Lieferfahrer berichten über Job-Alltag: "Wir sind eine sehr moderne Art von Sklaven"
Egal ob die Sonne unbarmherzig vom Himmel brennt oder die Straßen mit Schnee bedeckt sind: Essensbestellungen werden online zu jeder Jahreszeit aufgegeben. Die Lieferfahrer:innen stehen dabei unter großem Druck: Sobald das Essen im Rucksack verstaut ist, muss man so schnell wie möglich die Lieferadresse erreichen.
Strömender Regen, verstopfte Straßen oder der fünfte Stock ohne Aufzug sind dabei keine Ausrede, es kommt auf jede Minute an. Schließlich sollen Kund:innen nicht zu lange warten oder gar lauwarmes Essen erhalten.
Was die Lieferfahrer:innen in ihrem Job-Alltag erleben, können sich wohl die wenigsten vorstellen. Gegenüber dem "Guardian" geben mehrere Lieferant:innen aus London, Liverpool und Manchester Einblicke. Und die dürften für manche Außenstehenden schockierend sein.
Lieferfahrerin erzählt von unangebrachtem Kunden-Verhalten
"Es ist ein beschissener, schrecklicher Job", meint Adam. Er stammt dem "Guardian" zufolge aus dem Sudan und arbeitet neben seinem Jurastudium als Essenslieferant bei Deliveroo. Gerade mal 50 bis 60 Pfund verdiene er an einem guten Tag; das sind zwischen 56 und 67 Euro.
"Ich verdiene mehr mit Toilettenputzen als mit meiner Tätigkeit als Deliveroo-Fahrerin", erklärt Marina, die zwei Jobs nachgeht, um ihre beiden Töchter im Alter von 12 und 18 Jahren zu unterstützen.
Die schlechte Bezahlung scheint ein branchenweites Problem zu sein. Marina erzählt, dass sie in den vergangenen Jahren für alle möglichen Lieferdienste gearbeitet habe.
"Mal hat die eine Firma etwas mehr, mal etwas weniger bezahlt als die anderen, aber heute sind sie in Bezug auf Bezahlung und Arbeitsbedingungen alle so ziemlich gleich", erzählt die Brasilianerin. Die schlechte Bezahlung sei aber nicht das einzige Problem, mit dem sie in ihrem Job konfrontiert sei.
"Manchmal öffnen Männer nackt oder nur mit Unterwäsche bekleidet den Fahrerinnen die Tür", berichtet die Lieferfahrerin. Doch damit nicht genug: "Ein Mann, dem ich Essen lieferte, versuchte, mich in sein Haus zu zerren". Essenslieferantinnen laufen also (wie in vielen anderen Berufen und Lebensbereichen) Gefahr, Opfer sexueller Übergriffe zu werden. Auch anderweitig habe sie schon Gewalt erlebt: Ein Mann habe sie auf offener Straße ins Gesicht geschlagen.
Das bringt Marina zu einer bitteren Erkenntnis: "Bei diesem Job fühlt man sich nicht wie ein Mensch, sondern wie eine Liefermaschine".
Essenslieferanten fühlen sich wie "moderne Art von Sklaven"
Ganz ähnlich sieht das Mohammed, der aus Syrien nach Großbritannien geflüchtet ist und ebenfalls Essen ausliefert: "Für die Menschen, denen wir die Lieferungen bringen, sind wir unsichtbar". Dabei arbeiten in Großbritannien und Irland allein beim Lieferdienst Deliveroo 73.000 Fahrer:innen, berichtet der "Guardian". Von einer Nischenbranche, die leicht zu übersehen ist, lässt sich also nicht sprechen.
"Wir sind eine sehr moderne Art von Sklaven", sagt Mohammed. "Der Sklaventreiber ist die App, die uns unsere Befehle übermittelt." Keiner der Essenslieferant:innen, die in dem Bericht zu Wort kommen, spricht positiv von dem Job.
Doch aufgrund bestimmter Bestimmungen für Menschen mit Visa oder Aufenthaltsgenehmigung ist die Auswahl an Jobs, die Migrant:innen Großbritannien ausüben dürfen, begrenzt. Und bei einem Lieferdienst anzuheuern, ist für viele die einfachste Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zumindest übergangsweise zu finanzieren.
"Manchmal ist mir so kalt, dass ich am liebsten nach Hause fahren und mich aufwärmen möchte", erklärt etwa Rayan, der Anglistik studiert. "Wenn es richtig eisig ist, muss ich meine Beine mit einem Föhn auftauen", erzählt er zu seinen Schichten an Wintertagen. An manchen Tagen trage er vier Paar Socken, drei Hosen und zwei Jacken.
"Ich träume immer noch davon, eines Tages Englischprofessor zu werden, aber die Dinge laufen nicht immer so, wie man es sich wünscht", betont er. Anfangs habe er sich noch Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen, um die Wartezeit auf Bestellungen zu überbrücken. "Aber ich lese nicht mehr, weil ich zu erschöpft bin. Diese Arbeit hat mich einfach völlig ausgelaugt."
In Großbritannien haben sich ebenso wie in Deutschland bereits Gewerkschaften gegründet, die für bessere Arbeitsbedingungen von Lieferfahrer:innen kämpfen. Momentan sind ihre Erfolge aber überschaubar. Und so müssen viele weiter unter extrem harten Bedingungen Essen ausliefern.
