Gerade habe ich mit einem befreundeten Sportpsychologen telefoniert, der große Teams betreut. Eine Fußballmannschaft, mit der er zu tun hat, kommt nicht in Tritt. Lange war es den Verantwortlichen ein Rätsel, warum nahezu kein Spieler die Erwartungen erfüllen konnte. Der Druck auf die einzelnen Spieler wurde größer und größer, bis genau dieser dazu führte, dass sie blockierten.
Auf diesem Niveau sollte man meinen, dass Profis selbst aus dem Loch herauskommen können, es gelang jedoch nicht. Was viele Expert:innen vergaßen: Fußballer sind auch Menschen. Und jeder hatte sein Päckchen zutragen.
Zum selben Zeitpunkt hatten recht viele im Team einige Dinge, die sie belasteten, meist private Sorgen. Doch in der Welt des Fußballs zählen keine persönlichen Schicksale, es zählen Ergebnisse.
Genauso tickt unsere Welt leider oft. Und beim einzelnen Menschen geht dann plötzlich nichts mehr. Die Überforderung ist zu hoch.
Wir müssen erkennen, dass unser Alltag herausfordernd ist und wir damit dealen müssen. Und das hat nicht grundsätzlich mit einer Generationendebatte zu tun, auch wenn die Gen Z sich der Problematik deutlich mehr bewusst ist als frühere Generationen.
Auch bei Linda, die sich mir in einem Gespräch anvertraute, ging nichts mehr. Eine Freundin war plötzlich mit Mitte 20 verstorben. In ihrer Beziehung lief es nicht gut. Ihr Partner verlangte seit Monaten, dass sie zu ihm ziehen solle, er drohte mit Beziehungsende. Und dann hatte sie gerade einen neuen Job angefangen, von dem sie sich sehr viel versprochen hatte, der aber anders lief als erhofft.
Die Sorgen und der Druck multiplizierten sich, Linda war kaum noch in der Lage, saubere und freie Entscheidungen zu treffen. In langen Gesprächen ordneten wir alles ein wenig ein. Es wurde deutlich: Der neue Arbeitgeber konnte in Wahrheit nichts für ihre Wahrnehmung, doch er war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Linda entschied sich, den neuen Job zu kündigen. Auch mit dem Risiko, kurzfristig vor dem Nichts zu stehen. Alleine, dass sie die Kündigung abgab, erzeugte bei ihr das Gefühl der Freiheit. Löste bei Linda einfach alles auf. Und damit war es wohl die richtige Entscheidung in diesem Moment. Sie killte die gefühlt größte Erwartungshaltung.
Aber war das langfristig die beste Lösung?
Im Fall von Mone und Justin ist genau das Gegenteil passiert. Justin musste sein Unternehmen aufgeben, es war defizitär geworden. Mit drei Kindern und einer Frau keine einfache Situation. Beide verliebten sich in Sizilien und beschlossen, dort ein neues Leben anzufangen. Hier wollte man in Ruhe ein neues Leben beginnen.
Der Anfang fühlte sich für beide wie ein Traum an, der allerdings schnell durch die Realität abgelöst wurde. Zunächst schien der Druck gelöst. Keine Gläubiger mehr im Nacken, keine bösen Briefe, keine Sorgen. Und dann holte Justin der Streit mit den Eltern plötzlich wieder ein, von denen er sich Geld geliehen hatte. In der Auseinandersetzung ging es nicht nur um die Finanzen, es waren jede Menge Emotionen im Spiel, die sich seit Jahren aufgestaut hatten. Zudem brachten die Eltern einen großen Stapel Briefe mit, in denen es natürlich um die Insolvenz ging. Neue Forderungen, die die alten ablösten.
Zudem fand Justin in Italien nur Helferjobs, die nicht wirklich die Kosten deckten. Nun droht das nächste Desaster. Der Druck wurde nicht kleiner, sondern sehr viel größer.
Es ist kein Wunder, dass sowohl Linda als auch Mone und Justin mehr und mehr krank werden. Wird Druck derart hoch, fallen viele Menschen in ein tiefes Loch. Wieder herauszukommen, gelingt oft nur noch mit professioneller Hilfe. Wenn die Lebensfreude komplett leidet, wird es bedrohlich.
Psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen sind häufig die Folge einer geminderten Lebensfreude. Aber auch die Psyche kann dazu führen, dass wir unter anderem Schmerzen in den Zähnen oder im Bereich des Kiefers verspüren, obwohl keine körperliche Erkrankung vorliegt.
Wer psychisch angeschlagen ist, bei dem besteht ein erhöhtes Risiko, öfters krank zu werden. Häufiges Aufstoßen, Sodbrennen sowie eine Refluxerkrankung oder aber eine Entzündung der Bronchien und Atemwege sind nur einige der Krankheiten, unter denen viele Menschen dann häufig leiden. Somit verlängern sich die psychischen Erkrankungen und greifen in die Physis ein.
An dieser Stelle hilft dann oft nur ein radikaler Schnitt: Alles aufräumen, die Psyche und die körperlichen Probleme.
Somit ist die tägliche gesundheitliche Hygiene mit Sicherheit der Schlüssel, um erst gar nicht in den übermäßigen Druck zu gelangen. Wir selbst müssen eine Art Prävention für uns finden.
Für viele Menschen ist der Job der Schlüssel des Druckempfindens, obwohl die nackten Zahlen eine andere Sprache sprechen. Mehr als 8.000 Tage verbringt der Mensch in seinem kompletten Leben als Erwachsener demnach schlafend im Bett. 4.300 Tage gehen für Gespräche und Entspannendes drauf – und damit hätten wir schon mehr als die Hälfte der uns verbleibenden Zeit mit durchaus angenehmen Tätigkeiten verbracht.
Die Arbeit nimmt laut Statistik 3.716 Tage ein. Um genau zu sein: Der Job nimmt in etwa so viel Zeit in Anspruch wie Haushalt, Reisen, Computerspielen, Essen und Trinken zusammen. 16 Prozent unseres Lebens. Ist das viel? Ist das wenig? Es ist eine Frage der Interpretation.
Fest steht dennoch: Der Druck, der durch die Arbeit herrscht, scheint überproportional groß zu sein. Fragt man im Freundes- und Bekanntenkreis, fühlen sich die meisten überfordert, angestrengt. Einige hangeln sich von einem Job in den nächsten. In der Hoffnung, dass es dort besser wird.
Einige Unternehmen haben unter anderem deshalb die 4-Tage-Woche eingeführt, bei gleichem Gehalt. Laut einer weiteren Studie wünschen sich 81 Prozent der Menschen genau das.
Eine enorme Zahl, die vielleicht erwartbar ist. Die aber nicht Faulheit oder Bequemlichkeit belegt, sondern einmal mehr zeigt, wie erschöpft wir in Wahrheit sind.
Viele Wissenschaftler:innen sind sich einig: Stress und Druck nehmen durch eine Vier-Tage-Woche ab, das Burnout-Risiko sinkt, die Schlafqualität steigt. Freizeit, Familie und Beruf werden besser vereinbart. Und auch das Thema Gleichberechtigung kann besser realisiert werden, weil die Aufgabenverteilung gerechter verteilt werden kann.
Und doch ist die Gesamtgesellschaft noch weit weg von einer flächendeckenden Vier-Tage-Woche. Und sie ist auch nicht das einzige existierende Konzept für eine bessere Work-Life-Balance.
Augenscheinlich müssen wir uns, jede:r für sich, aber auch als Gesamtgesellschaft, dringend um das Thema Druck kümmern. Wir sollten jeden Tag überprüfen, wie wir die Balance halten, und sollten sie einfordern.
Das stumpfe Wegschieben von Erwartungen führt zu oft in die Sackgasse. Schauen wir genau auf uns, kümmern wir uns besser um uns selbst. Nur so kann es gelingen, dauerhaft gesund zu bleiben.