Cheers, Schatz! Ikea Deutschland wird 50 Jahre alt, über 30 davon hat das Möbelhaus (auch) an meiner Seite verbracht. Bild: privat / Julia Dombrowsky
Meinung
Wer mich nach geheimen Talenten fragt, erfährt zwei Dinge: Ich bin eine exzellente Sudoku-Spielerin und ich kann Ikea-Möbel zusammenbauen. Ohne Wutanfall. Wobei Letzteres eine hart erarbeitete Fähigkeit ist.
Denn zum Einrichtungs-Giganten, der seit exakt 50 Jahren deutsche Wohnzimmer prägt, verband mich lange eine Hassliebe.
Ikea-Produkte gibt es in jedem deutschen Haushalt
Ob Spülbürsten oder die blaue Kult-Tüte, in der bundesweit Pfandflaschen landen – jede:r hat die vier Buchstaben früher oder später in die Wohnung gelassen. Die schnelle Nummer ist einkalkuliert. Ikea ist der Fuckboy unter den Möbelhäusern.
Doch was mich betrifft, ist Ikea kein peinlicher Ausrutscher, sondern eher eine prägende On-off-Beziehung. Ein Typ, mit dem meine ersten, schmerzhaft-schönen Wohnerfahrungen begonnen haben und den ich danach nie wieder ganz abschütteln konnte.
Watson ist jetzt auf Whatsapp
Jetzt auf Whatsapp und Instagram: dein watson-Update! Wir versorgen dich
hier auf Whatsapp mit den watson-Highlights des Tages. Nur einmal pro Tag – kein Spam, kein Blabla, nur sieben Links. Versprochen! Du möchtest lieber auf Instagram informiert werden?
Hier findest du unseren Broadcast-Channel.
Das Ergebnis? Ich hause bis heute in einem Mix aus Geschenktem und eben – Ikea. Ein spanplattiger Hinweis, dass ich nie angekommen bin im großen Geld oder der edlen Ästhetik.
"Ich ging wie jeder eitle Teenager davon aus, dass ich zu originell für Mainstream-Möbel wäre."
Während andere ihre Laptops auf Bauhaus-Schreibtischen aufklappen, sitze ich (auch gerade jetzt) auf einem Stuhl namens "Ingolf", der gefährlich wackelt und auf dem ich schon seit vielen Jahren keine Gäste mehr dulde, aus schierer Angst, er könnte sie ins Krankenhaus befördern. An Weihnachten kauert meine Verwandtschaft daher Jahr für Jahr auf "Gunde"-Klappstühlen beieinander, um Rotkohl zu essen.
Das hat natürlich mit frühkindlicher Prägung zu tun, wie alles, was uns in toxische Lieben treibt.
Von wegen Småland! Früher gab es Kinderkino
Meine erste Erinnerung an Ikea war: Kinderkino. Dort wurde man abgesetzt, um in einem finsteren Raum ohne Aufsicht Cartoons zu suchten. Ein höchst unpädagogisches Konzept, das in seiner Sorglosigkeit so nur in Millennium-Zeiten existieren konnte. Filme gucken! Ganz allein! Über Stunden! Ich fand das extraordinär und ganz und gar unanständig. Ikea hatte mein Herz gewonnen.
Ikea, Chaos, Kindheit: Die Regale hinten zogen mit um in die erste eigene Wohnung. Bild: privat / Julia Dombrowsky
Meine Mutter und ich wohnten auf zwei Zimmern in einer WG. Das war wenig Platz und wurde noch weniger als Kaninchen, Meerschweinchen und mein kleiner Bruder dazukamen. Wir simulierten Raum durch Hochbetten, Schlafsofas und Spiegel. Die Möbel waren vom Sperrmüll, Sale oder eben "von Ikea".
Im Abstellraum schaffte ich eine Kleiderkammer (mit besagten Regalbrettern).Bild: privat / Julia Dombrowsky
Diesen Laden hinter mir zu lassen, entwickelte sich zu einem adoleszenten Fiebertraum. Ich ging wie jeder eitle Teenager davon aus, dass ich zu originell für Mainstream-Möbel wäre. Dieser Größenwahn ging Hand in Hand mit der Annahme, dass ich zu einer Frau würde, die ihr Leben im Griff hätte – mit einer Inneneinrichtung ebenso exquisit und ausgewogen wie ihr Innenleben.
In Wahrheit herrschte bei mir auf allen Ebenen Rumpelkammer. Ein nihilistisches Durcheinander an Trash und teuer – was eben gerade verfügbar war.
Ikea ist Erwachsenwerden für Menschen ohne Treuhandfonds
Mein Studium verbrachte ich entsprechend mit Schimmel an der Wand und noblen Appetizern im Kühlschrank, die ich als Hostess im Morgengrauen nach Hause trug. Dann saß ich da, fraß 22 Lachshäppchen beim Funzellicht einer Regolit-Hängeleuchte aus Reispapier und lernte bis in die Nacht die Militärgeschichte der DDR.
Berliner Zeiten: Champagner auf dem Klappstuhl saufen.Bild: privat / Julia Dombrowsky
Für mich war klar: Wenn ich mich aus diesem Studentenleben herausentwickeln würde, "richtig" erwachsen wäre, dann wäre Schluss mit der Knauserei. Schluss mit Ikea!
Bis dahin transportierte ich ganze Schränke in der Berliner S-Bahn zu meiner Einzimmerwohnung. Dort sortierte ich Nägel und Holzpflöckchen in Gläser, hielt mit zittrigen Oberschenkeln Regalwände im rechten Winkel, um den Innensechskant zu drehen und hatte am Ende doch nur ein Klappergestell vorzuweisen.
Was erwartete ich auch von einem Skandinavier, der mich schuften ließ wie ein Sadist, mir suggerierte, ich sei das Problem?!
Meine Mutter fand dieses Doppelbett für eine Studentin vermessen, aber "weil Ikea" ging es doch. Bild: privat
Und dann lernte ich einen Mann aus Fleisch und Blut kennen, mit dem es "Zusammenzieh"-ernst wurde. Unsere erste Anschaffung war ein Esstisch vom Tischler. Es spiegelte wider, wie massiv sich das anfühlte zwischen uns, wie langlebig.
Was folgte, waren Jahre der Ordnung. Wir lebten in Möbeln von höherer Qualität (seinen nämlich). Ikea suchten wir nur für Klobürsten auf. Ich hatte richtig Oberwasser.
In den USA stillte das Möbelhaus mein Heimweh
Bis wir nach San Francisco zogen. Der Neustart erforderte eine Fahrt zu "eye-kee-uh", als wir kapierten, wie tief die Bay Area ihren Anwohner:innen ins Wallet greift.
"Beim Hotdog an der Kasse schossen mir Tränen der Freude in die Augen."
Herregud! Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr ein Möbelladen europäisches Heimweh stillen kann. Ich sprang wie der verrückte Hutmacher durch die Gänge, kaufte Geschirrtücher und Schwarzbrot-Mischungen. Beim Hotdog an der Kasse schossen mir Tränen der Freude in die Augen. Ich war rückfällig geworden, Ikea mein Quick Fix.
Ich lebte downtown in San Francisco, doch die Möbel blieben schwedisch. Bild: privat / Julia Dombrowsky
Wie bei allen toxischen Lieben hatte gerade der Abstand mich zurück in die Arme meines Liebhabers getrieben. "Bist du verrückt?!", ächzte mein Freund mit einem Blick auf die Quittung. Doch ich war schon zwischen Styroporflocken verschwunden, um zu dübeln – diesmal mit Lust.
"Ich weiß, dass Ikea nur mit meinen Gefühlen spielt."
Plötzlich war Ikea Heimat. Ein geiler, dreckiger Ex, der mir inmitten der Yoga-und-Stahl-Wüste des Silicon Valley ganz unverschämt zugezwinkert hatte. Er wusste, welche wohlgesetzten Lichtspots mich reizten und ich, mit welch behutsamem Druck ich seine Bretter einführen musste.
Ein inventarisches Kopffickfest.
Wir alle fallen auf Ikeas Verführung-Tricks herein
Mir ist bewusst, dass Ikea mit meinen Gefühlen spielt. Dieser Laden hat mir trotz billiger Preise viel Geld aus der Tasche gezogen; mich dazu angestiftet, einen Wagen voller Duftkerzen und Kissen zur Kasse zu schieben, obwohl ich ein Eckregal brauchte.
Die dreiste Ermunterung zu Konsum, die Abholzung von Urwäldern durch Handelspartner, 2022 auch Vorwürfe des indirekten Einsatzes von Zwangsarbeiter:innen – solche Verantwortungslosigkeit ist ein Abturner.
Doch seine unmoralischen Angebote machen mich immer wieder schwach. Bevor jetzt jemand schimpft, warne ich, dass den ersten Köttbullar nur werfen sollte, wer selbst frei von Sünde ist – und das können nicht viele sein.
Laut dem Unternehmen haben 301,5 Millionen Menschen Ikea Deutschland im Jahr 2023 online oder physisch besucht. Derzeit zählen wir 83,8 Millionen Einwohner:innen. Das bedeutet, dass jede:r im Schnitt drei- bis viermal im Jahr bei Ikea abhängt.
In schrottigen Möbeln fühle ich mich frei
Dass auch ich rückfällig werde, habe ich akzeptiert. Ich schäme mich nicht mehr dafür, mein Leben in Allerwelts-Möbeln zu verbringen. Was für ein Befreiungsschlag das ist, spürte ich bei der Rückkehr nach Berlin.
Ich zog zurück in meine Studentenbutze, hauste so unglamourös wie eh und je – nun aber schwanger. Die Idee, meinem Leben ein Konzept zu geben, bevor ich Neues in die Welt setzte, hatte ich mit beiden Händen über Bord geworfen.
"Mein Wochenbett hieß 'Malm'."
Es war erleichternd, zu akzeptieren, dass ich eine ewige Baustelle bleiben würde, dass Menschen eh nie "fertig" sind. Angesichts dessen ist es schon okay, ja, eigentlich passend, zwischen Möbeln zu leben, die als Übergang gedacht waren.
Auch mit Zwillingen im Bauch entwickelte ich keinen Nestbautrieb (Bett, Bettwäsche, Lampe und Schrank von Ikea)Bild: privat / Julia Dombrowsky
Ich verbrachte die Schwangerschaft zwischen denselben Billy-Regalen, die schon in meinem Kinderzimmer standen, mein Wochenbett hieß "Malm". Und in diesem bescheidenen Chaos fühlte ich mich ruhig und frei.
Ich hatte zu viel in meine On-off-Beziehung mit Ikea hineinprojiziert. Sobald ich mich von der Wahnvorstellung eines idealen Lebens verabschiedete, sah ich die Möbelfrage lässiger.
Ich schließe nicht aus, dass meine Wohnung irgendwann aus fair gehandeltem Holz und Designerlampen besteht. Bis dahin lebe ich aber weiter in altem Ikea-Kram. In Provisorien, die zwar krumm an der Wand lehnen – sich aber genau richtig anfühlen.