Sobald das Kind auf der Welt ist, geht eine eigene Zeitrechnung los. Als Mutter – okay, und zum Teil auch als Vater – ist man ab der ersten Sekunde sofort komplett überfordert. Ich kann hier nur aus der Perspektive von Müttern berichten:
Kein noch so gründlicher Geburtsvorbereitungskurs oder Gespräch mit anderen Eltern können auf das vorbereiten, was einen nach der Geburt erwartet.
Denn das Leben mit Kindern ist erstens bei jedem anders und zweitens unberechenbar. Dieses Gefühl hält vom Hörensagen ungefähr 18 Jahre lang an.
Nicht umsonst sagte die deutsche Schriftstellerin Gertrud von Le Fort: "Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind." Vielleicht weiß man mit Mitte 20, Ende 30 so langsam, welcher Mensch man ist. Welche Mutter man sein wird, kann man nicht im Entferntesten erahnen.
Wie reagiert man in Extremsituationen, wenn man zudem unter Stress, Schlafmangel und manchmal Schmerzen oder Wochenbettdepressionen leidet? Ein Kind lässt es dich herausfinden.
Bereits in den ersten Stunden nach der Geburt beginnt sie: nicht die Elternzeit, sondern die härteste Fortbildung deines Lebens.
Kinder fordern alles heraus, was du über dich, das Leben und deine Fähigkeiten zu wissen glaubtest. Es gibt so unendlich viele Situationen, die dich an dein Limit bringen: Das Kind hört stundenlang nicht auf zu schreien und das über Wochen. Das Stillen klappt nicht und man ist so hundemüde, dass man währenddessen im Sitzen einschläft. Die Verwandten platzen zum Gratulieren in die Wohnung, wenn man eigentlich nur seine Ruhe will. Ätzend, aber: Du lernst dafür, wie man in schwierigen Situationen um Hilfe bittet und für seine Bedürfnisse einsteht. Das hilft auch im Job.
Der Alltag mit Kind ist oft extrem und solche Momente gehören zu den eher weniger schönen eines Familienlebens. Viele Situationen bringen Stress, Ärger und permanentes Reagieren auf neue Gegebenheiten mit sich. Gleichzeitig bieten sie aber auch die Chance, zu lernen. Das Leben mit Kindern ist ein ständiges Wachsen und Lernen: über sich selbst, über die eigenen Stärken und Schwächen. Da man sich mit Kindern keine Schwächen erlauben kann, lernt man außerdem in Rekordtempo, mit neuen und schwierige Situationen umzugehen.
All diese Skills kann man im Berufsalltag einbringen.
Ich hasse Konflikte, aber als Mutter bleibt mir auf dem Spielplatz nichts anderes übrig, als Streit zu schlichten. Denn Kinder können ganz schön fies zueinander sein und Streitigkeiten eskalieren schnell. Ein Beispiel für die nötige Verhandlungskunst: Meine Tochter spielt mit dem Spielzeug-Bagger, ein anderes Kind nimmt ihn ihr weg, als sie sich kurz mit etwas anderem beschäftigt. Wie sollte ich reagieren?
Blitzschnell muss ich Fakten abwägen, Prioritäten festlegen und eine Entscheidung treffen: Sollte mein Kind lieber lernen, dass man Spielzeug teilt oder dass man auch mal 'Nein' sagen darf? Hat das andere Mädchen gefragt oder das Spielzeug einfach weggenommen? Hat meine Tochter überhaupt noch mit dem Bagger gespielt oder stand er nur herum? Kompromiss oder Konfrontation? Irgendwer heult am Ende immer. Aber was will ich meinem Kind mit meiner Reaktion jetzt beibringen? Diese Entscheidung muss ich blitzschnell treffen.
Solche Situationen hat man permanent und ich kann nur sagen: Jede Diplomatenschule dieser Welt ist lachhaft gegen den Versuch, einen Streit zwischen Kleinkindern zu schlichten. Denn dieser wird a) schnell gewalttätig und ist b) rationalen Argumenten nicht zugänglich. Wenn Eltern eines entwickeln, dann Verhandlungsgeschick!
Eine weitere Fortbildung: die Organisation. Es ist montagmorgens und das Kind hat Fieber. Super-GAU! Die nächsten Schritte folgen im Stakkato: Es beginnt eine Diskussion mit dem Partner darüber, wer zu Hause bleiben kann, bei wem das gerade unmöglich geht und wer schon mehr Kindkrank-Tage übernommen hat. Da kann schon mal leidenschaftlich gestritten werden.
Wer bei diesem Schlagabtausch die besseren Argumente hat und sie überzeugender vorträgt, gewinnt. So gesehen ist diese Alltagssituation gleichzeitig auch ein Rhetoriktraining.
Danach muss in Windeseile die ganze Woche umorganisiert werden: Ich muss die Kita, den Kinderarzt, den Arbeitgeber, die Kolleg:innen und mögliche Interviewpartner:innen kontaktieren und Termine verschieben. Verabredungen werden abgesagt, Konzerttickets verkauft und Freund:innen vertröstet. Ich glaube, ein Event zu organisieren, wäre für mich inzwischen dagegen ein Klacks!
Die wichtigste Währung im Leben mit Kindern ist neben Brezenstangen und Bestechungs-Lollis die Ressource Zeit. Davon ist einfach nie genug da. Als Elternteil fühlt man sich, als wäre man auf der Streckbank eingeklemmt. Jeder will irgendwas: Hier zieht das Kind, da der Partner, oben der Arbeitgeber und die (Schwieger-)Eltern, die Freund:innen oder der Hund versuchen, auch noch einen Zipfel zu erwischen. Und ich tue und mache und strecke mich dabei, so weit es geht, damit ich nicht zerreiße.
Ich versuche als Mutter permanent, alle Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Dafür braucht es: Multi-Tasking und Effizienz. Auf dem Weg zur Arbeit kaufe ich das Brot für zu Hause, in der Mittagspause gehe ich zu Rossmann und auf dem Heimweg zur Post oder Apotheke. In der U-Bahn höre ich entweder die Morgen-News als Podcast, schreibe To-do-Listen oder antworte auf alte Nachrichten. Beim Weg vom Wohn- ins Schlafzimmer nehme ich die Felltiere der letzten Kuscheltierparty mit oder den Wäschekorb, beim Weg zurück in die Küche geht die Wäsche am Boden sofort in die Maschine. Keine Minute darf ungenutzt bleiben.
Wenn mich etwas so richtig auf die Palme bringt, ist es, Zeit zu vergeuden. Ineffizienz kann ich auf den Tod nicht leiden, denn ich kann sie mir nicht leisten. Davon profitiert auch der Arbeitgeber. Ich kann gar nicht anders, als morgens gleich in die Tasten zu hauen wie eine Wilde. Denn ich habe immer Angst, meine Arbeit bis zur Kita-Abholzeit nicht zu schaffen. Der Arbeitsmodus endet erst, wenn man abends erschöpft ins Bett fällt.
Und das sind nur einige meiner Fertigkeiten, die ich als Mutter lerne, die mir im Job helfen und von denen mein Arbeitgeber profitiert.
Da kommen noch viele mehr hinzu: Einfühlungsvermögen, Teamfähigkeit, Stress-Resilienz oder kreative Lösungsfindung beispielsweise. Das sind alles Dinge, die man gut im Job gebrauchen kann. Natürlich ist die Elternzeit auch unglaublich schön – und sollte keineswegs erzwungenermaßen und absichtlich zur Selbstoptimierung genutzt werden. Aber meist lässt sich das Erlernen nützlicher Soft Skills im Zusammenleben mit Kind kaum vermeiden.
Darum verstehe ich einfach nicht, warum Mütter so häufig Nachteile in der Arbeitswelt haben oder seltener eingestellt werden. Warum sind unsere Stärken so unsichtbar? Klar fallen wir Mamas öfter mal aus, weil die Kinder krank sind und vielleicht haben wir anstrengendere Bedürfnisse als andere Arbeitnehmer. Aber wir machen es doppelt wieder wett – mindestens. Und jetzt muss ich los, meinen Lebenslauf aufpolieren.