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Gewalt gegen Frauen: Wie die Gesellschaft ohne dieses Problem aussehen könnte

ARCHIV - 29.05.2022, Berlin: Bei einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen h
Der 25. November ist offiziell seit 1991 "internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen".Bild: dpa / Christophe Gateau
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Gewalt an Frauen: Wie ich mir eine Gesellschaft ohne vorstelle

25.11.2024, 19:03
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Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland verbale oder körperliche Gewalt von ihrem Partner oder Ex-Partner. Fast jeden zweiten Tag bringt ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin um. In den letzten fünf Jahren wurden in Deutschland 4000 Frauen umgebracht. Vergewaltigung in der Ehe ist in Deutschland erst seit 1997 strafbar.

Weltweit ist etwa jede dritte Frau von sexualisierter Gewalt betroffen. In Afghanistan sprechen die Taliban Stück für Stück den Frauen immer mehr Menschenrechte ab, seit das sogenannte "Tugendgesetz" in Kraft ist, dürfen Frauen nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit sprechen oder singen. Unicef schätzt, dass jährlich 12 Millionen Mädchen eine Kinderehe eingehen (müssen).

Diese Zahlen und Fakten habe ich im Kopf, wenn ich wieder irgendeinen Mann sagen höre: "Aber nicht alle Männer!" Oder wenn sich wieder irgendein beleidigter Influencer oder C-Promi in irgendeinem Podcast darüber echauffiert, ob das mit der Frauenrechtsbewegung eigentlich mal wieder gut sein könne, denn es würde ja um nichts anderes mehr gehen und langsam müssten Frauen wohl wirklich alles haben, was sie wollen.

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Dass es im öffentlichen Diskurs viel um die Rechte von Frauen und Mädchen geht, möchte ich gar nicht bestreiten. Nur bleibt das Reden und Debattieren an vielen Stellen immer noch wirkungslos. Denn wenn Frauen alles hätten, was sie gerne haben wollten, würde es den Begriff Femizid nicht geben, der explizit den Mord an Frauen meint. Es würde vermutlich auch keine Kinderehen mehr geben. Es würde keine Vergewaltigungen geben und ich vermute auch das Ausmaß an Hassreden, das wir im Internet aktuell erfahren, wäre nicht gegeben.

Warum es einen internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gibt

Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv, denn all diese Dinge sind Realität und Alltag von Frauen und FLINTA*. Wäre dem nicht so, würde es auch den "Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" nicht schon seit mittlerweile über 40 Jahren geben.

Der Hintergrund des Gedenktages ist die Geschichte von drei Schwestern: Patria, Minerva und María Teresa Mirabal. Die drei Frauen hatten sich in der Dominikanischen Republik gegen die Diktatur unter Rafael Trujillo zur Wehr gesetzt. Nach monatelanger Folter wurden sie am 25. November 1960 getötet.

Seit 1981 wird am Todestag der Frauen weltweit auf Gewalt gegen Frauen und Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht. 1999 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, die den 25. November offiziell zum "Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" machte.

Gewalt gegen Frauen einen Tag widmen zu müssen, zeigt die Allgegenwärtigkeit des Problems, zeigt, wie tief verankert Gewalt und Hass gegen Frauen in unserer Gesellschaft sind.

Leben ohne geschlechtsspezifische Gewalt: eine Wunschvorstellung

Aber wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der es keine Gewalt gegen Frauen gibt? Ganz konkret fällt mir spontan ein: Ich müsste im Club nicht mehr meinen Drink genau im Auge behalten. Ich könnte nachts in Ruhe nach Hause laufen. Ich müsste mir keine Sorgen darüber machen, ob der Taxifahrer in irgendeiner dunklen Straße anhält, anstatt mich direkt nach Hause zu bringen.

Für FLINTA* generell fällt mir ein: Wir müssten uns bei einem ersten Date keine Sorgen darüber machen, ob unser Gegenüber irgendwann damit anfängt, uns psychisch oder physisch auszunutzen und nach ersten Warnzeichen in seinem Verhalten Ausschau halten. Wir könnten anziehen, was wir wollen, ohne dass alles als Einladung unsererseits gewertet wird. Wir könnten Nein sagen ohne die Sorge, dass unsere Ablehnung noch Konsequenzen haben wird.

Wir könnten uns trennen, ohne die Angst, dass aus dem Partner ein Stalker – und statistisch gesehen eventuell Mörder – wird. Wir müssten uns nicht um Freundinnen, Schwestern, Töchter und Mütter sorgen, wenn diese alleine unterwegs sind. Wir müssten uns in der Schule und bei der Arbeit keine sexistischen Sprüche anhören, die uns im Deckmantel des Humors unsere Kompetenzen absprechen und uns klein halten.

Und: Wir müssten nicht immer wieder einzelne Frauen als Heldinnen und Märtyrerinnen betrauern, weil ihnen wie im Falle von Jina Mahsa Amini grundlegende Menschenrechte verwehrt worden sind und sie deswegen sterben mussten.

Keine Gewalt an Frauen: Gut für die Wirtschaft?

Im Zukunftspodcast der "Tagesschau" wurde sich auch ebendieses Szenario in einer Folge angeschaut: ein Deutschland ohne Gewalt gegen Frauen. Dabei musste ich ernüchtert feststellen, dass ein Hauptaugenmerk in Wirtschaftsdeutschland auf die Kosten von Gewalt gegen Frauen gelegt wird. 18 Milliarden Euro mehr könnte Deutschland erwirtschaften, wenn Frauen sich nicht mehr aufgrund von Gewalt krankmelden müssen oder ganz ausfallen, weil sie aufgrund von Eifersucht umgebracht worden sind.

Gewalt gegen Frauen
Es sollte nicht nur am 25. November um Gewalt gegen Frauen gehen. Bild: Pexels / MART PRODUCTION

Dazu kommen Kosten, die durch die Gewalt verursacht werden: Für die Polizeieinsätze, Krankenhausaufenthalte, Frauenhäuser, Medikamente, Therapiestunden. Etwa 2,5 Milliarden sollen das zusätzlich sein, laut der Rechnung, die im Podcast vorgestellt wird. Die Zahl sei jedoch sehr vorsichtig geschätzt.

Weniger vorsichtig geschätzt und mit Kalkulation der Dunkelziffer wird von eher mindestens 30 Milliarden Euro ausgegangen. In die Rechnung inkludiert sind auch die psychischen und physischen Schäden, die Kinder in solchen Situationen erleiden. Also, liebe Männer: Wenn es euch nicht um uns geht, dann denkt doch wenigstens an die Wirtschaft und den Wohlstand Deutschlands.

Eine Gesellschaft ohne Gewalt: Auch Männer haben was davon

Natürlich bietet dieses Szenario einen Blick in die Realität: Wer verprügelt wurde, kann kurzzeitig nicht arbeiten, wer ermordet wurde, gar nicht mehr. Im Zukunftsszenario wird dann aber auch weiter ausgeführt: Haben Frauen keine Gewalt mehr zu fürchten, können sie ihre Arbeit besser ausführen, in Führungspositionen Einfluss nehmen, die Politik besser mitgestalten. Es würde gerechte Strukturen geben, die auch für Männer von Vorteil sind: Sie könnten beispielsweise mehr am Familienleben teilnehmen.

Gleichzeitig heißt keine Gewalt gegen Frauen für Männer aber auch: Sie dürften ihre Männlichkeit nicht mehr durch Macht ausleben. Im besten Fall würde das auch für Männer eine Gesellschaft bedeuten, in der sie sich nicht mehr ständig beweisen müssen und die Rolle eines starken Mannes oder Familienoberhauptes performen.

Richtet man in Anbetracht dieser Zahlen und Annahmen den Blick auf die Welt und all die vielen Mädchen und Frauen, die aufgrund von Gewalt nicht ihr volles Potenzial leben können, stellt sich mir die Frage: Was entgeht uns da?

Wo könnten wir als Gesellschaft heutzutage stehen, wenn Männer Besseres zu tun hätten, als ihre Wut an Frauen auszulassen? Wenn Frauen ohne Furcht leben, lieben und arbeiten könnten? Wie würde es um die Klimakrise stehen? Wie um den Welthunger? Wie um das aktuelle Kriegsgeschehen auf der Welt? Es ist wohl nicht gerade anmaßend zu behaupten: Die Welt wäre eine bessere.

Hinweis: Wer selbst Gewalt erlebt oder Frauen kennt, die Hilfe benötigen, kann sich beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" melden. Diese ist unter der Nummer 116 016 erreichbar und bietet vertraulich, kostenfrei und rund um die Uhr Hilfe und Unterstützung. Neben der telefonischen Beratung gibt es eine Chat- und E-Mail-Beratung über die Webseite der Initiative.

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