"Grand Theft Auto VI" (GTA VI) ist mittlerweile in höheren Sphären transzendiert. Jeder kleine Schnipsel, der auch nur einen winzigen Einblick in das Spiel gibt, macht etwas mit Gamerhirnen. Alle Areale werden mit Endorphinen geflutet, die Impulskontrolle bricht völlig weg, ein Ur-Zustand ist da. Insofern waren auch wieder wilde Schreie zu hören, als Rockstar kürzlich einen neuen Trailer zum Spiel veröffentlichte.
Protagonist Jason schlägt sich durchs schweißverklebte Leodina, eine Florida-Replik. Zu sehen sind Bretterbuden, Polizeigewalt und Menschen, die allen Anstand mit dem Zischen ihrer ersten Bierdose vergessen haben. Armut ist sichtbar, Verzweiflung spürbar. Viel Raum für Diskussionen zum Spiel, allen voran die Frage, was die Welt bietet, wo sich Kritik an den Missständen kapitalistischer Gesellschaften abzeichnet.
Nur funktioniert so ein Hirn im Ur-Zustand nicht. Das konzentriert sich lieber auf die zweite Hälfte des Trailers, in dem vor allem der Po der Protagonistin Lucia zu sehen ist, der wohlgemerkt ersten weiblichen Hauptfigur des Franchise. Rockstar lädt in Sachen Geschlechterdarstellung zur Rückwärtsrolle und die Fans purzeln fleißig los.
Es wird deutlich: weder Community noch Branche lernen dazu.
"It's Fappening" (Fappen heißt masturbieren), schreibt ein Reddit-User zum "GTA"-Trailer. Ein anderer: "384 Tage, bis ich als dickärschige Latina spielen kann". Außerdem gibt es einen extra Forenbereich nur für Lucias Hintern. Joa.
Pornogetriebene Geister inceln in die Kommentarspalten zu einem Videospiel-Trailer mit offensichtlichem Hang zur Übersexualisierung. Keine Überraschung eigentlich. Vor allem nicht in einer Welt, in der es Aufregung gibt, wenn eine Videospielprotagonistin mal nicht Schönheitsidealen entspricht – man denke an "Last of us 2" oder "Horizon".
Nur erschließt sich nicht, warum Rockstar überhaupt mit etwas so Langweiligem wie einem Hintern wirbt. Ein Spiel, dessen Veröffentlichung nicht nur unter Gamer:innen ein Happening ist, gleichzusetzen mit dem Release einer Beatles-Platte in den 1960ern, bräuchte keinen Arsch-Fokus als Werbemaßnahme.
Doch wir bekommen etwas zu sehen, mit dem wir über Filme, Werbetafeln und Internet ohnehin täglich bombardiert werden. Sexuelle Aufladung gibt es überall, vermeintliche Scharfmacher lauern an jeder Ecke. Rockstar hätte das in dem Trailer aufgreifen können, um die Pornhub-Bums-Werbestrategien ins Lächerliche zu ziehen.
Stattdessen greift das Unternehmen auf ebendiese zurück, und macht die Protagonistin in knapp einer Minute zur Masturbationsfantasie eines internetgeschädigten Teenagers: Heiß, immer willig und voll auf ihren Partner fokussiert. Einen künstlerischen Anspruch gibt es nicht, nur Male Gaze – damit ist sonst die filmische Darstellung von Frauen durch den Blick eines Mannes gemeint. Und der Male Gaze zieht, wie auf Reddit sichtbar ist.
Schade nur, dass die Branche selbst eigentlich schon einige Schritte nach vorne gemacht hat. Größen wie CD Project, Ubisoft und Naughty Dog entscheiden sich längst für die Darstellung emanzipierter Frauen. Sex haben diese auch, nur geht dieser mit einer gewissen Tiefe einher. Im "GTA VI"-Trailer deutet alles auf eine Bonnie-und-Clyde-Pornoparodie hin.
Und wenn dem Unternehmen nichts bleibt, als genau das abzubilden, stellt sich die Frage, wie "großartig" "GTA VI" wirklich wird. Inhaltlich ist nicht viel bekannt, die Geschichte könnte noch einen smarten Dreh bekommen. Schon der Vorgänger war eine smarte Überspitzung des amerikanischen Traums, ein Bruch mit dem Tellerwäscher-Klischee, mit der alles beherrschenden Aufstiegsideologie.
Vielleicht beerdigt der neue Ableger ja die absurden Fantasien, die in Hetero-Männer-Köpfen umherschwirren. Wäre doch wünschenswert. Viel Hoffnung macht der Trailer aber nicht. Alles schreit nach langweiligem Gangster-Kitsch mit viel blutleerem Gestöhne. Reddit wird sich freuen.