Jeden Tag sieht Laura T. (Name v. d. Red. geändert) durch die großen Glasfenster der Schön Klinik in Berchtesgaden auf die Bayerischen Alpen. "Die Landschaft hier ist ja wunderschön, aber ich meide Berge oder Steigungen", erzählt die 38-Jährige. Denn Laura leidet nun bereits seit über einem Jahr an den Nachwirkungen ihrer Corona-Erkrankung.
Während der Pandemie arbeitete sie lange Schichten als Krankenschwester in einem kleinen Krankenhaus. Eigentlich nur "30 Stunden pro Woche, aber mit Corona waren es teilweise zwölf Stunden pro Schicht. Und das fünfmal oder manchmal sogar sechsmal pro Woche", erzählt die Mutter von drei Kindern.
Im September 2021 infiziert sich Laura mit Corona. Durch den Virus verschlechterte sich ihre, sowieso schon angeschlagene, Gesundheit weiter. "Das war so das I-Pünktchen, in Bayern sagt man: 'Das hat mir den Rest gegeben'", sagt sie mit rollendem R.
Corona traf sie mit voller Wucht: "Ich war kurz vor der Krankenhaus-Einweisung." Denn es blieb nicht bei den üblichen Symptomen einer Corona-Infektion wie Husten oder Geruchs- und Geschmackverlust. Auch ihr Herz war betroffen.
Irgendwann merkte Laura, dass es ihr auch einige Wochen nach der Covid-Infektion nicht besser ging. Die Beschwerden blieben.
Zur Behandlung in die Schön Klinik gelangte die 38-Jährige über eine Fernsehreportage. Laura sprach mit ihrer Therapeutin darüber und die war begeistert von der Idee.
Die Schön Klinik ist führend in der Behandlung von Menschen mit Long- oder Post-Covid. Die Warteschlange für eine Behandlung ist dementsprechend lang. Schon früh nach Ausbruch der Corona-Pandemie wurde dort mit der S1-Leitlinie ein Konzept für eine COVID-19-Reha entwickelt.
Dr. Robert Doerr ist Chefarzt des Fachzentrums für psychosomatische Medizin an der Schön Klinik. Er betreut Menschen, die vor allem psychisch durch Corona gelitten haben. Bei vorher gesunden Patienten "geht man davon aus, dass in Folge von Corona bis zu 19 Prozent unter schweren Verläufen und 39 Prozent unter milden Verläufen leiden", sagt Doerr im Gespräch mit watson. Bei wie vielen Menschen sich eine psychische Vorerkrankung durch Corona verschlimmert hat, dazu gebe es keine Zahlen.
Die Patienten in der Klinik lassen sich in drei Kategorien unterscheiden: "Wir unterscheiden, beziehungsweise behandeln sowohl die, die gesund waren und dann Long- bzw. Post-Covid entwickelt haben, als auch die, bei denen bereits im Vorfeld psychische Beschwerden bestanden und sich weiter verschlechtert haben. Und solche, die in ihrer Historie bereits einmal psychisch krank gewesen sind und bei denen dann, getriggert durch Corona, die Krankheit wieder ausgebrochen ist", so Doerr.
Denn laut der S1-Leitlinie zu Post- oder Long-Covid gilt auch eine Verschlimmerung oder der Ausbruch einer früheren Krankheit durch Corona als Post- oder Long-Covid.
Im Gespräch über die Folgen von einer Corona-Erkrankung oder Pandemie generell sagt er: "Am häufigsten sind Depressionen und Ängste." Patienten könnten im Rahmen einer stationären oder intensivmedizinischen Behandlung durch Corona eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, ähnlich wie bei einer schweren Verletzung. Diese Erfahrung "ein Kampf um Leben oder mit dem Tod", vergisst man nicht so leicht.
Traumata können bei Menschen aber auch indirekt entstehen, zum Beispiel wenn das nahe Umfeld an Corona erkrankt: Wenn Familiengehörige mit einem schweren Verlauf im Krankenhaus liegen, wegen Corona im Todesfall kein Abschied genommen werden kann. Oder wenn eine Überlastung des Gesundheitswesens erlebt wird.
Dabei müsse Corona nicht entweder psychische oder körperliche Folgen haben, sondern könne auch beides gleichzeitig hervorrufen. "Im Rahmen der Depression leidet man oft unter verminderter Konzentration und Aufmerksamkeit, kann schlecht schlafen, hat keine Energie, beziehungsweise Antrieb mehr und auch die körperliche Fitness ist beeinträchtigt." Das seien alles Symptome, "die auch bei Long- bzw. Post-Covid auftreten können, so dass die Abgrenzung oft schwierig ist", erklärt Doerr.
Auch bei Laura kamen zu den körperlichen Problemen noch die psychischen Belastungen durch die Corona-Pandemie dazu. Sie erzählt: "Wir wohnen ziemlich ländlich und so 100 Meter oder 200 Meter vom Friedhof entfernt und ich habe da auf dem Friedhof zwei Familienmitglieder liegen."
Und auch ihre drei Kinder sind an Corona erkrankt – nicht ohne Folgen: "Mein großer Sohn ist 16 Jahre alt. Er hat dreimal Covid gehabt in einem halben Jahr und er hatte keine Vorerkrankung." Seit der Erkrankung ist "der Junge ständig krank und müde. Er kommt nach der Schule heim und schläft. Bei vielen hat Corona sehr viele Spuren hinterlassen."
Als die Autorin wissen will, in welchen Bereichen Laura meint, antwortet sie nur: "Familie, Beruf, Freundeskreis, Gesundheit – alles eigentlich."
Für Laura kam die Hilfe gerade noch rechtzeitig. Andernfalls wäre sie wohl eingewiesen worden, glaubt sie. Ihre Therapie in der Schön Klinik ist sehr umfangreich: Denn zwar ist sie eigentlich primär wegen ihrer Psychosomatik hier in Behandlung. Doch auch heute, noch ein Jahr später, kämpft sie auch mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Long-Covid.
Laura empfindet den sechswöchigen Therapieaufenthalt als sehr anstrengend: "Es wird sehr viel gefordert. Ich hatte auch eine Zeit lang einen Tiefpunkt, aber ich glaube, das ist normal." Doch inzwischen habe sie das Gefühl, es gehe ihr viel besser als zum Zeitpunkt ihrer Anreise, "auch was die Psyche anbelangt."
Die körperlichen Beschwerden seien zwar noch vorhanden, aber sie wisse nun, was sie dagegen tun könne, kenne Übungen und fühle sich gut gerüstet. "Ich weiß jetzt, woran ich selber jetzt arbeiten soll oder muss – auch psychisch."
Sie weiß aber, dass der Weg zurück in die Gesellschaft nicht einfach wird "und dass es einfach Zeit und Geduld" braucht. "Ich hab gelernt, dass ich mit meiner Energie haushalten und mir einfach die Zeit und die Selbstfürsorge geben sollte."
Chefarzt Dr. Doerr betont, dass es bisher keine spezielle, neuartige Therapie für Long oder Post-Covid-Erkrankte gebe. Die Behandlung ziele letztlich darauf ab, "die Symptome zu behandeln, beziehungsweise zu lindern".
Am Anfang des Aufenthalts steht die Diagnostik, also die körperlich und psychische Untersuchung. Im psychiatrischen Aufnahmegespräch sei es wichtig, genau herauszufinden, an was der Patient oder die Patientin leide: Geht es eher um den Schlaf oder um Depression, geht es um die Angst oder um die Erschöpfung, geht es vielleicht auch um die Trauer über den Verlust von Angehörigen?
Dr. Doerr nennt ein Beispiel:
Zur Feststellung von körperlichen Defiziten und Schwierigkeiten gibt es dagegen unter anderem EKGs, Labortests und Lungen-Funktionsmessungen.
Nach der Diagnostik "versuchen wir dann ganz gezielt und für jeden Patienten individuell, die Probleme oder die Defizite, die wir feststellen, zu verbessern." Dies kann mit Einzelgesprächen, Gruppen-, oder nonverbalen Therapien, Sport, Bewegung oder Gestaltung sein.
Laura hat all das bereits hinter sich. Sie ist kurz vor der Entlassung. Am Tag nach dem Gespräch mit watson darf sie nach Hause. Trotz Vorfreude hat sie auch Zweifel: "Ich bin sehr unsicher, wie es daheim wird und ob ich das Gelernte umsetzen kann. Aber ich muss einfach weiter daran arbeiten und wirklich einen Schritt nach dem anderen machen und nicht wie früher fünf Sachen auf einmal", sagt die dreifache Mutter nachdenklich.
Zurück in ihren Beruf als Krankenschwester geht sie noch nicht. Zuerst will sie wieder zu Kräften kommen. "Ich werde weiterhin daheim bleiben, weil ich das Berufliche im Moment noch nicht schaffe. Ich bin noch nicht stabil genug."