Das letzte Mal gesehen haben wir uns in einem schummrigen Proberaum in Düsseldorf. Simon Horn versuchte damals mit seiner Indieband Alex Amsterdam durchzustarten, ich wollte für das Lippstädter Stadtmagazin "Blicker" einen Artikel darüber schreiben und habe ihn besucht. Das ist jetzt 15 Jahre her.
Wir kennen uns bereits aus der Schulzeit. Simon war ein paar Klassen über mir. Lippstadt ist so klein, dass sein Vater jahrelang auch mein Musiklehrer war.
Inzwischen ist Simon berühmt. Er nennt sich herrH und ist Kinderlieder-Star: der neue Rolf Zuckowski, sozusagen. Auf Youtube haben seine Songs bis zu 50 Millionen Klicks, dazu kommen fast 150 Millionen Streams. Das sind deutlich mehr Menschen, als in Lippstadt leben (70.000 Einwohner:innen). Wie wird man so bekannt?
Spoiler: Mit meinem Artikel im "Blicker" hat sein Erfolg von heute nichts zu tun.
Auch sein Vater, mein Musiklehrer, Reinhard Horn, war Kinderliedermacher. Bei dem stand Simon schon im Alter von drei Jahren mit im Studio. "Aber es war nie mein Masterplan, deshalb auch selbst auch Kindermusik zu machen", sagt er heute zu watson. Und so schnell ging es tatsächlich nicht mit seiner Kinderlieder-Karriere. Angefangen hat es eher mit einem ziemlich großen Fail.
Er hatte Lehramt studiert, arbeitete aber eigentlich an seinem Durchbruch als Indie-Musiker. Als das nicht klappte, kam eine Phase, die aus heutiger Sicht schwer nach Lebenskrise klingt: "Ich wusste nach meinen ersten Bandjahren wirklich gar nicht, was ich machen wollte", erinnert er sich. Und so wurde er Lehrer – was alles erst mal noch schlimmer machte.
"Wirklich alles, was ich mir aufgebaut hatte, hakte und klemmte irgendwie. Meine Band gab es nicht mehr, meine Beziehung ist in die Brüche gegangen und ich war als Lehrer, was ich nicht sein wollte, in Recklinghausen, wo ich nicht sein wollte."
Was er da noch nicht ahnte: Gerade der Musiklehrer-Job würde ihn zur Kindermusik bringen. "Das war der größte und schönste Zufall, der in meinem Leben passiert ist", erzählt er.
"Ich war an einer Brennpunktschule und habe sehr schnell gemerkt, dass die Kids da komplett anders ticken als wir früher. Die haben zum Beispiel das Lehrerpult aufgebrochen und 200 Euro geklaut. Eine Schülerin, die ich gefragt habe, was sie mal werden will, hat gesagt: 'Ich will Hartz IV haben, wie Mama. Dann habe ich immer frei.' Die konntest du mit der Kindermusik von früher nicht mehr komplett abholen."
Das war der Moment, in dem Simon anfing, neue deutsche Kindermusik zu schreiben: "Emma die Ente" statt "Ententanz". Hiphop und Rock statt Blockflöte. An seinen Schüler:innen testete er seine ersten Songs. Die, die gut ankamen, schickte er zwei Jahre später an Sony.
Was dann passierte, ist eine Kombination aus Glück und Fleiß: "Ich habe am Anfang wirklich in jedem Kindergarten angerufen und gefragt, ob ich mal drei Songs spielen kann." Aber dann war er auch zur richtigen Zeit bei der richtigen Plattenfirma. Die suchten gerade Kindermusiker:innen. "Alles, was ich kann, woran ich Freude hatte, fügte sich plötzlich zusammen und funktionierte." 2013 erschien sein Debütalbum "herrH ist da". Und ab dann ist das Ganze immer größer geworden.
Seine Kernzielgruppe ist vier bis neun Jahre alt. Simon findet total "richtig, dass Kinder in dem Alter noch nicht auf Social Media unterwegs sind." Nur: seine Follower:innen-Zahlen sind dadurch viel kleiner als er eigentlich bekannt ist (9,2k auf Instagram, 2,5k auf Tiktok).
Umso wichtiger sind seine Konzerte: Für ihn nicht nur die schönste Möglichkeit, Musik zu teilen, sondern auch eine große Verantwortung: "Für die meisten Kinder ist es das erste Konzert und das soll natürlich nicht dafür sorgen, dass sie nie wieder Musiker:innen live sehen wollen." Normalerweise kommen 400 bis 600 Kinder, bis zu 15.000 zu Festivalshows. Auf einem Online-Konzert zu Coronazeiten waren sogar mehr als 30.000 Geräte am Start. Wenn man damit rechnet, dass vor jedem Rechner zwei oder drei Kinder sitzen, dann wäre das Olympiastadion voll (74.475 Plätze).
In meiner Erinnerung war Simon auf Abi-Partys früher selten der letzte auf der Tanzfläche. Heute spielt er 150 bis 200 Konzerte pro Jahr. Nach seinen Shows macht er oft stundenlang Fotos und gibt Autogramme. Das klingt süß, doch leicht sind Kinder nicht als Publikum. "Wenn du eine Hüpfburg neben die Bühne stellst, hast du ein Problem", sagt Simon. "Die meisten Kinder bleiben nicht aus Anstand vor der Bühne stehen, wenn sie sich langweilen. Das Feedback ist also viel direkter." Aber die positiven Reaktionen sind es auch.
"Wir schießen mit Konfetti, springen rum. Die Kids kriegen von mir die volle Packung. Aber ich kriege auch ganz viel zurück, ein Konzert bedeutet für mich wirklich eine Überdosis Glück. Und die ist so wahnsinnig real. Die hat nichts mit zu vielen alkoholischen Getränken oder anderen Dingen zu tun, die andere Musiker:innen vielleicht brauchen", sagt er.
Doch wie schreibt man eigentlich Kindersongs? Es gibt von herrH Songs, die nicht per se fröhlich sind. Aber seine Banger heißen eher "Emma die Ente" und "Ich bin ein Pinguin". Simon schreibt zusammen mit seinem Freund Jona aus Berlin. Der Musikproduzent arbeitet sonst viel in der Hiphopszene, aber auch für Christina Stürmer und Sarah Connor. "Unser Konzept ist im Grunde kein Konzept, sondern ein weißes Blatt und gefühlt unendlich viele Stifte in allen Farben. Wir wollen nicht klingen wie irgendwer anders. Wir machen einfach Musik. Nicht alles, was da rauskommt, kann veröffentlicht werden. Aber manches glücklicherweise doch“, erklärt er.
herrH ist im "Tanzalarm" und "Singalarm" im Kika regelmäßig im TV zu sehen. Und in diesem Jahr hat er sogar seine erste Synchronrolle übernommen. "Dass es direkt ein Film wie 'IF: Imaginäre Freunde' werden würde, hätte ich nie gedacht", sagt er. Im Original wurde der Film von den US-Stars George Clooney und Matt Damon eingesprochen.
Und dann war da in diesem Jahr noch ein ziemlich überraschender Erfolg, als ein Video von herrH auf Youtube viral gegangen ist und 50 Millionen Views generierte – ausgerechnet aus Indonesien und Brasilien.
"Auf dem Video sieht man, wie ich ein riesiges Kuscheltier von Emma, der Ente, ins Publikum schmeiße. Die darf dann Stage-Diven. Das Video ist nicht aufwendig geschnitten, es ist wirklich nicht spektakulär gefilmt. Du siehst einfach ein paar Kids abgehen", berichtet er. "Meine einzige Erklärung dafür ist eigentlich, dass Musik auf der ganzen Welt verstanden wird."
Mit Rolf Zuckowski hat die neue deutsche Kindermusik von herrH nicht mehr viel zu tun. Dennoch ziehen viele den Vergleich, weil sie ihn von früher kennen. "Ich wollte und musste eine eigene Sprache finden. Ich mache jetzt nicht. 'In der Weihnachtsbäckerei 2'. Aber gerade, weil ich eine Eigenständigkeit habe, empfinde ich den Vergleich als Kompliment. Das ist einer der größten und erfolgreichsten Musiker, die wir haben", erklärt Simon.
Spätestens im Sommer 2025 soll neue Musik geben von herrH. Bis dahin ist er auf Tour.
Noch eine letzte Frage an Simon, weil ich an unser Treffen in seinem alten Proberaum denken muss: Vermisst er den Rock’n’Roll aus der Zeit in einer Indieband nicht manchmal doch? Ein bisschen? "Das war ein vollkommen anderer Kontext. Damals sind BHs geflogen, heute fliegen Kuscheltiere", sagt er und grinst so amüsiert, dass völlig klar ist, wofür er heute brennt.