Eine dreifache junge Mutter. Ein Vater, natürlich Raucher, der sich weigert, arbeiten zu gehen. Eine dreckige Wohnung, in der leicht verlotterte Kinder herumhüpfen. Dazu fallen Sätze wie: "Für 8,50 Euro pro Stunde geh ich nicht arbeiten."
Besser könnte man sich die Protagonisten von "Armes Deutschland" eigentlich nicht ausdenken. Muss man auch gar nicht, irgendwie finden die Produzenten von RTL 2 immer die richtigen Leute, die alle Klischees bedienen, die wir uns über Hartz-IV-Empfänger auch nur annähernd vorstellen können.
Bei uns zu Hause war es weder dreckig, noch hüpften unzählige Kinder durch die Gegend, wir hatten keine 30 Haustiere und niemand hat gesoffen oder geraucht.
Ich behaupte mal, dass die wenigsten Hartz-IV-Empfänger so leben, wie es bei RTL 2 dargestellt wird. Das Perfide ist: Man wird von der Sendung sehr offen dazu verleitet, manche der Protagonisten geradezu zu hassen. Die Botschaft ist klar: Arme Menschen sind faul, dumm, ungepflegt, kriminell – und nur dann zu akzeptieren, wenn sie die widrigsten Umstände auf sich nehmen, um nicht auf Staatskosten leben zu müssen.
Jetzt schaue ich solche Armutspornos wie "Armes Deutschland" natürlich mit einer gewissen Vorbelastung an, weil ich selbst schon einmal von Hartz IV gelebt habe: damals, als meine Eltern arbeitslos waren, aber auch als junge Erwachsene, kurz vor meinem Studium. Meine Mutter ist immer noch auf Hartz IV angewiesen. Und bei uns zu Hause ging es zufälligerweise weder wie bei den Flodders zu, noch hatte jemals irgendjemand von uns im Knast gesessen.
Trotzdem habe ich jetzt mal versucht, "Armes Deutschland" mit neuen Augen zu sehen. Was kann ich beim Schauen der Sendung über Hartz-IV-Empfänger lernen? Hier meine Erkenntnisse:
Bestes Beispiel: Das junge Paar Alex und Maria. Die 23-Jährigen haben drei Kinder und nehmen das als Rechtfertigung, nicht arbeiten zu gehen. Maria betont in der Sendung, dass eine Mutter zu sein schließlich der schwierigste Beruf der Welt sei (und da möchte ich, die keine Kinder hat, ihr nicht einmal widersprechen).
Deutlich unsympatischer kommt ihr Mann Alex weg, der meint, Arbeit in Deutschland lohne sich nicht. Dafür kümmere er sich um seine Familie:
Wenn Maria aber dann doch mal Unterstützung braucht, muss Alex rauchen gehen. Mit den Kindern spielt er dann doch nicht so gerne: "Ich hab da tagsüber überhaupt nicht den Kopf zu."
Nun wird Alex zu hundert Prozent sanktioniert, der Grund: Er hat keine vier Bewerbungen geschrieben. Ob eine Sanktion in diesem Fall hilft oder grundsätzlich sinnvoll ist – darüber lässt sich streiten. Trotzdem wird hier mit Alex gezeigt: Hartz-IV-Empfängern geht es viel zu gut, sie bemühen sich viel zu wenig, natürlich müssen die bestraft werden.
Auch wenn es Fälle wie den von Alex möglicherweise so gibt: Es verzerrt unsere Wahrnehmung von Langzeitarbeitslosen, wenn sie so prominent negativ ausgestellt werden. Die wahren Gründe für sein Verhalten werden nicht hinterfragt. Dafür kommen immer wieder wertende Kommentare aus dem Off, wie bequem Alex es sich in der sozialen Hängematte gemacht habe.
Da ist zum Beispiel der Fall Dennis: Der 39-jährige Hartz-IV-Empfänger, der selbst in der Sendung nicht zu Wort kommt, sitzt seit zwei Monaten hinter Gittern. "Angeblich wegen Schwarzfahrens", wie die Stimme aus dem Off nicht müde wird, leicht belustigt zu betonen (ja, tatsächlich kann man wegen Schwarzfahrens im Gefängnis landen).
Seine 25-jährige Frau Vanessa, ebenfalls Hartz-IV-Empfängerin, sitzt derweil mit zwei Kleinkindern allein zu Hause und versucht, ihren stressigen Alltag zu bewältigen. Komisch, dass sie gar nicht so viel über die Haftstrafe ihres Mannes sprechen mag. *Ironie aus.*
Auch Alex ist natürlich schon mal straffällig geworden: Mit 16 war er obdachlos und hat dann angefangen, Zigaretten- und Parkautomaten aufzubrechen, teils ist er auch in Kneipen eingebrochen. Deswegen saß er eineinhalb Jahre im Gefängnis.
Viel zu selbstverständlich wird hier ein Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität hergestellt. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ist allerdings nicht Armut selbst ein Grund für kriminelle Handlungen, sondern der Gegensatz zwischen Arm und Reich, den Betroffene verspüren. Falsch wäre es allerdings, einen direkten Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität zu sehen. Eine Erklärung dazu fehlt in der Sendung "Armes Deutschland".
Das ist ein Punkt, der mich besonders ärgert: In jeder Armutsshow werden Groß-Familien gezeigt und selbst Kinder vor der Kamera ausgestellt. Natürlich soll das den Impuls beim Zuschauer wecken, zu sagen: "In der Situation sollte man aber keine Kinder bekommen, das ist ja verantwortungslos!" Oder auch: "Boah, die sind ja zu dumm zum Verhüten. Kein Wunder, dass die Hartz IV bekommen."
Dieses Mal blieben uns bei "Armes Deutschland" zumindest die Riesenfamilien mit zehn Kindern und mehr erspart. Trotzdem haben Alex und Maria, wie gesagt, beide 23 Jahre alt, immerhin schon drei Kinder. Und die seien ihnen auch vergönnt – was geht mich das denn an, wer wann wie viele Kinder macht?
Aber trotzdem darf natürlich die Szene nicht fehlen, in der Maria erklärt, wie schnell sie schwanger wurde – nämlich gleich beim ersten Mal mit 16. Und schon entsteht der böse Gedanke im Kopf: Ja natürlich geht die dann jetzt nicht arbeiten, wenn sie seit dem Teenie-Alter nur Kinder macht.
Auch das wird von der Sendung nicht weiter hinterfragt, sondern kommentarlos, aber suggestiv platziert, damit der Zuschauer sich selbst "seine" Meinung bildet – eine Meinung, die einem RTL 2 schon vorlegt.
Es ist schwierig, eine Sendung wie "Armes Deutschland" kritisch zu schauen: Selbst wenn man weiß, dass hier Extremfälle dargestellt werden, wenn man viele Hartz-IV-Empfänger kennt, die das genaue Gegenteil der Protagonisten bilden – man tritt RTL 2 doch schneller in die Falle, als einem lieb ist.
Auch bei mir werden Emotionen erzeugt, wenn ich die Sendung schaue – obwohl ich weiß, wie sie funktioniert. Obwohl ich weiß, dass die Menschen nach bestimmten Kriterien gecastet, in künstlich erzeugte Situationen gebracht werden und die Stimme aus dem Off teilweise absoluten Bullshit redet. Trotzdem werde ich in manchen Szenen wütend, traurig oder habe Mitleid mit den Protagonisten.
Wie stark muss dieser Effekt erst sein, wenn man sich noch niemals mit dem Thema Hartz IV auseinander gesetzt hat, oder keine Hartz-IV-Empfänger kennt?
Die Medien tragen die Verantwortung für die Bilder, die sie erzeugen. Und hier werden Bilder erzeugt, die eine ganze gesellschaftliche Gruppe in ein schlechtes Licht rücken.
Deswegen, liebe Produzenten von RTL 2: Überlegt euch doch bitte, bitte ein anderes Format, das nicht auf den Rücken derer ausgetragen wird, die eh schon wenig haben oder anscheinend mit tiefergehenden Problemen zu kämpfen haben. Denn normal ist das, was ihr zeigt, nicht – selbst für Menschen nicht, die vom Existenzminimum leben.