Der Skatepark: Treffen unter Freunden oder Spiegel gesellschaftlicher Probleme?Bild: E+ / BraunS
Interview
Läuft man an einem Skatepark vorbei, wirkt das Treiben der – meist jungen – Leute bunt, freundschaftlich und sportlich. Auf den ersten Blick sieht es aus, als würde sich ein riesiger Freundeskreis treffen. Auf den zweiten wirkt es dann aber irgendwie auch homogen. Denn auf den Boards stehen dann mehrheitlich doch Männer, in auffallend ähnlicher Kleidung. Aber wie ist es wirklich in der Szene?
Watson hat darüber mit Lea Marie Nolte gesprochen. Sie skatet seit mehreren Jahren, hat ein Kollektiv für Skate-Anfänger:innen gegründet, sich wissenschaftlich mit der Thematik in ihrer Masterarbeit auseinandergesetzt und Männlichkeitsbilder im Skateboarden zwischen Hamburg und Santiago de Chile untersucht.
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Watson: Lea, ist die Skate-Bubble so, wie sie von außen wirkt: freundschaftlich, nicht so kompetitiv und offen für alle?
Lea Marie Nolte: Eine allgemeine Antwort darauf gibt es nicht – wie überall gibt es hier individuelle und verschiedene Erfahrungen, die jedoch gesellschaftlich geprägt sind. In der Skate-Szene spiegeln sich viele gesellschaftliche Probleme wider, auch, wenn einige das vielleicht nicht so wahrhaben wollen. Beim Skaten ist das noch mal besonders im Vergleich zur restlichen Gesellschaft, weil das ganz lange als Männerdomäne galt – und es auch heute noch zum Großteil so gesehen wird. Es gibt durchaus auch Menschen anderer Geschlechter, die schon eine ganze Weile im Skaten aktiv sind.
Sie sind nur nicht so dominant wie Männer?
Sie bekommen nur nicht so eine große Bühne wie Männer sie in dieser Szene schon immer hatten. Männer dominieren beim Skaten die öffentlichen Plätze und auch das Image, wodurch sich weiterhin das Gefühl festigt, Skateboardfahren sei etwas Männliches. Auch hier gibt es Diskriminierung, die nur nicht alle erfahren.
Woran merkt man denn diese – vielleicht auch unbewusste – Annahme, Skateboardfahren sei männlich?
Mir ist folgendes Szenario schon mehrmals passiert: Ich betrete gemeinsam mit einem Kumpel einen Skate-Park und werde von den dort anwesenden Männern gefragt, ob ich die Partnerin sei – noch bevor ich nach meinem Namen gefragt werde. Es wird also davon ausgegangen, dass ich nicht von allein auf die Idee gekommen sein könnte, Skaten lernen zu wollen, sondern nur durch einen Partner, der mich mitnimmt.
Vielleicht ist das ja nur netter Smalltalk?
Auch wenn die Frage nett gemeint der Kontaktaufnahme dienen sollte, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass ich als Frau hier eigentlich nichts verloren habe, dass es ungewöhnlich ist, dass eine Frau tatsächlich zum Skaten kommt und dieser Raum nicht für mich vorgesehen ist. Und zum anderen kann damit abgeklärt werden, ob ich möglicherweise single bin oder nicht. Denn das ist ein weiterer Aspekt des Sexismus der Skating-Szene: Wenn Personen einen Skate-Park betreten, die als weiblich gelesen werden, kann es durchaus passieren, dass diese unangenehm angeflirtet werden.
Ist das beim Skaten problematischer als an anderen Orten?
Das zeigt, dass man nicht wirklich ernst genommen wird als Skater:in. Denn eigentlich möchte ich jetzt Skaten und mich auf den Sport konzentrieren. Klar gibt es auch nettes Flirten – oft genug entsteht dabei aber das Gefühl, dass ich als Objekt betrachtet werde und der Erste, der mich anspricht, irgendeine Art Anspruch auf meine Aufmerksamkeit hat.
Und wie kann man auf diese Probleme aufmerksam machen, ohne Ablehnung aufseiten der Männer zu erzeugen?
Dafür gibt es mehrere Hebel. Zum einen ist es der Effekt der Gewöhnung. Ich habe beispielsweise vor vier Jahren in Santiago de Chile mit dem Skateboardfahren angefangen, und dort ist der Sport schon viel mehr in der breiten Masse verbreitet. Wenn ich da in den Park gegangen bin, war ich bei weitem nicht die einzige weibliche gelesene Person. Das zeigt: Mit der Zeit können sich Dinge auch verändern.
Man muss also nur geduldig sein?
Nein, ein weiterer wichtiger Faktor sind Freundschaften in dieser Bubble. Wenn es Menschen – und in diesem Fall nun mal Männer – gibt, die einem zuhören, denen es wichtig ist, dass man sich wohlfühlt und die verstehen, dass sie eine Handlungsmacht haben, ihr eigenes und das Verhalten von anderen Männern reflektieren, kann sich viel verändern. Und zu guter Letzt ist es wichtig, Safer Spaces für Menschen zu haben, die in diesem Sport sonst eher einer Diskriminierungserfahrung ausgesetzt sein könnten.
Wie könnten diese Safer Spaces denn aussehen?
Es gibt beispielsweise sogenannte Social Skateboarding Programme und Organisationen wie die Goodpush Alliance, die Programme gegen Rassismus, Sexismus und für Inklusion anbieten. Innerhalb dieser Programme werden sicherere Räume für Personen geschaffen, die sonst von Diskriminierungsformen betroffen sein könnten. Hier können sie unter sich sein, sich austauschen, sich gegenseitig Mut zusprechen.
Warum sind solche Orte wichtig?
Es geht dabei auch darum, zu merken, dass man mit bestimmten Erfahrungen nicht alleine ist und sich darin zu bestärken, den männlich geprägten Raum auch für sich zu beanspruchen. So soll Selbstsicherheit aufgebaut werden, um vielleicht auch mal alleine in einen Skate-Park gehen zu können oder in einer Situation, in der man mit Sexismus konfrontiert wird, einen besseren Umgang zu finden. Das machen wir beispielsweise auch mit dem Kollektiv Space Invaders.
Was genau ist Space Invaders?
Wir organisieren primär Skate-Sessions für FLINTA* und queere Menschen. Die erste Session haben wir im Sommer 2022 gemacht. Dabei hatten alle Anwesenden nicht nur sehr viel Spaß, es hat uns auch ein bestärkendes Gefühl gegeben. Da war die Schlussfolgerung, sowas regelmäßig anzubieten. Inzwischen werden wir durch das Programm Roll-Models gefördert, wodurch wir Skateboards und Schoner für Leute stellen können, die den Sport erstmal unverbindlich testen möchten. Unsere Sessions dienen auch dem Austausch, und sollen interessierten Personen einen möglichst diskriminierungsfreien Start ins Skaten ermöglichen.
Und wieso der Name "Space Invaders"?
Der Name kommt auch aus dem Gefühl heraus, das nicht-männliche Menschen oft in einem Skate-Park bekommen: Man fühlt sich nicht zugehörig, wie ein Alien und so, als würde man gerade einen Ort für sich beanspruchen, der einem eigentlich nicht gehört. Aber den nehmen wir uns jetzt.
Wie wird es in der Öffentlichkeit wahrgenommen, dass dieser Raum nicht für Männer gedacht ist?
Da gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen. Ich würde sagen, Männer in meinem Umfeld verstehen das und fragen sogar, ob sie uns dabei unterstützen können. Es gab aber auch online mal ein Kommentar dazu, dass es ja gar nicht inklusiv sei, wenn Männer ausgeschlossen sind. Ich habe dann versucht zu erklären, dass diese Räume dazu beitragen sollen, die Situation insgesamt zu verbessern.
Und das hat die Person verstanden?
Nein, irgendwann wurde deutlich, dass die Person einfach sauer darüber war, dass es etwas gibt, wovon sie ausgeschlossen ist – und es nicht darum ging zu verstehen, was der Hintergrund solcher Räume ist. Dabei tut sich dann auch für uns eine Diskrepanz auf, denn eigentlich ist es ja unser Ziel, für Inklusion und Diskriminierungsfreiheit zu sorgen. Und dafür müssen Männer verstehen: Ihnen wird dabei nichts weggenommen – anderen Menschen wird gegeben, was sie sowieso schon haben.