur sind leider alle Reserven der Eltern um diese umzusetzen aufgebraucht – das Verständnis der Arbeitgeber, die Babysitter, die Geduld der Kinder und auch die eigene Kraft. DAS ist der Unterschied zum Frühjahr 2020.

Und bevor es jetzt wieder heißt (und das heißt es immer, weil einige Menschen anderen nicht einmal Traurigkeit gönnen): "Mimimiii, anderen geht es viel schlechter." Ja, anderen geht es schlechter, das wissen wir. Wie oft habe ich gehört: "Ein Schulkind wäre noch schlimmer" oder "Immerhin habe ich noch einen Job". Was der Grund ist, warum viele Eltern lange, sehr lange, durchgehalten haben.

"Ich ahnte, wie erschöpft auch andere Eltern insgeheim sind. Aber sie so geballt in die Kamera schluchzen zu sehen, war doch noch etwas anderes."

Aber jeder weiß: Wer lange aufstaut und schluckt, dem schießen die Wuttränen irgendwann ungefiltert und beim falschen Empfänger aus den Augen. Mir selbst passierte das im Winter, nach drei Wochen Homeoffice- und Kinderbetreuungs-Wahnsinn, mit wenig Duschen und wenig Schlaf, als eine Freundin sagte: "Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich bei Netflix gucken soll, voll blöd, dieses Corona..."

Die Politik hat keine Lösung, wir brauchen unsere Mitmenschen

Ich ahnte, wie erschöpft auch andere Eltern insgeheim sind. Aber sie so geballt in die Kamera schluchzen zu sehen, war doch noch etwas anderes. Es war erschreckend und gleichzeitig ein Trost, dass andere genauso ausgebrannt sind wie ich. Ich fühle mich schon seit Monaten, als sei ich ein Handy, das immer nur notdürftig auf 35 Prozent aufgeladen und dann aus der Ladestation gerissen wird, um direkt wieder in Betrieb zu gehen, bis es erneut leerläuft.

Die Lage lässt keine Erholung zu und daran lässt sich auch nichts ändern. Daher gibt es auch nichts Kluges dazu zu sagen, nur etwas Menschliches. Eine kleine Bitte aus einer kleinen Familie: Wer noch irgendwo ein wenig mehr Reserve hat, mehr als 35 Prozent, der sei bitte nachsichtig mit uns Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Wenn du die Arbeit von einem Kollegen auffangen musst, weil das Kind schreit, bitte lästere nicht in der Mittagspause darüber. Wenn du dich über den Krach der Nachbarskinder mitten am Tag ärgerst, bitte häng keine Zettel in den Flur. Und wenn du ein Mensch mit zu viel Zeit zum Netflixen bist, komm doch einfach mal zwei Stunden zum Babysitten vorbei.

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