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Menstruationsurlaub in Deutschland: Warum das keine Lösung des Problems ist

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Die Debatte um einen Menstruationsurlaub polarisiert.Bild: Getty Images / Deagreez
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Menstruationsurlaub in Deutschland: Warum das keine Lösung des Problems ist

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall statt menstruationsfrei, so sehen es Kritiker:innen. Das heißt auch: Status Quo statt Fortschritt. Ändern wird sich dadurch nichts.
17.05.2023, 07:2517.05.2023, 07:28
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Seit Spanien einen sogenannten "Menstruationsurlaub" eingeführt hat, wird auch in der deutschen Gesellschaft darüber diskutiert. Ein politischer Vorstoß war nur eine Frage der Zeit. Im März war es die Linke, die fordert: zwei freie Tage während der Menstruation jeden Monat.

Die Forderung ist umstritten. Kritiker:innen bringen gute Gründe vor. Sehr gute. Frauen sind im Berufsleben eh schon permanent durch mögliche Schwangerschaften, Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen benachteiligt. Naheliegend, dass zusätzliche menstruationsfreie Tage in den vielfach männlich geprägten Chefetagen dazu führt, dass die Augenbrauen nach oben und die Frauen vor die Tür wandern.

Dazu die Bezeichnung "Urlaub". Das ist die Periode nun wirklich nicht. Schmerzen dürfen zudem durch zusätzliche freie Tage nicht normalisiert werden.

Young woman with painful menstruation resting in bed
Bauchkrämpfe, Durchfall, Kopfschmerzen: Viele Frauen leiden während der Monatsblutung.Bild: E+ / martin-dm / Getty Images

Wer sich gegen menstruationsfreie Tage ausspricht, serviert eine Lösung gleich mit – auf dem Tablett des Jurist:innendeutsch. Die perfekt ausformulierte Bezeichnung wirkt durch trockene Selbstverständlichkeit, mit der sie in den Raum geworfen wird, gleich doppelt bedrohlich:

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Eine Lösung so nah – und doch so fern

Diese Formulierung vermittelt den Eindruck: Wir haben doch alles super geregelt. Es besteht doch gar kein Problem. Einen "Menstruationsurlaub" bräuchten wir also nicht, denn: Wer Menstruationsbeschwerden hat, kann sich doch einfach krankmelden.

Das heißt aber auch: Status Quo statt Fortschritt. Ist das wirklich (k)eine gute Lösung?!

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hat bei Menstruationsbeschwerden außerdem so ihre Schwachstellen. Beim Attest zum Beispiel.

Es ist zwar richtig, dass ein Attest "in der Regel" – so äußerte sich Dorothee Bär, oder "im Normalfall", wie Leni Breymeier sagte – ab dem dritten Tag gefordert wird. Doch wo es die Regel und wo es den Normalfall gibt, ist auch die Ausnahme oft nicht weit.

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Periodenschmerzen können so schlimm sein, dass Betroffene nicht arbeitsfähig sind.Bild: peopleimages.com - stock.adobe.c / Yuri Arcurs peopleimages.com / obs

Ja, es gibt sie – die Arbeitsverträge, die schon ab dem ersten Tag eine Krankschreibung verlangen. Und das ist ein echtes Hindernis. Egal, ob es sich um Regelschmerzen oder eine Erkrankung handelt.

Wer wegen Unterleibsschmerzen also einen Tag auf sich und seinen Körper achten wollte, findet sich dann ganz schnell auf dem Weg ins – möglicherweise überfüllte – Wartezimmer wieder. Eine Hürde, die dazu verleitet, doch lieber mit Schmerzen zu arbeiten. Ist einfacher.

Krankheitstage häufen sich – das kann zum Problem werden

Bei Regelschmerzen auf die normale Krankschreibung zurückzugreifen, bedeutet außerdem, dass die Menge an Krankheitstagen stark ansteigen kann.

Bei zwei Tagen pro Monat – wie die Linke vorgeschlagen hatte – wären das 24 Krankheitstage zusätzlich im Jahr. Doch Menstruationsbeschwerden sind individuell. Manche leiden jeden Monat darunter. Andere jeden zweiten oder dritten. Manche brauchen einen Tag, andere fallen sogar drei Tage aus.

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Das kann durchaus rechtlich relevant werden: Denn wer Menstruationsschmerzen hat, bleibt ja trotzdem von einer Grippe oder Erkältung nicht verschont. Insbesondere Frauen mit chronischen oder langwierigen Erkrankungen sind im Nachteil.

Im Worst Case können durch dazukommende Menstruationsbeschwerden in einem Jahr nämlich ganz schön viele Krankheitstage zusammenkommen.

Woman holding tampon with menstruation blood., Woman holding tampon with menstruation blood. Period hygiene., Woman holding tampon with menstruation blood. Period hygiene., 20.02.2020, Copyright: xesk ...
Zusätzliche freie Tage während der Periode? Das ist auch in Deutschland ein Thema.Bild: www.imago-images.de / imago images / Panthermedia

Fehlen Arbeitnehmer:innen mehr als sechs Wochen im Jahr, könnte sogar eine Kündigung drohen.

Zugegeben, ganz so leicht ist das natürlich nicht. Es müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein. So muss unter anderem eine Interessensabwägung die Kündigung erlauben und eine "negative Gesundheitsprognose" vorliegen.

Fakt ist aber: Die Kündigungsgefahr ist rechtlich gesehen höher als bei Menschen, die keine Menstruationsschmerzen haben. Eine Regelung, die Frauen und anderen Menschen mit regelmäßigen Menstruationsbeschwerden zugutekommen würde, müsste also einen Kündigungsschutz garantieren.

Echte Debatte findet nicht statt

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es schon seit Jahrzehnten. Bei Menstruationsbeschwerden greifen trotzdem viele nicht darauf zurück. Und so sitzen weiterhin viele trotz Schmerzen am Arbeitsplatz. Laut einer niederländischen Studie von 2019 fühlten sich unter 30.000 Befragten 80 Prozent während der Periode eingeschränkt. Trotz regelmäßiger Beschwerden gaben nur 14 Prozent an, tatsächlich mindestens einen Tag ihre Arbeit auszusetzen.

Genau dort liegt letztendlich der Kern des Problems: Viele arbeiten trotz und mit Regelschmerzen, statt von einer Krankmeldung – die ja in der Theorie möglich wäre – Gebrauch zu machen.

Doch wie fair ist das? Gibt es außer einem "Menstruationsurlaub" oder einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall keine Lösungen?

Es scheint, als würde die Debatte stillstehen. Doch die haben wir dringend nötig! Darüber, wie wir mit der Menstruation am Arbeitsplatz umgehen wollen. Wie wir generell in Zukunft arbeiten wollen. Was unser Verständnis von Arbeitsfähigkeit, von Krankheit und Leistung ist.

Auch chronisch und psychisch Erkrankten wäre mehr geholfen

Die Debatte soll nicht nur denjenigen helfen, die unter Periodenschmerzen leiden, sondern auch Menschen mit chronischen oder psychischen Erkrankungen. Denn die Lebenswirklichkeit all dieser Menschen findet von der Gesellschaft im Arbeitskontext häufig zu wenig Beachtung.

Die menstruationsfreien Tage sollen den Arbeitsalltag einfacher machen. Perfekt ist die Idee noch nicht.

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aber als ideale Lösung zu verkaufen, schneidet eine echte Debatte von vornherein ab. Dadurch argumentieren wir am eigentlichen Problem vorbei. Schade.

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